Ich heiratete eine Kitschromanautorin (Lindberg 22)

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Lindberg lebt im Jahr 2060, ist 75 Jahre alt und berühmt und entschließt sich, seine Memoiren zu schreiben. Jeden Freitag veröffentlicht er hier ein weiteres Kapitel. Diesmal berichtet er aus seiner Gegenwart, womit seine Frau Millionen verdient.

2060

Meine Frau und ich – oh nein.

Ich wache auf und höre das Klackern der Schreibmaschine durch die Wand. Neben mir liegt nur noch das Bettdeckengebirge. Ich stehe auf und folge dem Geräusch. Meine Frau sitzt in ihrem Arbeitszimmer und schreibt.
„Was wird das denn, wenn's fertig ist?“
„Mein neuer Roman.“
„Um was geht es diesmal?“
„Das Übliche: Mann verliebt sich in Frau. Frau ist aber verheiratet. Dann irgendwas mit einem Autounfall und Klippen, vielleicht auch außer Kontrolle geratene Pferde.“ „Also ein Buch, das niemand braucht.“
„Nur du nicht.“

Meine Frau ist Schriftstellerin. Sie schreibt Liebesromane. Von jedem verkauft sie mehr als hunderttausend Exemplare. Dann geht sie auf Lesereise, kein Stuhl bleibt frei, und die Zuschauer sagen, dass sie an den und den Stellen geweint hätten. Dann erzählt meine Frau in Fernseh- und Zeitungsinterviews, wie sehr sie diese Reaktionen berührten. Regelmäßig, also auch heute, sage ich meiner Frau, dass ich den Erfolg nicht verstehe, denn was sie schreibe, sei im besten Falle mittelmäßiger Schund, so vorhersehbar wie im Film der Untergang der Titanic.

„Du bist doch bloß neidisch, dass du mit deinen Sachbüchern immer nur 55-jährige Kollegen und unerträglich klugscheißende Politikstudenten erreicht hast.“
„Meine Bücher waren Bestseller.“
„Im Vergleich zu meinen sind sie Ladenhüter.“
„Dafür trage ich nicht zur Banalisierung der Gefühle bei.“
„Du trägst zu überhaupt nichts bei.“
„Ich wollte sowieso gerade gehen. Ich habe einen Termin bei meinem Verleger.“
„Der arme Mann. Dass der dich noch immer durchfüttert.“
„Ich bin ein Erfolgsschriftsteller.“
„Nicht in der Welt außerhalb deines Kopfes.“

Mein Verleger hat die ersten 21 Kapitel meiner Autobiografie vor sich liegen. Wir sitzen in seinem Büro. Er sieht mich nachdenklich an.

„Lindberg, ist das wirklich alles, was Sie können?“
„Wie meinen Sie das?“
„Na ja, das ist entsetzlich langweilig. Nehmen Sie die Sache mit der 48-Jährigen, die Sie im Internet kennengelernt haben. Am Ende gehen Sie mit ihr einen Kaffee trinken. Einen Kaffee! Das interessiert doch niemanden, mit wem Sie Kaffee trinken gehen. Warum sind Sie nicht mit ihr ins Bett gegangen?“
„Bin ich doch später noch. Dauert noch ein paar Kapitel. Aber das ist nun mal mein Leben, da war eben auch nicht alles aufregend. Doch nehmen Sie die Sache mit dem betrunkenen Sparkassenleiter, der aus Versehen den Hund der Künstlerin tötete, die Geschichte ist doch supertraurig.“
„Hund? Sparkassenleiter? Ich erinnere mich gerade nicht dran. Ich erinnere mich an überhaupt nichts mehr. Und was sollen immer wieder die Exkursionen in die Gegenwart?“
„Das ist Kunst.“
„Nennen Sie es, wie Sie wollen, aber sorgen Sie dafür, dass ich nicht einschlafe.“
„Meine Autobiografie ist nicht zum Einschlafen. Sie ist ein historisches Zeitdokument.“
„Das ist doch dasselbe. Es wäre besser, wenn Sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen würden.“
„Bitte was? Ich bin Schriftsteller. Das habe ich nicht nötig.“
„Sie sind Journalist, ja ein sehr guter, waren Sie jedenfalls. Für einen Schriftsteller haben Sie sich nur Ihr ganzes Leben lang gehalten. Fragen Sie doch mal Ihre Frau, ob die Ihnen nicht ein paar Kniffe beibringt.“
„Meine Frau kann mir nichts beibringen. Meine Frau schreibt Schund.“
„Schund, für den sie die Leute lieben. Und sogar das Feuilleton ist nicht abgeneigt. Erinnern Sie sich hingegen an Ihren Romanversuch?“
„Stochern Sie nicht in alten Wunden. Die Welt war eben noch nicht so weit. Aber schreiben kann ich trotzdem.“
„Gehen Sie zu Ihrer Frau!“
„Man könnte fast meinen, auch Sie lesen ihre Bücher.“
„Bitte was?“
„Oh nein, Sie lesen tatsächlich ihre Bücher.“
„Sprechen Sie nun mit Ihrer Frau oder nicht?“
„Die ist sowieso schon so überheblich.“
„Das ist Ihr Problem. Wenn das nächste Kapitel nicht spannender wird, müssen wir das ganze Projekt nochmal überdenken.“
„Sie überlegen, das Buch nicht zu veröffentlichen?“
„Ich sage nur, dass wir dann noch mal neu denken müssen.“
„Sie veröffentlichen meine Bücher seit 40 Jahren.“
„Sprechen Sie einfach mit Ihrer Frau, dann ersparen Sie uns allen unangenehme Momente.“

Als meine Frau und ich beim Abendessen sitzen, nutze ich die Gelegenheit.

„Achso, bevor ich es vergesse – ich habe heute einen alten Bekannten in der Stadt getroffen. Seine Tochter will Schriftstellerin werden und da hat er gefragt, ob du nicht mal ein paar Tipps aufschreiben könntest, wie man eine gute Geschichte verfasst.“
„Klar. Gib mir doch einfach seine E-Mail-Adresse, dann maile ich ihm das.“
„Ach, das kannst du mir auch einfach mitgeben, wir sehen uns sowieso bald wieder.“
„Aber per E-Mail geht das doch viel schneller.“
„Ich glaube, er hat gar keine E-Mail-Adresse.“
„Er hat keine E-Mail-Adresse? Wer hat denn keine E-Mail-Adresse? Dann schicke ich es ihm einfach per Post.“
„Ich weiß seine Adresse gerade nicht. Gib‘s doch einfach mir.“

Sie beißt in ihr Käsebrot. Sie soll aufhören zu grinsen.

„Na gut, aber pass auf, dass es sonst niemand liest.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden