Ich erfinde doch keine Kritiker

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Ich werde nachts von einem Journalisten aus dem Bett geklingelt. Der wirft mir vor, Anführer einer großen Verschwörung zu sein.

In der vergangenen Nacht rief mich ein investigativer Journalist an und beschuldigte mich der haarsträubendsten Dinge.

Ring! Ring! Ring!

Ich: grummel
Journalist: Guten Tag, spreche ich da mit Sebastian Dalkowski?
Ich: grummelgrummel
Journalist: Bitte?
Ich: Ja, mit dem sprechen Sie. Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist?
Journalist: 3.45 Uhr.
Ich: Finden Sie das nicht reichlich früh?
Journalist: Nicht, wenn Sie wissen, worüber ich mit Ihnen sprechen will.
Ich: Wer sind Sie überhaupt?
Journalist: Ich bin Hans Hansen, Detlef Deflefsen oder Peter Petersen, das überlasse ich Ihnen.
Ich: Und was wollen Sie von mir?
Journalist: Ich bin investigativer Literaturjournalist.
Ich: Investigativer Literaturjournalist? Diesen Beruf gibt es doch überhaupt nicht.
Journalist: Ich bin aber einer.
Ich:
Und warum rufen Sie mich an?
Journalist: Weil ich einem Skandal auf der Spur bin und Sie stecken mittendrin.
Ich: Ach ja, in welchem Skandal denn?
Journalist: Sie schreiben doch diese wöchentliche Kolumne, About a Boy?
Ich: Jaha.
Journalist: Und regelmäßig werden Sie in den Kommentaren beschimpft. Richtig?
Ich: Ja, einer will mich ständig ins Irrenhaus stecken, andere drohen mir offen mit Tötungsdelikten oder finden meine Frisur zum Kotzen.
Journalist: Glauben Sie etwa, dass ich darauf hereinfalle?
Ich: Was bitte meinen Sie?
Journalist: Diese Kritiker haben Sie doch erfunden, um sich interessant zu machen.
Ich: Ähm… was reden Sie da?
Journalist: Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein. Ihre Texte sind im besten Falle mittelmäßig, und weil Sie das wissen, lassen Sie dauernd irgendwelche Prominente in Ihrem Schrank oder unter Ihrem Bett auftauchen.
Ich: Weil es die Handlung erfordert. Außerdem war das nur einmal. Worauf wollen Sie überhaupt hinaus?
Journalist: Ihre Texte sind so uninteressant, dass sich niemand ernsthaft die Mühe machen würde, Sie in den Kommentaren zu beschimpfen. Das wäre so, als wenn Iris Radisch plötzlich Schulaufsätze aus der achten Klasse verreißen würde. Sie sind die Mühe nicht wert.
Ich: Vielen Dank auch. Sie meinen also, ich bin als Hassobjekt viel zu langweilig und niemand würde seine Zeit damit verschwenden, mich zu beleidigen?
Journalist: Das ist korrekt.
Ich: Und damit ich mich interessanter mache, erfinde ich einfach meine Kritiker und beschimpfe mich unter falschem Namen selbst?
Journalist: Sie haben es erfasst.
Ich: Das ist völliger Blödsinn.
Journalist: Sie setzen ja sogar, damit die Tarnung nicht auffliegt, die deutsche Rechtschreibung außer Kraft. Ein bisschen zu auffällig. Niemand würde in einem Kommentar so wenig auf das achten, was er schreibt.
Ich: Ihre Argumente sind überzeugend. Aber Sie liegen trotzdem falsch. Es gibt diese Kritiker wirklich.
Journalist: Das kann ja jeder sagen.
Ich: Aber ich kann verstehen, warum Sie mich verdächtigen.
Journalist: Wie das?
Ich: Ich verstehe nämlich auch nicht, warum Menschen mich wegen der Texte ins Irrenhaus stecken oder zerhacken wollen.
Journalist: Weil Sie sich so toll finden?
Ich: Das würde ich nie zugeben.
Journalist: Oder weil Sie Ihre Texte selbst mittelmäßig finden?
Ich: Mittelmäßig ist ein hartes Wort.
Journalist: Was schlagen Sie dann vor?
Ich: Glatt, ich würde sagen, meine Texte sind glatt.
Journalist: Das müssen Sie erklären.
Ich: Na ja, ich möchte dem Leser nicht allzu viele Hindernisse in den Weg stellen. Die Formulierungen sollen so rund sein wie ein Kieselstein am Nordseestrand.
Journalist: Ein sehr mittelmäßiges Bild.
Ich: Vielleicht ist es ja das, was die Kritiker stört.
Journalist: Was?
Ich: Dass die Texte zu rund sind. Sie sollen ja jedem gefallen. Und deshalb gefallen Sie denen nicht, denen nichts gefällt, was allen gefällt. Vielleicht ist es auch nur Neid.
Journalist: Das bezweifle ich bei dieser Mittelmäßigkeit.
Ich: Vielleicht sind sie neidisch, dass sie nicht mal diese Mittelmäßigkeit erreichen.
Journalist: Nun werden Sie aber überheblich.
Ich: Überheblich? Sie immer mit Ihren Unterstellungen. Das wird mir allmählich zu bunt.
Journalist: Sie müssen sich aber auch Kritik gefallen lassen. Sonst dürfen Sie Ihre Texte nicht veröffentlichen.
Ich: Kritik ja, aber welchen Sinn machen Beleidigungen? Wir können doch alle sachlich miteinander reden. Außerdem schreibe ich ja nicht, um kritisiert zu werden, sondern um gelobt zu werden. Aber zumindest Ihre Schmähungen muss ich mir nicht gefallen lassen.
Journalist: Warum nicht?
Ich: Weil Sie das Produkt meiner Fantasie sind. Ich habe Sie erschaffen.
Journalist: Das ist doch Blödsinn.
Ich: Ich könnte Sie dazu bringen zu sagen, dass Sie mich lieben. Und Sie könnten nichts dagegen machen.
Journalist: Das glauben Sie ja wohl selbst nicht.
Ich: Na los, sagen Sie schon!
Journalist: Was denn?
Ich: Dass Sie mich lieben.
Journalist: Aber ich liebe Sie doch nicht.
Ich: Trotzdem werden Sie es in zehn Sekunden sagen.
Journalist: Sie sind ja noch durchgedrehter, als ich gedacht habe.
Ich: 10…9…8…7…6…
Journalist: Schreiben Sie eigentlich noch immer bei Harald Martenstein ab?
Ich: 5…4…3…
Journalist: Oder Max Goldt?
Ich: 2…1…
Journalist: Oder… ich liebe Sie. Ich liebe Sie.
Ich: Nun haben Sie es doch gesagt.
Journalist: Mir wird schlecht.
Ich: Ich bin eben Herrscher über Ihr Leben und Tod.
Journalist: Liegt dort Silvio Berlusconi unter ihrem Bett?
Ich: Ja.
Journalist: Darf ich mich dazulegen?
Ich: Klar. Aber lassen Sie noch Platz für Barack Obama.
Journalist: Warum?
Ich:
Der spielt gerade noch eine Partie Mau-Mau mit Angela Merkel in meiner Küche.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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