Ich werde berühmt, dann stolpere ich über Fotos

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Ich lande in der Zukunft und erfahre, dass ich kitschige Liebesromane schreibe. Dann gerät mein Ruhm wegen einer Badewanne in Gefahr.

Ich habe mir aus alten Apfelsinenkisten eine Zeitmaschine gebaut und bin ins Jahr 2020 gefahren.

Im Jahr 2020 bin ich ein berühmter Buchautor, der Opfer einer Hetzkampagne ist. Beides überraschte mich. Laut meines Wikipedia-Eintrags habe ich gerade meinen Debütroman veröffentlicht, „Die Sehnsucht der Sterne“. In dem Buch geht es um einen jungen Mann aus einer Kleinstadt, der sich in die Tochter des reichsten Unternehmers der Kleinstadt verliebt und sie sich in ihn. Der Unternehmer hat gerade fast alle Mitarbeiter entlassen, auch den Vater des jungen Mannes. Weil das Liebespaar seine Liebe deshalb verheimlichen muss, trifft es sich immer nachts in der Sternwarte der Kleinstadt.

Die Kritiker, die es gut mit mir meinen, und die, die es schlecht mit mir meinen, schreiben, ich sei der legitime Nachfolger von Rosamunde Pilcher. Ich habe den dreizehnten Teil von Harry Potter von Platz 1 der Spiegel-Bestenliste gestoßen. Bei Youtube finde ich Ausschnitte von Talkshows, in denen ich davon spreche, dass Küssen die Sprache der Liebenden ist und echte Gefühle gesellschaftlich geächtet seien.

Mich schüttelt es, aber die Verkaufszahlen geben mir Recht. In einem Interview sage ich, dass ich an meinem zweiten Roman arbeite. In dem geht es um eine erfolgreiche, aber in ihrer Ehe unglückliche Topanwältin, die sich in einen heruntergekommenen, aber jungen Obdachlosen verliebt. „Ich bin davon überzeugt, dass Liebe keine Grenzen kennt“, sage ich.

Nun aber ist mein Ruhm bedroht, weil ein dunkles Geheimnis über mich an die Öffentlichkeit gelangt ist. Eine große Zeitung hat ein Foto abgedruckt, auf dem ich als Kleinkind in der Badewanne sitze. Nackt. Das kam so: Meine Mutter dachte, ich müsste mal wieder in die Wanne, zog mir die Klamotten aus und setzte mich ins Wasser. Dann machte sie ein Foto, weil ich wie die meisten anderen Kleinkinder ganz süß aussah.

Die große Zeitung titelte „Dalkowskis nackte Vergangenheit“. Andere fragten „Darf so jemand die Bestsellerlisten anführen?“ oder „Was verbirgt der Herr Schriftsteller noch?“. Der einzige Bischof, der noch nicht wegen irgendwas zurückgetreten war, sagte in einem Interview: „Herr Dalkowski ist als Vorbild für unsere Jugend nicht mehr tragbar. Wenn die jungen Leute merken, dass sich moralische Zügellosigkeit auszahlt, führt das geradewegs ins Verderben.“ Bei Facebook begrüßte die Gruppe „Wir kaufen keine Bücher von Nackedeis“ ihr 100000. Mitglied.

Ich rief sogleich meine Mutter an.
„Mutter“, sagte ich, „hast du den Journalisten etwa das Foto gegeben?“
„Na ja, die standen plötzlich vor meiner Tür und wollten mit mir über dich sprechen.“
„Und da hast du ihnen direkt das Foto gegeben?“
„Sie haben mich gefragt, ob es nicht auch süße Kinderbilder von dir gebe und da ist mir direkt dieses Bild eingefallen.“
„Wie konntest du nur?“
„Ich habe mir doch nichts dabei gedacht. Wie konnte ich denn ahnen, dass die das gegen dich verwenden?“
„Mutter, die sind von der Zeitung. Das war’s vielleicht mit meiner Karriere.“
„Kaufst du mir trotzdem das Haus am Meer?“

Dann rief mein Verleger an.
„Sebastian, wir müssen reden.“
„Worüber?“
„Du musst dich entschuldigen.“
„Wofür?“
„Das weißt du ganz genau.“
„Nein.“
„Für das, was auf dem Foto zu sehen ist.“
„Dafür, dass ich als Kind nackt in einer Badewanne gesessen habe?“
„Ja.“
„Hätte ich etwa bekleidet in der Badewanne sitzen sollen?“
„Ich denke nicht, dass das die Zeit für einleuchtende Argumente ist, Sebastian. Also entschuldige dich bitte. Das Interview mit der großen Zeitung ist schon verabredet.“ „Was passiert, wenn ich das nicht mache?“
„An deiner Stelle würde ich das nicht riskieren.“

Ich ertrug es nicht mehr und fuhr mit der Zeitmaschine ins Jahr 2010 zurück. Als ich ausstieg und mir die Schlagzeilen ansah, beschloss ich, ins Mittelalter weiterzufahren.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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