Ich werde Deutscher Meister

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Mich treibt in diesen Tagen die Frage, die alle stellen: Wer wird Deutscher Meister? Im Unterwasserrugby. Wie praktisch, dass ich den Favoriten trainiere.

Ich bin in einer anderen Welt aufgewacht. Es war irre. Ich war der Trainer vom TSV Malsch, eine der besten Unterwasserrugby-Mannschaften Deutschlands.

Ich stehe auf, gehe duschen und setze mich mit meinem Kaffee an den Frühstückstisch. Die Bild-Zeitung titelt „Heute wird der TSV Malsch Deutscher Meister“. Heute ist der letzte Spieltag. Mein Team ist Spitzenreiter braucht noch einen Punkt, um Meister zu werden. Zum ersten Mal. Im Innenteil fünf Seiten Unterwasserrugby. Prominenten tippen, wer Deutscher Meister wird. Sie sagen, die und die Mannschaft wird siegen, weil sie am besten schwimmen und Luft anhalten kann und in heimischen Gewässern unbesiegt ist. Auf der letzten Sportseite lese ich unten rechts eine kurze Meldung. In der Fußballbundesliga können noch drei Vereine Deutscher Meister werden, Favorit ist der VfL Wolfsburg.

Mein Handy klingelt. Der Unterwasserrugbyer ist dran: „Herr Dalkowski, haben Sie schon beide Hände an der Meisterschale?“ Ich sage, was ich in diesen Tagen immer sage: „Der Drops ist noch nicht gelutscht.“ Er fragt weiter: „Warum verlassen Sie diese Mannschaft nach Saisonende?“ „Dazu habe ich bereits alles gesagt.“ Ich lege auf. Natürlich wechsle ich. Der neue Verein hat doch ganz andere Möglichkeiten. Mein nächstes Ziel ist England. Dort schwimmen die Rugby-Spieler schneller und atmen kürzer.

Ich ziehe mir eine Sonnenbrille auf und gehe zum Bäcker. An der Theke fragt die Verkäuferin einen Kunden: „Gehen Sie nachher auch das Spiel gucken?“ „Natürlich. Früher hat mich das nie interessiert, aber jetzt, wo unser Team so gut geworden ist...“ Ich sagte: „Das liegt allein am Trainer.“

Auf der Straße kommen mir Menschen entgegen, sie tragen Badehosen mit dem Emblem meines Teams, einige tragen noch ihre Jeans darunter. Was ist bloß mit dieser Stadt passiert? Als ich hier angefangen habe, kamen kaum fünf Zuschauer ins Hallenbad.

Zuhause gehe ich nochmal die Taktik durch. Bloß nicht zu sehr durch die Mitte, den Gegner nicht ins Spiel schwimmen lassen. Ich erwische mich dabei, wie ich an den Fingernägeln kaue. Ich schaue auf die Uhr. Noch drei Stunden bis Spielbeginn. Ich schalte den Fernseher ein. Werbung. Einige Spieler der Unterwasserrugby-Nationalmannschaft sitzen an einem Tisch und essen Nutella-Brote. Im nächsten Spott macht der Kapitän Werbung für die neuen Adidas-Flossen, in der nächsten der Nationaltrainer für eine Hautcreme.

Was würde dieses Land eigentlich ohne Unterwasserrugby machen? Gab es eine Zeit, in der Achtjährige auf die Frage nach ihrem Traumberuf nicht antworteten „Unterwasserrugby-Profi“? In der nicht in jedem Dorf ein Bolzbecken aufgebaut war?

Scheiße, was passiert da gerade? Ich sitze am Beckenrand. Das spielt läuft seit zwölf Minuten und die 40000 Fans in Badehose und Bikini sind genauso entsetzt wie ich. Gerade haben wir das 0:1 kassiert, ein klarer Abwehrfehler. Ich schicke meinen Co-Trainer los. Er soll herausfinden, wie das Spiel zwischen dem Tabellenzweiten und dem Tabellendritten steht. Wenn dort einer gewinnt, müssen wir mindestens Unentschieden spielen, um Meister zu werden. Nach zwei Minuten kehrt er zurück. Totenblass. 1:0 für den TC Bamberg. Die Minuten vergehen. Das Wasser ist bereits völlig aufgewühlt, unsere Supertechniker haben es schwer. Halbzeit. Ich habe kein gutes Gefühl.

93. Minute. Ich habe ein gutes Gefühl. Elfmeter für uns. Beim Stand von 0:1. 45 Minuten sind wir auf das gegnerische Tor zugeschwommen, ohne Erfolg. Der TC Bamberg führt im Spiel der Konkurrenten mit 5:1. Geht dieser Elfmeter rein, sind wir Deutscher Meister. „Es ist doch nur Unterwasserrugby“, denke ich, als unser Schütze aufs Tor zukrault, „es ist doch nur Unterwasserrugby.“ Der Ball schlägt im Tor ein.

Mit meinem Kopfsprung bin ich in drei Sekunden beim Torschützen.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden