Hass ist wie Liebe, nur schöner

Jogis Tagebuch 7 Heute berichtet Jogi, wie er dem Fußball seine Bestimmung zurückgab und wie er sich an einem Balljungen rächte. Außerdem hat er nun Kabelfernsehen auf dem Zimmer
Hass ist wie Liebe, nur schöner

Illustration: der Freitag

Mittwoch, 13. Juni

Immer, wenn die Kanzlerin anruft, spüre ich das Machtgefälle zwischen uns. Ein angenehmes Gefühl.
„Joachim von Löw.“
„Hallo Herr Löw, Frau Merkel hier.“
„Ah… ja. Bitte machen Sie es kurz, wir bereiten uns schon auf das Spiel vor.“
„Herr Löw, es ist zu mir vorgedrungen, dass Sie dem Spiel gegen Holland fernbleiben wollen, um ein Zeichen für die Menschenrechte in der Ukraine zu setzen.“

Irgendjemand musste mich verpetzt haben. Ich tippte schwer auf Mertesacker, der schon die letzten Tage mit einer Fresse wie acht Tage griechischer Premierminister herumläuft, weil ich ihn zum stellvertretenden Zeugwart ernannt habe. Er soll schließlich eine sinnvolle Aufgabe haben.

„Das ist korrekt“, sagte ich zu Merkel. „Die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen.“
„Wissen Sie, Herr Löw, das würde ja meine politischen Zeichen in den Hintergrund drängen, denn ich bleibe dem Spiel ja auch fern.“
„Frau Merkel, es tut mir leid, aber ich habe meine Prinzipien. Mir liegen die Menschen der Ukraine so sehr am Herzen.“
„Mir doch auch, aber…“
„Aber?“
„Viel Erfolg fürs Spiel heute Abend, Herr von Löw.“
Damit legte sie auf.

Voller Vorfreude auf einen ruhigen, klimatisierten Abend zog ich mich auf mein Zimmer zurück und legte mich mit meinem Laptop aufs Bett. Draußen machte sich die Mannschaft für die Abfahrt ins Stadion bereit. Es waren sicher 35 Grad. Stand im Internet. Dann sah ich plötzlich diese Schlagzeile: „Hans van Breukelen: Ich bin verliebt in euch Deutsche.“ Ich las weiter und erfuhr, dass der frühere niederländische Torhüter nun unsere Mannschaft ganz toll findet, weil sie so tollen Fußball spielt. Und dann sagte er noch, dass er es im Achtelfinale der WM 1990 etwas übertrieben habe. Er schäme sich bis heute.

Sollte das ein Witz sein? Der Erzfeind wollte die Erzfeindschaft beenden? Wenn es nicht mal mehr Hass zwischen Deutschland und Holland gäbe, zwischen wem dann? Würde Ronald Koeman vielleicht das Deutschland-Trikot, mit dem er sich einst den Hintern abwischte, frisch gewaschen der Kanzlerin überreichen? Sollten wir vielleicht bald nicht mehr mit Stahlhelm gegen die Holländer antreten? Würde Frank Rijkaard Patenonkel von Rudi Völlers Kindern werden? Würde sich das auch auf andere Länder ausbreiten? Würde die Sun übermorgen titeln „Why we love the Germans“? Van Breukelens Geständnis hatte die Kraft, alles zu zerstören, was Fußball ausmacht, nämlich die Feindschaft zwischen Staaten, die ihre Feindschaft zwar nicht mehr auf dem Schlacht- dafür aber auf dem Spielfeld austragen.

Das musste ich verhindern. Holland musste heute so dermaßen geschlagen werden, dass der Hass auf ewig geschürt sein würde. Dass van Breukelen nach dem Spiel sagte „Die Deutschen sind und bleiben riesige Arschlöcher“. Diese Aufgabe aber konnte ich nicht Hansi überlassen, der zwar hervorragend die Auswechslungen in der Halbzeit durchgeben konnte, mir aber ansonsten in allen Bereichen deutlich unterlegen war. Ich meine es nicht böse, Hansi, als Trinkfreund schätze ich dich sehr (Ich weiß, dass du mein Tagebuch liest).

Ich warf meinen Laptop beiseite, rannte die Treppe hinunter nach draußen und winkte Richtung Bus, der sich bereits in Bewegung gesetzt hatte. Er stoppte, ich drücke mich durch die Tür, schob Hansi beiseite und ließ mich keuchend auf meinen Sitz fallen.
„Hab’s mir anders überlegt“, sagte ich. „Sich vor Ort für die Menschenrechte einzusetzen, ist doch besser.“ Am Stadion angekommen lief ich schnell in den VIP-Bereich und beauftragte zwei EU-Abgeordnete der Grünen, ein Protestplakat hochzuhalten. „Irgendwas Kritisches eben.“

In meiner Kabinenansprache spannte ich einen weiten historischen Bogen, der echtes Hansi-Format hatte. Allen war klar, was auf dem Spiel stand. „Was ist der Zweite Weltkrieg?“, fragte Götze, „und wer ist van Breukelen?“
Bevor wir die Kabine verließen, räusperte sich Gomez noch mal: „Leute, eine Sache noch: Spielt mich nur flach an. Ich habe ein Attest von meinem Frisör.“

Das Spiel ging gleich gut los. Nach einigen Minuten meinte ein Balljunge zu mir, ich würde nach Schweiß riechen wie ein alter Mann, der nicht mehr gewendet wird. Als er nicht hinsah, schlug ich ihm den Ball aus der Hand. Strike, virales Video!

Teil 1 meiner Aktion „Neuer Hass“ war bereits nach 38. Minuten erfüllt. Ich weiß nicht, wer sich da als Mario Gomez verkleidet hatte, doch er machte seinen Job verdammt gut gegen dieses niederländische 0-3-3-System. Nun aber musste ich vorsichtig sein. Die Seniorenauswahl Noord-Brabant durfte nicht 5:0 geschlagen werden, dann wäre sie zu sehr vernichtet gewesen, um noch zu hassen. Es musste Benzin ins Feuer, nicht Wasser. Teil 2 stand deshalb unter dem provozierenden Motto „Ein Abwehrspieler schießt ein Tor“. Badstuber scheiterte knapp, sogar Boateng versuchte es in der 41. Minute. Er war direkt von der Disko aufs Spielfeld durchgerannt. In der zweiten Halbzeit traf Hummels nach einem Solo über 400 Meter nur den Torhüter. Ich überlegte noch, Mertesacker für Gomez in den Sturm zu stellen, aber dann fiel mir ein, dass ich Mertesacker ja bereits zurück nach Danzig geschickt hatte, um mein Hotelzimmer zu saugen und sich darum zu kümmern, dass ich ein paar Kabelkanäle auf meinen Fernseher bekomme.

Also befehligte ich stattdessen meine eigene Mannschaft nach hinten, um die Holländer zu Chancen kommen zu lassen. Sie sollten doch noch einmal am Ausgleich schnuppern, damit die Niederlage umso mehr schmerzte. Der Anschlusstreffer gelang ihnen allerdings erst in der 73. Minute, als ich Neuer gerade eine Pommes rot-weiß spendiert hatte und Badstuber sein Facebook-Profil aktualisierte. „Hey Leute, gerade lief van Persie an mir vorbei. Voll das Opfer.“

Erst nach Spielende erkannte ich, dass wir die Niederländer noch ein weiteres Mal gedemütigt haben. Wenn sie noch das Viertelfinale erreichen wollen, sind sie auf unsere Hilfe angewiesen. Mein Plan ist auf ganzer Linie aufgegangen. Noch schöner als Holland zu schlagen, ist eben, Holland bei einer Europameisterschaft zu schlagen. Ich gehe noch lange nicht schlafen. Muss die neuen Kabelkanäle testen.

Jogi Löw ist damit beschäftigt, Europameister zu werden. Sein geheimes Tagebuch muss unser Autor Sebastian Dalkowski schreiben. Der hält sich deshalb bis zum Ausscheiden der Nationalmannschaft für den Bundestrainer

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