Nichtwähler sind auch so was wie Menschen

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Ich gehe am Sonntag wählen, verurteile aber niemanden, der es nicht macht. Warum Nichtwähler nicht die neuen Aussätzigen sind.

Schon immer wollte ich eine Kolumne schreiben, die bereits im zweiten Satz ihre eigene Verzichtbarkeit gesteht. Heute schreibe ich über Politik. Wem das nicht gefällt, der schnalle sich bitte seinen Düsenantriebsrucksack um und fliege davon.

Am Sonntag gehe ich wählen, andere gehen auch wählen. Einige gehen nicht wählen. Diese Menschen müssen sich momentan viel anhören. Auch von Promis, die mit ihren Unterhaltungsprodukten die Menschen von Politik ablenken. Wie könnten sie nur… in anderen Ländern wären die Leute froh… bei unserer Vergangenheit. Ich stelle mich schützend vor die Nichtwähler und sage: Das ist schon okay, Leute. Ich unterscheide noch zwischen Nichtwählern und Vorbestraften.

Wenn Menschen nicht wählen gehen, hat das zwei Gründe: Sie haben etwas Besseres zu tun wie Fernsehen gucken oder Badezimmer kacheln. Oder sie haben den Glauben an die Parteien verloren.

Die erste Gruppe ist die Folge einer indirekten Demokratie, wie es unsere ist. Ein System, in dem von einem nur erwartet wird, dass er ab und zu ein Kreuzchen macht, führt dazu, dass Menschen auch darauf noch verzichten. Vor allem, wenn alles gut läuft. Ich habe mich auch erst mit dem Innenleben meines Computers beschäftigt, als der ständig abstürzte.

Die zweite Gruppe sagt: Wen sollen wir wählen, nichts für uns dabei. Ganz nach dem Kabarettisten Hagen Rether: „Das ist Demokratie. Wenn man sich aussuchen kann, wer einen verarscht.“
Dann kommen zwei Gegenargumente. Zuerst: Wer nicht wählen geht, stärkt die Rechten. Freunde, wenn man Leute nur noch damit zum Wählen bringt, dass sonst Nazis ins Parlament kommen, stimmt etwas nicht. Das zweite Argument geht so: Wer nicht wählen geht, darf sich nachher nicht beschweren. Das bedeutet, dass sich die beschweren dürfen, die sich Illusionen machen, wählen gehen und dann enttäuscht werden. Wer sich aber bereits vorher keine Illusionen macht und nicht wählen geht, der darf sich nicht beschweren. Das verstehe ich nicht.

Es ist doch so: Wählen ist wie Essen gehen. Es gibt verschiedene Gerichte auf der Speisekarte und im Idealfall findet man etwas, das man mag. Meistens aber nimmt man etwas, mit dem man leben kann. Der Nichtwähler ist der, der sagt: Ich nehme gar nichts, ist doch alles derselbe fade Blödsinn. Nur eine der fünf wichtigsten Parteien ist für einen sofortigen Abzug deutscher Truppen aus Afghanistan. Und wer die wählt, gilt noch weniger als ein Nichtwähler.

Wird der Koch sagen: Sie haben einfach keine Ahnung was gut ist? Nein, der Koch wird sich Gedanken machen, ob er etwas falsch gemacht hat. Nicht bei der ersten Beschwerde, auch nicht bei der zweiten, aber irgendwann kann er es nicht mehr für die Meinung einzelner Gäste halten, dass sein Essen schlecht ist.

Dass Politiker Nichtwähler unter Druck setzen, ist nur ein Weg, nicht zugeben zu müssen, dass sie sich mit der Demokratie nicht so richtig Mühe gegeben haben. Sie sind gescheitert.

Damit sie dieses Scheitern nicht vergessen, schlage ich vor, Nichtwähler bei der Wahl zu berücksichtigen. Wenn sieben Prozent nicht wählen gehen, dann werden sieben Prozent der Sitze nicht besetzt, die Sitze werden auch nicht weggeräumt. Dann werden Politiker sich nicht nur in den vier Wochen vor der Wahl daran erinnern, für wen sie das eigentlich alles machen.

Warum ich trotzdem wählen gehe? Die Unterschiede zwischen den Parteien sind gering, aber es sind eben Unterschiede. Ob jemand nicht mehr allzu lange militärisch in Afghanistan vorgehen will oder sich noch etwas Zeit lässt, das macht viel aus.

Ich habe schon wieder Illusionen.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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