Weltliteratur in der Antarktis

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In einem unterirdischen See am Südpol wartet Schriftstellerruhm auf mich. Außerdem werde ich Patenonkel von Frank Schirrmachers Nachwuchs.

Ich finde, diese Sätze atmen Weltliteraturluft: „Der Mann, der die Erde retten wird, trägt einen Schnurrbart und zündet sich eine Zigarette an. Dann legt er sich aufs Bett und starrt an die Decke. Auf dem Tisch neben dem Bett steht ein Radiogerät.“ Ich muss das mit der Weltliteraturluft sagen, ich habe diese Sätze geschrieben.

Seit Jahren will ich einen Bestseller schreiben. Für die Kritiker und die Leser. Bisher habe ich weder für die Kritiker noch die Leser einen Bestseller geschrieben. Höchstens für meine Mutter. Hilft mir nicht weiter. Es sei denn, sie kauft täglich 500 Mal mein Buch.

Ich möchte nicht wegen der Frauen ein berühmter Schriftsteller werden, die mir Fotos schicken, die ich mit 15 dringend gebraucht hätte. Ich möchte ein berühmter Schriftsteller werden, damit ich auf Lesungen bestimmen kann, was ich trinke. Benjamin Lebert hat mal gesagt „Ich hätte gerne Spezi“ und bei seiner Lesung stand Spezi auf dem Tisch. Ich glaube allerdings nicht, dass er es getrunken hat. Er hätte ja recht häufig aufgestoßen. Wenn er gesagt hätte „Ich möchte einen Elefanten auf einer Olive“, hätte bei seiner Lesung ein Elefant auf einer Olive auf dem Tisch gestanden. Jeder Wunsch geht in Erfüllung. Wenn man berühmt ist, verhalten sich alle Leute wie der Weihnachtsmann zu einem.

Ich komme zurück zu dem Mann, der die Welt retten wird. Der mit dem Schnurrbart. Weltliteraturluft. Weil ich nicht in der Lage bin, mir die Geschichte richtig auszudenken, gucke ich mir die Wirklichkeit an. Die fabriziert einen Bestseller nach dem anderen. Neulich sah ich einen Dokumentarfilm über eine unglaubliche Sache in der Antarktis. Unter dem ewigen Eis haben die Forscher einen See entdeckt, der wegen der vier Kilometer dicken Eisschicht keinen Kontakt mit der Außenwelt hat. Da könnte es also Lebewesen geben, die die Menschheit noch nicht gesehen hat, zum Beispiel Hunde mit Flossen. Der See heißt Wostoksee.

Um ein vier Kilometer tiefes Loch zu bohren, brauchen die Forscher allerdings Maschinen, die ordentlich mit Schmieröl herumsauen. Dann wäre der See die längste Zeit unberührt gewesen. Wie blöd wäre das für den See? Kaum Kontakt zur Außenwelt, schon Ölpest. Die Wissenschaft hat ein echtes Problem.

Ich stelle mir nun vor: Da ist ein Mann, der eine Maschine entwickelt, die den See nicht versaut. Es ist der Abend vorm ersten Einsatz. Der Mann liegt auf dem Bett in seinem Antarktiszimmer und hört Radio. Er ist ziemlich gut drauf, alle sind ihm dankbar für seine Erfindung, bald wird er einen Preis nach dem anderen erhalten. Aber im Radio hört er immer wieder Meldungen von den Dingen, die die Menschen mit sich anstellen. Krieg, Atombomben, Guantánamo.

Der Mann beschließt, dass dieser See von der Welt abgeschottet bleiben muss, weil sonst in diesem See auch bald Krieg, Atombomben und Guantanámo sind. An dieser Stelle wird der Roman sehr moralisch. Der Mann geht zu seiner Maschine und schlägt mit einem Hammer auf sie ein, bis sie vollkommen hinüber ist. Der Stationschef kommt angerannt und fragt: „Was haben Sie da bloß gemacht?“ Und der Schnurrbartmann antwortet: „Ich habe die Welt gerettet.“ Dann Schluss. Startauflage 500000. Übersetzung in 20 Sprachen. Frank Schirrmacher macht mich zum Patenonkel seiner Kinder.

Leider gibt es ein kleines Problem: Mehr als die drei Sätze von eben habe ich noch nicht hinbekommen. Das ist meinem Bestsellerplan eher abträglich. Aber erst, wenn mir wirklich nichts mehr einfällt, werde ich mit den drei Sätzen eine Kolumne beginnen. Damit ich die Sätze nicht völlig umsonst geschrieben habe.

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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