Mein Anwalt schreibt meine Kolumne

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Ich darf in dieser Woche meine Kolumne nicht schreiben. Damit ich mir nicht schon wieder Ärger einhandele, übernimmt das in dieser Woche mein Anwalt.

Hallo, hier spricht mein Anwalt, also sein Anwalt. Nochmal: Hallo, hier spricht Sebastian Dalkowskis Anwalt, also schreibt. Und zwar anstelle von Sebastian Dalkowski. Sebastian Dalkowski schreibt in dieser Woche keine Kolumne. In dieser Woche schreibe ich seine Kolumne. Damit Sebastian Dalkowski nicht noch mehr Ärger bekommt.

Es hat einen Zwischenfall gegeben. Herr Dalkowski hat möglicherweise eine fiktive Geschichte über den Politiker einer möglicherweise konservativen deutschen Partei geschrieben, daraufhin meldete sich möglicherweise der Anwalt des Politikers. Er drohte. Also möglicherweise drohte er. Also manche hätten es als Drohung interpretiert. Er sagte: So geht das aber nicht. Ich habe schlimmeres verhindert. Das auf jeden Fall. Für diese Woche habe ich Herrn Dalkowski alle Kugelschreiber weggenommen. Denn in seinen Händen werden Kugelschreiber zu Maschinengewehren.

Ich bin ehrlich: Ich verstehe jeden, der seinen Anwalt gegen die Presse einsetzt. Das einzige Ziel der Presse ist es, Lügen zu drucken, die so unterhaltsam sind, dass sich jeder wünscht, sie wären wahr – und deshalb werden sie irgendwann wahr. Die Presse behauptet, wir Anwälte würden ihre Arbeit immer mehr erschweren, indem wir sie mit Abmahnungen überziehen. Das ist falsch. Die Journalisten haben bloß die Bedeutung von Pressefreiheit missverstanden.

Pressefreiheit bedeutet bloß, dass die Presse frei ist, alles zu drucken und zu veröffentlichen. Und wir hindern sie schließlich nicht daran, alles zu drucken. Kein Anwalt rennt in die Druckerei und sagt: Stopp, diese Zeitung darf nicht gedruckt werden. Kein Anwalt rennt in die Internet-Redaktion und sagt vor dem Erscheinen: Das erscheint nicht.

Im Gegenzug sind wir Anwälte aber frei, nach dem Erscheinen zu verklagen, wen wir wollen und, und zu verlangen, dass die Texte im Internet entschärft werden oder verschwinden. Und wenn ein Artikel einen Mandanten in seiner Intimsphäre verletzt, dann muss der Autor zur Rechenschaft gezogen werden. Bei manchen ist die Intimsphäre sehr spät verletzt, bei anderen sehr früh. Der Radius der Intimsphäre des Einzelnen entscheidet also, wann diese verletzt wird und er das Recht hat zu klagen. Und nicht etwa der gesunde Menschenverstand.

Der gesunde Menschenverstand – so etwas gibt es doch überhaupt nicht. Es gibt nur: Habe ich am Ende des Monats genug Geld, um Miete, Strom, Wasser, Brot, GEZ-Gebühren und das Auto zu bezahlen oder nicht? Wenn ich die Chance hätte, ich würde Sebastian Dalkowski verklagen. Gerade bin ich aber sein Anwalt. Das ist das einzige, was mich davon abhält.

Nun komme ich aber zu meiner eigentlichen Aufgabe. Ich soll die Kolumne von Herrn Dalkowski so umschreiben, dass er dafür nicht wieder Ärger mit einem Anwalt bekommt. Herr Dalkowski hat mir die Kolumne eben gemailt. Jetzt bin ich an der Reihe.

So geht’s los: „Unser Kolumnist stellt sich vor, dass Paris Hilton regelmäßig ihren Kühlschrank küsst.“

Mein Gott, jetzt geht das wieder los. So schreibt er immer. Irgendwas mit Promis und Erotik, in der Hoffnung, dass irgendjemand das liest. Aber nur weil da steht, dass er es sich bloß vorstellt, denkt er, dass kennzeichne bereits die Fiktion. Das muss er deutlicher machen.

Also so: „Unser Kolumnist stellt sich in seinem kranken Hinterstübchen vor, dass Paris Hilton möglicherweise, wenn auch potentiell eher nicht, regelmäßig ihren Kühlschrank küsst, aber wie gesagt, das ist sehr unwahrscheinlich.“

Damit bin ich noch nicht zufrieden, denn die Möglichkeit, dass Paris Hilton ihren Kühlschrank küsst, besteht weiterhin, selbst wenn es nur eine fiktive Möglichkeit ist. Wenn ich aber schreibe, dass Paris Hilton niemals ihren Kühlschrank küsst, dann sagt ihr Anwalt: „Verleumdung, sie küsst doch jeden Tag ihren Kühlschrank.“

Es hilft nichts, Paris Hilton muss raus aus dem Text. Der Satz geht nun so: „Unser Kolumnist stellt sich in seinem kranken Hinterstübchen vor, dass eine blonde Frau möglicherweise, wenn auch potentiell eher nicht, regelmäßig ihren Kühlschrank küsst, aber wie gesagt, das ist sehr unwahrscheinlich.“

Ich habe den Kühlschrank vergessen, der Kühlschrank hat auch einen Anwalt.

„Unser Kolumnist stellt sich in seinem kranken Hinterstübchen vor, dass Paris Hilton möglicherweise, wenn auch potentiell eher nicht, regelmäßig einen voluminösen Bestandteil der Küche küsst, aber wie gesagt, das ist sehr unwahrscheinlich.“

Nach meinem Geschmack ist das immer noch nicht anonym genug. Ich kürze den Prozess ab. In der klagesicheren Variante lautet der Satz: „Unser Kolumnist stellt sich in seinem kranken Hinterstübchen vor, dass irgendjemand möglicherweise, wenn auch potentiell eher nicht, mit irgendwem irgendwas tut, aber wie gesagt, das ist sehr unwahrscheinlich.“

Das soll wohl ein Witz sein? So was will doch keiner lesen.

Bitte, wer spricht denn da?

Der Kolumnist.

Aber das ist doch mein Text.

Irrtum. Ich bin der Autor und Sie habe ich mir nur ausgedacht. Sie sind ein Produkt meiner Fantasie und den Text schreibe ich gerade. Sie sind nur eine Schachfigur in meiner Kolumne.

Wollen Sie mich verleumden? Ich zerre sie vor Gericht.

Bitte?

Ja, ich zerre Sie vor Gericht, weil Sie behaupten, ich sei eine bloße Erfindung.

Sie sind wohl völlig durchgedreht?

Zack, nächste Klage.

Sie sind es doch, der in meiner Kolumne völligen Blödsinn erzählt.

Zack, noch eine Klage. Und ich sage Ihnen, wenn dieser Text irgendwo erscheint, dann…

Das ist ja lächerlich.

Ich will mal nicht so sein.

Sie ziehen die Klagen zurück?

Nein, ich werde Sie in dem Prozess verteidigen.

Gegen sich selbst?

Ja, gegen mich selbst. So gewinne ich auf jeden Fall.

Ich hoffe, das alles ist nur in meinem Kopf passiert. Ich glaube nicht.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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