Mein Spaß heißt Trauer

Jogis Tagebuch 10 Heute berichtet Jogi, warum er Marko Rehmer gegen Dänemark doch nicht aufstellt und was er nach seiner Zeit als Bundestrainer im Prenzlauer Berg verkaufen will
Mein Spaß heißt Trauer

Illustration: der Freitag

Samstag, 16. Juni

Der Fußball ist ein ungerechter Henker. Er enthauptet besonders gerne jene, die am wenigsten damit rechnen. Nur weil ich immer mit ihm rechne, bin ich ihm stets einen Schritt voraus. In der Gruppe der ohnehin schon geheimen Geheimfavoriten, auch bekannt als Gruppe Y, haben sich nun die geheimsten unter ihnen durchgesetzt. Mit großer Freude nahm ich die traurigen Blicke der polnischen Fans und Spieler zur Kenntnis. Was hattet Ihr denn erwartet? Dass Ihr auf einmal Fußball spielen könnt, nur weil ihr im eigenen Land spielt? Hansi und ich schlugen uns beim Fernsehen auf die Schenkel, als würden wir „Der Superstau“ gucken (Erinnerung an mich selbst: Mertesacker soll mir den Film besorgen) und vergaben Noten für das niedergeschlagenste Gesicht. Es ist wichtig, dass man sich von Tränen nicht rühren lässt, das macht einen unangreifbar, gerade im Zusammenhang mit Frauen.

Der heutige Abend hat mich von meinem Plan Abstand nehmen lassen, im Spiel gegen Dänemark Marko Rehmer und Marco Bode auflaufen zu lassen. Ich habe gerechnet und gelesen, aber ich kapiere einfach nicht, wer wann in unserer Gruppe weiterkommt und was die Aszendenten damit zu tun haben. Das Beste ist also, wir gewinnen, und dafür brauche ich zumindest die zweite Garnitur, also die Bayern-Spieler. Heute haben sie gegen die Dortmunder im Training nur noch 1:5 verloren, fast hätte Schweinsteiger sogar einen Elfmeter verwandelt (Innenpfosten). Es geht also aufwärts.

Auf dem Flug nach Lemberg, das hier niemand Lwiw nennt, auch wenn „Lemberg“ so klingt, als würden wir es zurückfordern (es hat uns aber ja nie gehört, es waren die Österreicher), also auf dem Flug dorthin erzählte Hansi mir eine interessante Geschichte, die mich sogleich auf eine verrückte Idee brachte für die Zeit nach meiner Karriere als Bundestrainer. Ein Bekannter hatte ihn angerufen und erzählt, dass er bei den Deutschland-Spielen nur sehr leise jubeln könne, weil nebenan die Kleine schläft. Darauf achte seine Frau sehr.

Ich stelle mir das für den Prenzlauer Berg vor, diesem einzigen Ort Deutschlands, an dem die Hochschulabsolventen noch Kinder bekommen. Wenn wir da jetzt morgen das 1:0 schießen, dann wollen die Väter gerade aufspringen, um wie verrückt den Viertelfinaleinzug zu feiern, doch da sagt die Ehefrau „Psst, bist du verrückt? Torben schläft noch. Er hat morgen Tennis und Posaune.“ Und dann müssen die Väter sich freuen, als würden sie auf der Toilette sitzen. Und im ganzen Bezirk bleibt es still wie in einem evakuierten Braunkohledorf.

Wenn es mir irgendwann zu langweilig werden sollte, ständig Welt- und Europameister zu werden, eröffne ich einen Eierkarton-Laden für fußballbegeisterte Väter im Prenzlauer Berg.
„Waren da mal Bio-Eier drin?“
„Natürlich!“
„Kann ich die Eier mal sehen?“
„Ähem…“

Jogi Löw ist damit beschäftigt, Europameister zu werden. Sein geheimes Tagebuch muss unser Autor Sebastian Dalkowski schreiben. Der hält sich deshalb bis zum Ausscheiden der Nationalmannschaft für den Bundestrainer

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden