Ein Tag wie jeder andere

Jogis Tagebuch 11 Heute berichtet Jogi, warum Özil nicht zu sehen war und er nicht mit der Kanzlerin sprach. Außerdem beschwert er sich, dass seine Spieler zu wenig schimpfen
Illustration: der Freitag
Illustration: der Freitag

Sonntag, 17. Juni

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürgerinnen, was für ein langweiliger Sonntag. Es gibt solche Tage, an denen das Leben in meinen Adern pulsiert, in dem die Geschichtsbücher umgeschrieben werden. Tage, an denen etwas passiert, mit dem niemand gerechnet hat, auch ich nicht. Der heutige Tag allerdings gehört nicht dazu. Alles lief, wie ich es erwartet habe.

Am Morgen kam Wolfgang Niersbach zu mir und bat um ein Autogramm für einen Bekannten. Dabei wussten wir beide, dass er es für sich selbst haben wollte. Im Training verschossen die Bayern wieder sämtliche Elfmeter, was die Dortmunder dazu bewog „So sehen Sieger aus“ anzustimmen. Gomez trug ein mit Draht verstärktes Haarnetz. Während des Mittagessens programmierte mir Mertesacker HBO in meinen Fernseher, er konnte ja später mit den Bediensteten in der Küche essen. Bei der Kaffeetafel am Nachmittag löffelte sich Tim Wiese die Sahne nicht auf den Kuchen, sondern ins Haar. Lahm wollte die Kuchenreste sammeln und zu Frau Timoschenko ins Gefängnis schicken. An manchen Tagen verkauft er sie auch und spendet das Geld. Boateng kam um kurz nach drei herein und sagte „Morgen, Leute“.

Und dann habe ich die Frage, wer für ihn auf der rechten Abwehrseite spielt, gelöst wie immer. „Lars oder Sven und Benedikt – ich sehe was, was Ihr nicht seht, und das ist …“

Nach dem Eintreffen im Stadion habe ich Özil auf die Toilette gesperrt, einfach, weil ich es konnte. Er stand ja bei dieser EM bekanntermaßen noch keine Sekunde auf dem Platz. Während des Spiels leistete ihm dann immerhin ein dänischer Abwehrspieler Gesellschaft. Khedira zog sich seine Tarnkappe über. Bevor es auf den Platz ging, habe ich die klare Anweisung gegeben: „Wir spielen auf Unentschieden, nur so können wir sicherstellen, dass wir nicht ausscheiden, aber gleichzeitig die Niederländer auf jeden Fall rausfliegen.“ Schützenhilfe hätte die deutsche Nationalmannschaft in Holland möglicherweise so beliebt gemacht, dass mir übel geworden wäre.

Müller hatte das auch sofort begriffen und gleich zu Beginn den Ball völlig falsch erwischt. Podolski hingegen, mit den Beinen wie üblich schneller als im Kopf, vergaß natürlich sämtliche Anweisungen und ballerte die Kugel ins Tor. Das ärgerte mich sehr, zumal die Holländer auch noch mit 1:0 in Führung lagen. Deshalb gab ich auch gleich den Befehl, den Ausgleich zuzulassen. Was gar nicht so einfach war, denn die Dänen hatten gar nicht vor, die eigene Hälfte zu verlassen.

Erst als die Portugiesen die Partie gedreht haben, konnte ich wieder Fußball spielen, der nicht wie die Belagerung Wiens durch die Türken aussah. Weil ja der Fußball so schöne Geschichten schreibt, ließ ich gleich selbst eine schreiben. Deshalb beorderte ich Sven/Lars/Hennes/Manni/Lawrence Bender, der ja laut Presse in seinem ganzen Leben nur 16 Minuten auf dem Fußballplatz gestanden haben soll, mit lauten Rufen nach vorne. Ich war erstaunt zu hören, dass Fußballdeutschland vor dem Fernseher zitterte. Meine Absichten waren doch eindeutig.

Nach dem Spiel dann das übliche Gegurke. Philipp Lahm sagte mal wieder keinen einzigen originellen Satz ins Mikro, aber er will ja in Interviews ohnehin nur zeigen, dass er jetzt auch Bartwuchs hat. Lars Bender sagte, wie wichtig der Sieg für die Mannschaft war… und die Mannschaft stand im Vordergrund… natürlich auch schön für mich… aber die Mannschaft, die Mannschaft, die Mannschaft. Ich kann es nicht mehr hören. Wenn ich so einen Ball reindrücke, denke ich doch nicht „Die Mannschaft, die Mannschaft, die Mannschaft“. Wer hat denen befohlen, wie ein UN-Diplomat nach einer Sondersitzung zum Nahostkonflikt zu sprechen? Ach ja, richtig – ich. Morgen bringe ich ihnen erstmal ein paar ordentliche Beschimpfungen bei. Alle Kinder haben doch solche Wörter drauf, nur meine Klosterschüler nicht. Wie wollen die so im echten Leben überstehen?

Und nun sitze ich mit Hansi und Busfahrer Wolfgang hinten im Flugzeug, der 1,99-Euro-Wein schmeckt schön scheußlich. Mertesacker schenkt uns nach. Vorne legt Boateng für alle, die schon volljährig sind, ein paar House-Platten auf. Gerade kam Niersbach vorbei und hielt mir sein Handy hin „Die Kanzlerin will Sie sprechen.“
Ich sah ihn tadelnd an: „Jetzt nicht. Du siehst doch, dass wir gerade Wichtigeres zu tun haben. Aber hier hast du ein Autogramm.“

Jogi Löw ist damit beschäftigt, Europameister zu werden. Sein geheimes Tagebuch muss unser Autor Sebastian Dalkowski schreiben. Der hält sich deshalb bis zum Ausscheiden der Nationalmannschaft für den Bundestrainer

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