Ich habe Angst davor, arrogant zu werden. Außerdem gerate ich in ein Society-Event mit dem bekanntesten Schriftsteller Deutschlands.
Seitdem ich mich für Schuhe und Hemden interessiere, ist mir Frieden egal. Und soziale Gerechtigkeit. Und der Klimawandel. Und die Dritte Welt. Und der Umsturz der Verhältnisse. Es ist eine Tendenz, die mir Sorgen macht. Ich entwickle eine Oberflächlichkeit, aus der leicht Arroganz und Snobismus werden könnten.
Vor einigen Jahren habe ich in John Steinbecks „Früchte des Zorns“ über den Kapitalismus den Satz gelesen, dass das Monster wachsen muss, sonst stirbt es. Damals ballte ich die Fäuste. Damals.
Neulich bin ich in ein Society-Event geraten. Die Stadt hieß Düsseldorf und lag am Rhein. Genauer darf ich nicht werden, sonst ersticht mich bei meinem nächsten Kö-Bummel ein Stöckelschuh. Der Society-Event bestand darin, dass ein bekannter Filmproduzent einige seiner Fotos in einer Galerie ausstellte und einer der berühmtesten, aber sicher nicht besten Schriftsteller Deutschlands eine Rede zur Eröffnung hielt.
In der Rede kamen Formulierungen vor wie „feinnerviger Porträtist“, „Bilder von großer Tiefenschärfe“, „ganz genau hinschauen“. Und er schloss mit dem Satz: „Die Freiheit des einzelnen geht ihm über alles.“
Ich dachte: „Und von so einem kaufen die Deutschen Millionen Bücher?“ Dann dachte ich: „Deshalb ja.“ Der Filmproduzent sagte über seine Fotos bloß, dass er sie danach ausgesucht habe, ob sie gut sind. Ich wusste nicht, wer mir besser gefiel.
Es waren viele Menschen da, so viele, dass ich nicht umhin kam, einige zu berühren. Die Männer hatten sich Seidentücher unter den Kragen ihres Hemdes gebunden, an den Sakkos glänzten goldene Knöpfe. Die Frauen hatten ledrige Haut und näherten sich in Kleidung und Körper dem Zustand „Gesamtkunstwerk“.
Einmal standen eine Frau und ein Mann vor einem Foto.
Die Frau sagte: „Die Glühbirne finde ich super.“
Der Mann sagte: „Bei uns wird es die wegen der EU-Richtlinien bald nicht mehr geben.“
Unter den Menschen waren auch Prominente: Die Tochter eines österreichischen Musikers und Komponisten, eine Frau, die sich mit Sexberatung im Fernsehen einen Namen gemacht hat, ein ehemaliger WDR-Intendant, ein Spieler von Borussia Mönchengladbach aus den 70ern, jemand, den ich für einen Soap-Darsteller hielt.
Ein Freund, der in Düsseldorf wohnt, sagte mir später: „Mehr Prominenz haben wir nicht.“
Im Keller stand winziges Essen, das deshalb Fingerfood hieß. Mir war nicht klar, aus was es bestand, also rührte ich es nicht an. Gegenüber war eine Theke, an der einige junge Kellnerinnen standen. Immer, wenn ein Gast kam, drückten sie den Rücken durch und spielten das Spiel „Wer sieht am meisten aus wie eine Salzsäule?“
Wenn der Gast verschwunden war, atmeten sie wieder und warfen sich Blicke zu. Dass ich ihnen dabei zusah, störte sie überhaupt nicht.
Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.
Kommentare 11
ich muss zugeben: der titel hat was. der hat was. ich fühle mich ertappt. meine eigene oberflächlichkeit bedroht mich, wer könnte das nicht von sich sagen. aber gehen wir der sache mal nach: was ist denn die eigene oberflächlichkeit. oberflächen, das wissen wir, begrenzen etwas, sonst gäbe es sie nicht. es gibt oberflächen, die begrenzen nur sich selbst, etwa tischoberflächen. da sind sie nur der obere teil einer fläche, die sich selbst genügt. aber die eigene oberfläche, also, ich denke da an meine haut. hat sie pickel, ist sie rein? schlägt sie falten? spannt sie? spannend. und - falls zutreffend - bedrohlich. meine eigene oberflächlichkeit bedroht mich. tagtäglich, stündlich und minütlich. ich fühle mich beobachtet.
"Dieser Text ist Teil meiner Kolumne …" - Da bin ich aber sehr erleichtert, dass hier nur der Teil und nicht die gesamte Kolumne erscheint.
Sie, Mingus, versuchen die Sache von der philosophischen Seite aus anzugehen. Damit betreten Sie jedoch ein weites Feld, ein so weites Feld, dass es, um es mit kreativen Gedanken abschreiten zu können, zumindest grün sein, wenn nicht in voller Blüten stehen müsste. Hier jedoch weit und breit nichts als Ödnis.
Daher schlage ich doch eher die psychologische Perspektive vor. Von der eigenen Oberflächlichkeit könnte sich ein Ich ja nur dann in Form einer Realangst bedroht fühlen, wenn es über die eigene Oberflächlichkeit hinaus noch aus etwas anderem bestünde, das befürchten müsste, dass die Oberflächlichkeit zunehmend Besitz von ihm ergriffe. Wo dies aber nicht gegeben ist, und dafür gibt es in unserem Fall so einige bedenkliche Anzeichen, ist die Angst pathologisch, dergestalt, dass das Ich von einer Phobie vor sich selbst besessen ist, indem es permanent befürchtet, es könnte so werden, wie es schon ist. Da ist leider gar keine Abhilfe in Sicht.
irrtum: unterflächlichkeit hätte es heißen müssen.
unter der Erdoberfläche?
gesetzt, jedes mensch sei eine ganze welt, dann vielleicht. - ach, ich laß das besser, habe grad schweren selektiven mutismus
@ Rahab
Ich hatte an "unterirdisch" gedacht, in Bezug auf den Blogbeitrag.
"... habe grad schweren selektiven mutismus"
Oh, darauf ist schwer zu antworten, wenn das ernst ist. Denn welche Antwort sollte ich vielleicht auf die Frage erwarten, ob das heiße, dass du nicht mit mir sprechen kannst?
So oder so: Einen schönen Maientag wünsche ich.
oranier
ich auch. die alternative war 'maniriert' - oder war's mariniert? egal.
ansprechbar bin ich ja - aber das antworten!
Die Frau sagte: „Die Glühbirne finde ich super.“
Der Mann sagte: „Bei uns wird es die wegen der EU-Richtlinien bald nicht mehr geben.“
>>
Das war doch sehr vernuenftig und verstaendlicher als "krass".
"Einmal standen eine Frau und ein Mann vor einem Foto."
Noch mehr Prosa zum wegwerfen.
Hin und wieder läuft ein Hund des Weges.Manchmal ist die Ampel auf grün. Dass ich ihr dabei zusah, störte sie überhaupt nicht. Warum auch, denn bei uns wird es die wegen der EU-Richtlinien bald nicht mehr geben. Hin und wieder bin erschrocken über Dich. Damals ballte ich die Fäuste. Gestern stand ich stundenlang neben einem Ex-Innenminster. Man wurde da gesoffen. Die Frauen hatten ledrige Haut und näherten sich dem Zustand schwankendem Gesamtkunstwerk. Ich dachte - nein, ich tue es nicht wirklich.
uiuiui,
das war jetzt eine Persiflage. Dafür gibt es hier doch immer ganz bös Mecker.
Ich finde ja Persiflage gut. Die legt so schön offen.
So dies und das.
Ach Titta.
Ein mist[k]erl in der Meckerecke - was kann es heiteres geben. ;-))