Wie Catsimatidis auf Chelseas Hochzeit kam

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Unser Kolumnist fährt in die Zukunft und erinnert sich dort an die Hochzeit von Chelsea Clinton im Jahr 2010. Sein Freund Catsimatidis tat alles, um dabei zu sein.

Catsimatidis weinte.

Dicke Tränen flossen seine Wangen hinunter und verschwanden zwischen den Grashalmen, als ich ihn im Park traf.
„Warum weinst du, Catsimatidis?“
Doch er winkte nur ab und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.
„Ist es wegen deiner Frau? Wegen deiner Firma?“
„Es ist nichts.“
„Catsimatidis, ich sehe doch, dass du weinst.“
„Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?“
Ich nickte. Wir setzten uns auf eine Bank.

John Catsimatidis, 62, war der schwerreiche Besitzer einer amerikanischen Supermarktkette und wohnte nur zwei Straßen von mir entfernt. Wir hatten uns kennengelernt, weil wir beide die Angewohnheit hatten, um acht Uhr morgens durch den Park zu gehen. Dabei waren wir irgendwann ins Gespräch gekommen.

„Es ist so“, sagte er, „Chelsea Clinton heiratet am 31. Juli ihren Freund, diesen Marc Mezvinsky. Das ist ein großes Ereignis, besonders wegen ihrer Eltern. Ich habe Bill im Wahlkampf mit Millionen unterstützt und deshalb fest mit einer Einladung gerechnet.“
„Und?“
„Ich habe keine Einladung bekommen.“
„Vielleicht hat Chelsea noch keine verschickt.“
„Es sind keine zwei Wochen mehr bis zur Hochzeit.“
„Und wenn schon – deshalb brauchst du doch nicht zu weinen.“
„Ich muss aber bei dieser Hochzeit dabei sein. Ich muss.“
„Warum?“
„Ich muss einfach.“

Wenn wir miteinander sprachen, waren wir immer sehr offen. An diesem Morgen aber verschwieg ich ihm etwas.

Zwei Tage später las ich in der New York Times einen Artikel über die Hochzeit. Der Artikel handelte von den Menschen, die Chelsea nicht eingeladen hatte. Catsimatidis kam auch zu Wort. Laut New York Times habe er darauf gehofft, eingeladen zu werden. Er fühle sich aber nicht allzu schlecht, denn die Hochzeit sei ja keine große Sache.

Am nächsten Morgen sprach ich Catsimatidis darauf im Park an: „Ich dachte, du seiest furchtbar enttäuscht.“
„Das bin ich ja auch, aber ich kann mich doch in der New York Times nicht so bloßstellen.“
„Aber du wolltest doch, dass es ein Geheimnis bleibt.“
„Na ja, ich habe gehofft, Chelsea würde mich danach doch noch zu ihrer Hochzeit einladen.“
„Und hat sie?“
Catsimatidis sah mich mit großen traurigen Augen an und schüttelte den Kopf.

Den Morgen darauf sah ich Catsimatidis wieder weinen.
„Was ist passiert?“
„Ich habe mir ein Herz genommen und Chelsea angerufen. Ich wollte einfach wissen, warum ich keine Einladung bekommen habe. Und weißt du, was sie geantwortet hat?“
„Sag schon.“
„Sie hat gesagt, sie wisse ja, dass ich ihrem Vater viel Geld gespendet habe, doch sei das ihre Hochzeit und da möchte sie wirklich nur Leute einladen, die ihr nahestehen. Und alte Leute brächten ohnehin die Gefahr mit, dass die Feier eine lahme Angelegenheit wird. Und dann hat sie gesagt, dass es ihr ja schon schwerfalle, ihre Eltern einzuladen. Ihre eigenen Eltern.“ „Na dann braucht es dir ja nicht peinlich zu sein.“
„Das verstehst du nicht. Ich bin John Catsimatidis. Ich darf dort nicht fehlen.“

Ich räusperte mich.
„Catsimatidis, ich muss dir was gestehen.“
„Was denn?“
„Chelsea hat mir eine Einladung geschickt. Schon vor vier Wochen.“
„Warum das denn?“
„Na ja, wir kennen uns, seitdem wir Kinder sind. Mein Vater war der Hausmeister an ihrer Schule. Eines Tages hatte ihr Fahrrad einen Plattfuß und mein Vater beauftragte mich, den zu flicken. So wurden wir Freunde. Einen Sommer lang waren wir sogar ein Paar.“
„Warum hast du mir denn noch nie davon erzählt?“
„Es ist doch nicht so wichtig.“
„Immerhin wichtig genug, dass sie dich zu ihrer Hochzeit einlädt, mich aber nicht… Moment mal.“
„Was denn?“
„Du wirst mir helfen, aufs Hochzeitsgelände zu kommen.“
„Wie soll ich das denn machen?“
„Das wirst du schon noch sehen.“

Und so kam es, dass ich am Nachmittag des 31. Juli im Jahr 2010 hinter der Mauer wartete, die das Hochzeitsgelände umgab. Es war ein altes Anwesen in Rhinebeck, N.Y., und es gehörte Freunden der Clintons. Die Feier war bereits im Gang.
Dann hörte ich Catsimatidis von der anderen Seite der Mauer rufen.
„Bist du da?“, fragte er.
„Ja.“
„Sehr gut. Dann werfe ich jetzt das Seil rüber. Binde es einfach um den nächsten Baum.“
Zwei Minuten später hörte ich, wie Catsimatidis begann, sich ächzend am Seil hochzuziehen.
„Ich mache mir den schönen weißen Anzug schmutzig.“
„Daran hättest du mal vorher denken sollen.“
„Es ist eben mein Lieblingsanzug. Den hatte ich schon, als Chelsea noch ein Kind war.“
„Sie weiß das sicher zu schätzen.“
„Ach sei doch ruhig.“
„Bist du bald drüber?“
„Ich schaffe es nicht.“
„Und jetzt?“
„Du musst mich über die Mauer ziehen.“
„Catsimatidis, dafür bist du viel zu schwer.“
„Red dich nicht raus, zieh einfach.“

Nachdem ich mir die Hände am Seil verbrannt hatte, tauchte Catsimatidis‘ Kopf endlich über der Mauer auf. Eine Minute später plumpste er auf den Rasen.
„So, wir können.“
„Du bist ja völlig verschmutzt.“
„Stell dich nicht so an. Lass uns feiern gehen.“
Schon stapfte er mit großen Augen Richtung Festzelt.

Es brauchte nur eine halbe Stunde, bis Catsimatidis erkannte, dass er auf der langweiligsten Hochzeitsfeier aller Zeiten gelandet war. Chelseas Freunde feierten so ausgelassen wie ein 100-Meter-Läufer den vierten Platz im olympischen Finale. Sie guckten ständig auf ihre iPhones und standen an der Tanzfläche herum. Das Essen war lauwarm, die Musik wie von Frank Zander zusammengestellt. Bill und Hillary verzogen sich bereits nach zehn Minuten.

Catsimatidis klopfte mir auf die Schultern.
„Lass uns gehen“, sagte er, „dann haben wir noch was vom Abend.“
„Gerne.“
„Moment, da fällt mir noch etwas ein.“
Und er ging zu Chelsea, die sich gerade über einen Teller Kartoffelgratin hermachte, und sagte: „Vielen Dank, dass du mich nicht zu deiner Hochzeit eingeladen hast.“

Dieser Text ist Teil meiner Kolumne "About a Boy", die jeden Freitag bei RP Online erscheint. Mehr Folgen gibt es hier.

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