Kakao für Kontaktlinsen

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In einem Schnellimbiss habe ich zu viel Zeit und stelle deshalb die Theorie auf, dass deutsche Zeitungsverleger früher um die Alster gejoggt sind und Microsoft bald Leuchttürme baut.

Fast hätte ich statt Kakao Kontaktlinsenflüssigkeit getrunken.

Ich esse mittags häufig in einem Imbiss. Der Imbissbesitzer guckt freundlich und fragt, welche Soße ich haben möchte. Er ist Kroate oder Serbe, auf der Karte stehen Cevapcici und Djuvecreis, auf einem Stapel liegen Zeitungen mit Buchstaben wie ć, č, š und ž.

Der Name des Imbisses ist Paris-Imbiss. Das verstehe ich nicht. Auf der Karte steht ein Baguette, an der Decke hängen vier Frankreich-Flaggen aus Papier, sonst gibt es nichts, was an Paris erinnert. Der Mann trägt nicht mal eine Baskenmütze oder zwirbelt seinen Schnurrbart. Ich habe darüber nachgedacht.

Es muss so abgelaufen sein: Im Papierfahnen-Kaufhaus kauft der Mann aus Versehen französische Papierfahnen statt der serbischen oder kroatischen, die schließlich ebenfalls rot, weiß und blau sind. Doch sein Budget lässt nicht zu, dass er neue Papierfahnen kauft. Also eröffnet er einen Paris-Imbiss, aber in seinem Herzen bleibt der Imbiss für ihn immer ein Balkan-Grill und so sieht auch bald die Speisekarte aus.

Neulich entdeckte ich, dass das sympathische Familienunternehmen Nestle nicht nur Milchpulver, Schokolade und Kakao produziert. Nestle gehört der Mineralwasserkonzern Vittel, Maggi, Thomy und einige Hersteller von Tierfutter. Nestle hält außerdem knapp ein Viertel der L'Oréal-Aktien. Und: Nestle hält 75 Prozent an Alcon, dem größten ophthalmologischen Konzern der Welt. Ophthalmologisch heißt „das Auge betreffend“, Alcon stellt zum Beispiel Kontaktlinsenflüssigkeit her.

Mit meiner Paris-Balkan-Grill-Theorie kann ich diese scheinbar widersprüchliche Kaufpolitik erklären: Firmengründer Henri Nestle war Mitte des 19. Jahrhunderts visionär dazu entschlossen, Kontaktlinsenflüssigkeit zu erfinden. Bei den Experimenten ging allerdings einiges schief und Nestle erfand aus Versehen das Milchpulver. Darauf gründete er seinen Weltkonzern, doch sein Herz schlug weiter für Kontaktlinsenflüssigkeit, während er in der Öffentlichkeit zu Statements wie „Ich liebe Milchpulver über alles“ und „Ich sage ja zu Milchpulver“ gezwungen war. Die Erfüllung des Kontaktlinsen-Traums erlebte er allerdings nicht mehr. Erst 1977 kaufte Nestle das Unternehmen Alcon.

Auch deutsche Unternehmen zeigen, welchen Kindheitstraum ihr Gründer hatte. Friedrich Bayer muss leidenschaftlicher Koch gewesen sein, kochte aber so schlecht, dass er daraus lieber Medikamente herstellte. Doch die Bayer Gastronomie GmbH ist heute in Deutschland ein Gigant im Catering-Sektor.

Der Holtzbrinck Verlag hat jahrelang bloß Zeitungen produziert, nun betreibt sie auch eine Internetseite, auf der die Menschen sich Joggingstrecken basteln können, unter anderem um die Alster. Der häufigste Dialog im Hause Holtzbrinck beim Mittagessen war früher: „Wo ist denn Vater wieder?“ „Der joggt noch, unter anderem um die Alster.“

Die deutsche Post betreibt bereits seit Jahren die Postbank. Wenn ich zur Post gehe, werde ich manchmal gefragt: „Haben Sie schon ein Konto bei der Postbank?“ Ich antworte dann immer: „Halten Sie mal die Klappe.“ Im Supermarkt fragt mich auch niemand, ob ich schon beim Arzt war und ein Autohändler sagt nicht: Ich habe da eine schöne Fahrradtour für sie.

Vorstellbar ist: Coca Cola produziert bald Umstandsmode, Microsoft baut Leuchttürme und Opel Turnschuhe. Was gut für das Unternehmen ist, muss gut für den Kunden sein. Verrückt fände ich es, wenn neben dem Serbo-Kroaten ein Kontaktlinsenflüssigkeitsverkäufer einzieht, der in Wirklichkeit französische Baguettes und Croissants verkauft.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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