Ich fange auch im Roggen, sogar besser

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Ich arbeite daran, zum ersten Mal zu lächeln. Außerdem habe ich Parallelen zum Leben von J.D. Salinger entdeckt und treffe die Hoffnungslosigkeit im Supermarkt.

Eine Frau und ich haben mehrere Stunden in einem Büro gearbeitet. Bevor ich ging, sagte die Frau: „Aber morgen lächeln Sie mal, ja?“ Ich antwortete, dass ich innerlich ein Feuerwerk der guten Laune sei. Es dringe bloß nicht nach draußen.

Am Abend stellte ich ein Mixtape mit Songs für den Frühling zusammen. Ich hörte auf, als ich merkte, dass ich nicht genügend fröhliche Lieder hatte. Ich glaube, es dringt nichts nach draußen, weil es nichts gibt, was nach draußen dringen kann.

Die Situation verschärft sich. Ich wohne für drei Monate im Wohnheim eines Krankenhauses. Das Krankenhaus steht in einer kleinen, grauen Stadt. Mein Zimmer hat den Komfort einer Gefängniszelle. In der Küche riecht es, seit drei Wochen liegen derselbe Teller und dieselbe Gabel im Waschbecken. Ich habe bisher noch niemanden im Haus getroffen. Nur manchmal höre ich Geräusche von Menschen, meistens Duschstrahle.

Wenn ich rausgehe, dann in den Supermarkt. Gestern saß eine Kassiererin hinter der Kasse, die hatte ihren rechten Arm verbunden. Sie zog alles mit links über den Scanner, auch die Sechser-Gebinde von großen Wasserflaschen. Eine Kundin, eine junge Frau mit kurzen Haaren und Nirvana-Shirt, bezahlte, danach gab sie der Frau mit dem verbundenen Arm eine Mappe. „Ich möchte meine Bewerbung abgeben“, sagte sie und lächelte.

Ich kenne den dümmsten Journalisten der Welt. Er kommt aus England, heißt Tom Leonard und war davon überzeugt, dass der Schriftsteller J.D. Salinger mit ihm sprechen werde. J.D. Salinger wohnt seit 1953 in einem Dorf in New Hampshire. Er hat seit 1965 keinen Text mehr veröffentlicht. Er hat seit 1974 kein Interview mehr gegeben. Salinger ist für zwei Dinge bekannt. Dass er „Der Fänger im Roggen“ geschrieben hat und dass er nicht mit den Medien spricht. Wenn sich J.D. Salinger entscheiden müsste, zwischen mit einem Journalisten sprechen und einen Journalisten erschießen, er würde sofort den Elefantentöter laden.

Das interessierte Tom Leonard nicht. Er fuhr nach New Hampshire, stieg aus seinem Auto und klingelte bei den Salingers. Salinger sagte „Oh no“ und verschwand. Der Journalist schreibt in seinem Artikel, dass „Oh no“ das Ausführlichste sei, was Salinger seit langem zu einem Journalisten gesagt habe. Salingers Frau öffnete und sagte, er wisse ja, dass ihr Mann keine Interviews gebe.

Also sprach Leonard mit Menschen, die mit Salinger zu tun hatten. Eine Frau erzählt ihm, ihr einziger Kontakt bestand darin, dass sie aus Versehen einen Brotlaib vor seine Füße fallen gelassen hatte. Das fand Salinger nicht lustig. Der Geschäftsführer eines Cafés sagte, Salinger esse am liebsten Wraps mit Spinat und Pilzen.

Mein Lebensstil und der von Salinger sind identisch. Mit dem winzigen Unterschied, dass er um die Einsamkeit kämpfen muss, der ich entkommen möchte. Wenn ich weiter so lebe, werde ich nie lachen. Ich richte mich deshalb an Tom Leonard und seine Kollegen: Besucht mich. Ich gebe euch eine ausführliche Wegbeschreibung. Ich zeige euch Fotos aus meiner Kindheit. Neben dem Wohnheim verläuft ein Waldweg, wir könnten spazieren gehen. Der Kuchen im Krankenhauscafé soll ganz gut sein, ich bezahle ihn auch. Wenn ihr wollt, mache ich euch Wraps mit Spinat und Pilzen, genauso wie Salinger sie mag.

Wenn ihr die ersten seid, die mich lächeln sehen, dann habt ihr eure Story.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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