Ich war drei Tage offline, die Welt will, dass ich darüber schreibe

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Unser Kolumnist fragt sich, warum alle Bücher nur noch davon handeln, wie es Deutschen als Lehrer oder in Finnland ergeht.

Zu den schlimmsten Ideen des deutschen Buchhandels gehört es, die minderwertigen Titel am prominentesten zu platzieren. Wer durch das Erdgeschoss* einer Buchhandlung geht, fragt sich nicht, wann das Abendland untergehen wird, sondern, wann es untergegangen ist. Es ist dort neben dem neuen Roman von Frank Schätzing** und Axtmorden aus Skandinavien nur ein weiteres Genre vertreten: der Erfahrungsbericht.

Menschen schreiben darüber, dass sie bei den Hells Angels waren. Bei Quizshows. Ein halbes Jahr offline. Polnische Putzfrau in Deutschland. Kellner. Lehrer. Weiblicher ADAC-Engel. Morgens Polizist, abends Hooligan. Sanitäter. Oder einfach in einem anderen Land. „Die spinnen, die Finnen“ und „Finnen von Sinnen.“ Herzlichen Glückwunsch! Sie haben es geschafft, in ein anderes Land zu reisen. Bitte schreiben Sie doch unbedingt ein Buch darüber. Gerne auch mit „gnadenloser Selbstironie“. Niemals hätte Hape Kerkeling seine Erlebnisse auf dem Jakobsweg aufgeschrieben, wenn er gewusst hätte, welchen Trend er damit auslösen würde.

Diese Erlebnisaufsätze nehmen nicht deshalb die Hälfte einer Buchhandlung ein, weil sie einen literarischen Wert hätten. Das ist für eine Buchhandlung eine völlig irrelevante Kategorie. Sie verkaufen sich einfach nur wie bescheuert, weil sie die Bedürfnisse aller Beteiligten befriedigen. Der Autor kann das Erlebte ungeheuer aufwerten, wenn er es als Buch veröffentlicht. Der Verlag muss sich nicht mit durchgeknallten und sensiblen Schriftstellerseelen herumplagen, die immer noch vier Monate mehr Zeit wollen, sondern haben es mit bodenständigen Berufsgruppen und anspruchslosen Ghostwritern zu tun. Und der Leser erhält einen kurzweiligen Einblick in eine fremde Welt, der weder Verstand noch Weltbild strapaziert.

Die Buchbranche denkt aber bereits einen Schritt weiter. Weil bald alle Schaffner, Skilehrer und LKW-Fahrer ein Buch geschrieben haben, beginnen nun auch die Angehörigen der Betroffenen, ihre Erlebnisse für druckrelevant zu halten. Kürzlich stieß ich in einer Filiale auf das Buch „Lehrerkind – lebenslänglich Pausenhof“. Dort erzählte ein Bastian Bielendorfer mit gnadenloser Selbstironie usw. Bald also zu erwarten: „Kickerkind – lebenslänglich Abseits“. „Politikerblag – für immer Wahlkampf“. „Die spinnen, die Finnen, mein Sohn aber auch, denn er wohnt dort und schreibt ein Buch darüber“.

Ich werde auch ein Buch schreiben. Ein minderwertiges zwar, aber besser ein minderwertiges im Buchhandel, als ein großartiges in der Schublade. Meine Mutter ist Kindergärtnerin, und ich bin ihr Kind. Was bedeutet, dass ich eine Kindergärtnerin zur Mutter habe. Dass sie eine Kindergärtnerin ist, hat mich gar nicht so sehr geprägt, aber dafür gibt es in der Unterhaltungsliteratur ja das Mittel der Überspitzung. Immer schön an den Leser denken, damit der Leser nicht denken muss.

Einen Arbeitstitel habe ich bereits: „Lebenslänglich Urinale in 50 Zentimetern Höhe“. Das erste Kapitel handelt davon, dass meine Mutter es gar nicht gerne mag, dass ich sie Kindergärtnerin nenne. Korrekt heiße es Erzieherin. Und dann sage ich, dass das Wort Kindergärtnerin doch so schön sei, so poetisch. Erzieherin hingegen klinge eher nach Fräulein Rottenmeier. Daraufhin sagt meine Mutter, ich sei so ein Klugscheißer, ich müsse ein Lehrerkind sein. Nein, sage ich, dazu fehlt mir die gnadenlose Selbstironie.

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* Die Bestückung des Erdgeschosses in einer Buchhandlung sagt mehr über den Zustand der deutschen Kultur aus als ein Blick in die Fernsehzeitung. Nur, was im Erdgeschoss liegt, wird auch verkauft. Je schlimmer also die dortige Auswahl, desto schlimmer Deutschland. Die einzigen, die noch auf eine andere Etage fahren, sind Studenten. Weil sie müssen. Denn die wissenschaftlichen Bücher stehen stets in der obersten Etage.

** Ja, Frank Schätzing hat für seine Bücher ganz viel recherchiert und es ist alles so realistisch und so überhaupt nicht weit hergeholt bla bla bla wenn ich die Realität sehen will, gucke ich aus dem Fenster oder schaue mir die Zusammensetzung des Sortiments im Erdgeschoss einer Buchhandlung an.

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