Silvio Berlusconi liegt unter meinem Bett

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ich habe einen ungewöhnlichen Gast unter meinem Bett. Außerdem erkläre ich, warum mich Buchhandlungen deprimieren.

Es erstaunt mich einigermaßen, als ich eines Tages ein Geräusch unter meinem Bett höre und entdecke, dass Silvio Berlusconi dort liegt.

„Hallo“, sagt er.
„Herr Berlusconi, darf ich fragen, was Sie unter meinem Bett zu suchen haben?“
„Ich muss mich verstecken.“
„Warum?“
„Lesen Sie denn keine Zeitung? Seitdem mir dieser Verrückte einen Kirchturm ins Gesicht geworfen hat, fühle ich mich nicht mehr sicher. Ich habe Angst, dass es nicht das letzte Attentat auf mich ist.“
„Herr Berlusconi, erstens war es ein Kirchturmmodell und zweitens haben Sie andere Möglichkeiten, sich zu verstecken, als unter meinem Bett.“
„Aber unter Ihrem Bett vermutet mich niemand.“
„Das ist wahr. Trotzdem muss ich Sie bitten zu gehen.“
„Warum?“
„Weil das einfach völlig unglaubwürdig ist, dass Sie unter meinem Bett liegen und mit mir sprechen. Das nimmt mir niemand ab. Was nicht sein kann, ist auch nicht.“
„Aber Sie sehen doch, dass ich hier liege. Außerdem sollen Sie es ja auch nicht weitererzählen. Sie sollen mich bloß unter Ihrem Bett wohnen lassen. Wenigstens für ein paar Tage.“
„Ausgeschlossen. Sie verstehen das nicht. Ich fordere Sie auf, sofort unter meinem Bett hervorzukommen und das Haus zu verlassen.“
„Sie schicken mich in den sicheren Tod.“
„Sie übertreiben. Wenn Sie nicht gehen, lasse ich heute Nacht einen fahren. Das geht locker durch die Matratze.“
„Bitte, nur eine Nacht. Nur diese eine Nacht. Dann gehe ich garantiert.“
„Na gut. Aber morgen früh sind Sie weg, noch bevor ich aufgestanden bin.“
„Auf jeden Fall. Tausend Dank. Können Sie mir eine Decke bringen.“
„Bitte?“
„Ich friere.“
„Ich sehe mal nach.“

Am nächsten Morgen lege ich mich auf den Fußboden und gucke unters Bett. Berlusconi schläft.
„Herr Berlusconi, aufwachen!“
Er reagiert nicht.
„Herr Berlusconi, aufwachen! Sie müssen jetzt gehen.“

Ich rüttele an seiner Schulter. Er grummelt.
„Was ist denn los?“
„Sie wollten schon längst weg sein.“
„Seien Sie nicht so herzlos. Es ist noch früh am Morgen.“
„Das ist mir egal.“
„Ich bitte Sie, lassen Sie mich noch ein paar Tage bleiben, bis meine Leute ein sichereres Versteck gefunden haben. Ich verspreche Ihnen, dann gehe ich sofort.“
„Das können Sie vergessen.“
„Sie wissen ja nicht, wie das ist, wenn halb Italien Ihren Kopf will.“
„An diesem Zustand sind Sie ja nicht ganz unschuldig.“
„Rechtfertigen Sie etwa die Gewalt gegen mich?“
„Nein, aber Sie sollten sich einfach fragen, warum Sie so viele Feinde haben.“
„Das hilft mir jetzt auch nicht. Sobald ich dieses Bett verlasse, jagt mich der Mob. Sie schicken mich in den sicheren Tod.“
„Ich sehe keinen Mob.“
„Ich bin auch bereit, Sie für Ihre Hilfsbereitschaft zu bezahlen.“
„Mmm, na gut, aber nur ein paar Tage. Und dann schmeiße ich Sie raus oder gehe zur Polizei.“
„Ich wusste, dass Sie ein großes Herz haben. Wo gehen Sie denn jetzt hin?“
„Frühstücken.“
„Könnten Sie mir gleich ein Käsebrot mitbringen? Ich sterbe vor Hunger.“
„Mal sehen.“

Ich gebe ihm an diesem Tag auch etwas von dem Gulasch ab, das ich mir mittags zubereite, und stelle eine Flasche Wasser dazu, als er sagt, er werde sogleich verdursten. Als ich abends Fußball gucke, setze ich den Fernseher auf den Boden, damit er das Spiel verfolgen kann. „Bitte, bitte, ich langweile mich doch so sehr.“

Am nächsten Tag verlangt er das Telefon, weil er seinen Assistenten anrufen muss.
„Wie läuft es eigentlich mit der Suche nach einem neuen Versteck?“, frage ich ihn abends.
„Meine Leute sind dran, es kann jeden Tag soweit sein.“
So geht das eine Woche. Er bekommt Frühstück, Mittagessen, Abendessen und darf sich manchmal auch aussuchen, was wir uns abends ansehen. Ein neues Versteck hat er noch nicht, allmählich werde ich ungeduldig.

*****

Ich war wieder in einer Buchhandlung. Das war keine gute Idee. Buchhandlungen machen mich depressiv. Buchhandlungen führen keine Bücher von mir. Das Buch „Die Vermessung der Welt“ ist nicht von mir, das Buch „Atemschaukel“ ist nicht von mir, selbst den Diät-Ratgeber „Schlank im Schlaf für Berufstätige“ habe ich nicht geschrieben.

Ich habe schon überlegt, in der Buchhandlung die Namen „Daniel Kehlmann“ und „Herta Müller“ auf dem Buchcover durchzustreichen und meinen Namen darauf zu schreiben. Was mich davon abhielt, war nicht mein Stolz, diese bulimische Eintagsfliege, sondern mein fehlender Mut.

„Junger Mann, was machen Sie denn da?“
„Ähm… also ich schreibe meinen Namen auf die Bücher, weil sie meine Bücher nicht führen. Ich brauche das für mein Selbstwertgefühl.“
„Sie wissen, dass Sie die Bücher nun bezahlen müssen.“
„Wieso das? Ich habe die Bücher doch geschrieben. Es steht schließlich mein Name darauf. Sehen Sie hier?“
„Stimmt, jetzt, wo Sie es sagen. ‚Atemschaukel‘ war wirklich ein tolles Buch. Ich habe es an einem Abend gelesen. Haben Sie dafür nicht den Literaturnobelpreis bekommen?“
„Ja, und für die ‚Buddenbrooks‘.“
„Fand ich ja ein wenig lang.“

*****

Eines Tages komme ich sehr spät nach Hause. Ich höre das Kichern aus meinem Schlafzimmer sofort und sehe unter dem Bett nach. Dort liegt Berlusconi mit zwei jungen Frauen. Ich kann nicht leugnen, dass die Frauen attraktiv und nackt sind.
„Hallo, Herr Dalkowski, ich habe mir nur ein wenig Besuch eingeladen. Es ist nur ein wenig eng hier. Könnten Sie die Bettpfosten nicht irgendwie verlängern?“
„Ich bin Silke“, sagt die eine.
„Ich bin Sabine“, sagt die andere.
„Es reicht, Herr Berlusconi. Es ist ja in Ordnung, dass Sie ein paar Tage unter meinem Bett wohnen, dass Sie Essen bekommen und telefonieren, aber dass Sie nun noch mit Ihren Gespielinnen unter mein Bett gehen, das geht zu weit.“
„Warum?“
„Weil das überhaupt nicht sein kann. So etwas passiert in Träumen, aber nicht in der Realität. Oder finden Sie es normal, dass Sie sich hier mit zwei Frauen unter meinem Bett vergnügen?“
„Herr Dalkowski, ich frage Sie: Ist es normal, dass mir ein Verrückter das Modell des Mailänder Domes ins Gesicht wirft? Ist es normal, dass ich so viel Macht habe in Italien, dass mich afrikanische Diktatoren beneiden? Ist es normal, dass sich in Kopenhagen die Staatschefs der Welt treffen und so verhandeln, als könnte sie die Wahrung ihrer wirtschaftlichen Stärke vor der Überflutung retten? Nein, es ist nicht normal, es ist völlig unlogisch und trotzdem passiert es. Das gehört dazu. Sie müssen sich damit abfinden, dass in Ihrem Leben Dinge geschehen, die Ihnen niemand glauben wird, der nicht dabei war.“

Ich dachte zehn Sekunden nach. Dann schob ich vier dicke Bücher unter die Bettpfosten, ging in die Küche, drehte das Radio laut und schlug die Zeitung auf.

*****

Dass die Buchhandlungen keine Bücher von mir führen, liegt vor allem daran, dass ich noch keines veröffentlicht habe. Manchmal wünschte ich, meine Schreibtischschublade könnte lesen.

Dabei habe ich so viele geschrieben. Meinen ersten Roman schrieb ich mit 15. Er war 350 DIN-A4-Seiten lang, Schriftgröße 12, und handelte davon, wie ein Junge namens Fritz sich in ein Mädchen namens Marie verliebt. Diese wird entführt, weil sie die Tochter des Bürgermeisters ist. Fritz befreit sie und erlebt dabei eine Menge abwegiger Abenteuer.

Mein zweiter Roman handelt davon, wie drei finstere Gestalten im Himmel wetten, ob Alkohol einen unbedarften und tadellosen Jugendlichen komplett umdrehen könnte. Dieser Junge landet aufgrund des Alkohols am Ende in einer Sexsekte und wird gezwungen, seinen Vater zu erschießen. Ich war damals sehr missionarisch unterwegs, ich pubertierte wild.

Ich spare mir die Inhaltsangaben der anderen drei Romane. Immerhin kenne ich nun den Grund für meinen fehlenden Erfolg: Meine Geschichten sind konstruiert, unglaubwürdig, an den Haaren herbeigezogen. Ich glaube, die Menschen wollen etwas lesen, was nach echtem Leben klingt. Wie etwas, das sie selbst so erleben könnten. Deshalb habe ich beschlossen, nur noch aus meinem Leben zu berichten. Normaler und damit realistischer als mein Leben ist kein anderes.

Moment, was ist da unter meinem Bett?

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden