Ich verkaufe mich nicht an die Arbeiterpartei

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Ich habe eine Lesung in meiner Heimat. Weil der Veranstalter eine Partei ist, die ich nicht wähle, muss ich mich vorher von der Partei distanzieren.

Manchmal fahre ich in meine Heimatgemeinde. Das hat mit meiner Mutter und ihrer Waschmaschine zu tun. Nur in der nächsten Woche kehre ich aus einem anderen Grund zurück: Ich werde dort meine Kolumnen vorlesen. Der SPD-Ortsverband hat zum zweiten Mal einige Autoren aus der Gegend zum „Lesesonntag“ in einen leer stehenden Supermarkt eingeladen.

Beim ersten Mal war ich auch dabei. Die Leute zogen ihre dicken Mäntel nicht aus, Mikro gab es nicht, die Menschen lagen mir aber selbstverständlich zu Füßen. Dass der Nachbericht auf der Homepage der SPD mich mit 26 Jahren genauso als Nachwuchstalent bezeichnete wie eine 15-jährige Fantasy-Autorin, freute mich so sehr, dass ich mein Kommen für die zweite Ausgabe sogleich zusagte. Außerdem hatte mir der Juso-Vorsitzende am Samstag vor Ostern ein rotgefärbtes Osterei überreicht und gesagt, er sei ein großer Fan. Ruhm ist eine schillernde Sache.

Ich habe aber ein Problem. Der Lesesonntag läuft zwei Wochen vor den Kommunalwahlen in meinem Bundesland und die Bürgermeisterkandidatin der SPD wird die Veranstaltung moderieren. Ich glaube nicht an Zufälle. Ich befürchte, dass meine kritische Leserschaft mich sehr kritisch kritisieren wird, wenn ich mich im Wahlkampf einspannen lasse, als hieße ich Günter Grass, gelte ich meiner Leserschaft doch als unabhängiger Freigeist. Neulich haben einige berühmte Blogger Werbung für Vodafone gemacht und sind dafür sinngemäß auf offener Straße erschossen worden. Das möchte ich vermeiden. Deshalb werde ich mich im Folgenden von der SPD und ihrer Kandidatin distanzieren und erklären, warum der Bürgermeister dieser anderen Partei Bürgermeister bleiben muss.

Der Bürgermeister ist seit fünf Jahren Bürgermeister. Seit fünf Jahren meistert er seine wichtigste Amtshandlung, den Fassanstich zur Kirmeseröffnung. Auch ich habe ihn damals gewählt, das hatte inhaltliche Gründe. Der SPD-Kandidat trug auf den Wahlplakaten eine randlose Brille, und randlos ging überhaupt nicht, der Kandidat der anderen Partei trug keine Brille, also auch keine randlose. Das überzeugte mich.

Jetzt ist wieder Wahlkampf. Der Bürgermeister wirbt auf dem Plakat mit dem Spruch: „Weiter so für unseren Ort“. Die SPD sieht das anders. Ihre Kandidatin tritt mit dem Spruch „Frischer Wind für unseren Ort“ an. Die SPD hat gelernt, die Kandidatin trägt keine randlose Brille. Das ist aber auch alles, denn die SPD zieht in eine Schlammschlacht und wirft dem Bürgermeister vor, dass er die Internetseite der Gemeinde für 20000 Euro hat renovieren lassen, um Wahlkampf zu machen. Aus diesen Worten spricht Neid. Der Bürgermeister hat zum Beispiel ein tolles Willkommensvideo gedreht, für das er bestimmt 19000 der 20000 Euro gebraucht hat.

Das Video zeigt, wie der Bürgermeister hinter einem Tisch mit rot-weiß-karierter Tischdecke sitzt. Auf dem Tisch steht ein Blumenstrauß in einer Blumenvase und ein Glas, das mit Wasser gefüllt ist. Der Tisch steht nicht in seinem Büro, sondern vor Sehenswürdigkeiten des Ortes. Vor dem Rathaus, vor dem Brunnen, vor der Mühle und weil es das dann auch war mit den Sehenswürdigkeiten, sitzt der Bürgermeister nach einer Minute wieder vor dem Rathaus.

Wäre ich Kritiker, würde ich auf den wechselnden Wasserstand im Glas hinweisen. Vor dem Rathaus ist das Glas zu zwei Dritteln gefüllt, vor dem Brunnen zu einem Drittel, vor der Mühle zur Hälfte und vor dem Rathaus wieder zu zwei Dritteln. Nie wird gezeigt, wie der Bürgermeister trinkt oder wie er sich neues Wasser einschüttet. Ich bin allerdings kein Kritiker, mich irritiert das nicht.

Der Bürgermeister sagt in dem Video: „Neben dem aktuellen Tagesgeschehen finden Sie in unserer Datenbank viele Dokumente zur Gemeindeentwicklung. Unser Ort blickt mittlerweile immerhin auf über 1100 Jahre Geschichte zurück.“ Diesen Hinweis finde ich wichtig, weil ich unbedingt wissen möchte, wie der Gemeinderat 1465 über das neue Jugendheim diskutiert hat, das damals gebaut werden sollte.

Ich stelle mir auch vor, wie ein Bewohner des Ortes gerade am Rathaus war, als der Bürgermeister dort beim Am-Tisch-Sitzen gefilmt wurde. Und wie der Bewohner dann zufällig zur Mühle fuhr und dort der Bürgermeister schon wieder am Tisch saß mit der Tischdecke, den Blumen und dem Wasserglas. Das muss ihn sehr überzeugt haben. Er wird zuhause gesagt haben: „Frau, wir wählen wieder den Bürgermeister. Er zieht gerade mit einem Tisch von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit und lässt sich dabei filmen.“

Es ist zwar unhöflich, von einer Partei für eine Lesung eingeladen zu werden und dann für den Gegenkandidaten zu sein, aber mein Gewissen ist stärker. Ich werde meine Stimme am 30. August dem aktuellen Bürgermeister geben. Achso, ich darf hier ja gar nicht mehr wählen.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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