Moderne Zeiten: Outdoor-Jacken

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http://media.tumblr.com/tumblr_ktxcdl1sTO1qzip4l.jpgWarum Mitteleuropäer sich so anziehen, als wollten sie zum Nordpol reisen

Es gibt Menschen, die brauchen eine Outdoor-Jacke. Dazu gehören Ranger im Yellowstone-Nationalpark, Lawinenhelfer in den Schweizer Alpen und Reinhold Messner.

Es gibt auch Menschen, die bloß fest davon überzeugt sind, dass sie eine Outdoor-Jacke brauchen. Dazu gehört der mitteleuropäische Stadtbewohner. Dieser trägt mit Begeisterung Jacken, in denen er neun Tage unter einer geschlossenen Schneedecke überleben und jenseits des Polarkreises einen kompletten Satz Autoreifen wechseln könnte. Ist er jung, trägt er eine Jacke von The North Face, ist er über 30, dann eine von Jack Wolfskin oder Wellensteyn.

Einige Stadtbewohner halten es tatsächlich für überlebenswichtig, eine Outdoor-Jacke zu besitzen. Diese Leute überprüfen auch jeden Tag, ob die Schneeketten funktionsfähig sind. Für gewöhnlich weiß der Stadtbewohner aber, dass er nicht jenseits des Polarkreises oder im Himalaja wohnt und durch den Schnee in seiner Stadt stets noch der Asphalt schimmert – wenn es überhaupt einmal schneit. Und die zahlreichen Taschen, die er "echt praktisch" findet, braucht er höchstens für seinen MP3-Spieler oder als Archiv für Kaugummipapier und Einkaufszettel.

Es geht ihm um etwas anderes. Der Träger einer Outdoor-Jacke will bloß das Gefühl haben, für alles gerüstet zu sein. Es beruhigt ihn zu wissen, dass er theoretisch auf der Stelle nach Lappland fliegen und dort aussteigen könnte, ohne zu frieren. Das ist für ihn Freiheit – theoretisch hinzugehen, wo er will. Auch wenn er damit nur das mulmige Gefühl bekämpft, als Stadtbewohner den Kontakt zur Natur zu verlieren. Seht her, sagt er mit seiner Outdoor-Jacke, wenn ich wollte, dann könnte ich mich sofort in die Wildnis stürzen. Damit täuscht er zugleich die Sportlichkeit vor, die er selbst gerne besäße.

Wenn er sich tatsächlich in die Wildnis stürzt, fährt er in ein deutsches Mittelgebirge wie das Sauerland oder die Eifel. Denn nur diesem Zweck dienen diese Hügelketten – um Leuten in Outdoor-Jacken vorzugaukeln, dass sie noch eine Verbindung zu Mutter Natur haben.

Ist es einmal wirklich kalt in der Stadt, sagt der Besitzer einer Outdoor-Jacke zu seinem Partner, dass sie nun unmöglich rausgehen könnten. Er schlägt stattdessen vor, Trivial Pursuit zu spielen oder die neue Staffel von Stromberg zu gucken. Dann macht er sich eine heiße Schokolade und umschließt die Tasse mit beiden Händen, um sich zu wärmen.

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