Das Beruhigungsmittel

Hanau Metaphern können helfen, sich ein besseres Bild von der Realität zu machen. Der Gift-Vergleich führt beim Thema Rassismus aber auf den Holzweg
Zu recht beunruhigt
Zu recht beunruhigt

Foto: Patrick Hertzog/AFP/Getty Images

Es waren starke Worte, die am Tag nach dem rassistischen Attentat von Hanau fielen. Erstaunlich viele sprachen von Rassismus, vom gesellschaftlichen Klima, das in den Blick genommen werden müsse, und forderten Konsequenzen. Besonders eine Metapher wurde immer wieder bemüht: „Rassismus ist ein Gift“, sagte etwa Angela Merkel. Siemens-Chef Joe Kaeser bezeichnete Hass, Ausgrenzung und Rassismus als „Gift für die Zivilisation“. Und Armin Laschet warf den Rechten vor, ihr Gift in die Gemeinschaft zu träufeln.

Metaphern können helfen, sich eine bessere Vorstellung von der Realität zu machen – vorausgesetzt, es handelt sich um passende Metaphern. Die Gift-Metapher führt beim Thema Rassismus aber auf den Holzweg. Ob durch Spritze, Gift-Cocktail oder Schlangenbiss: Gift dringt von außen in einen Organismus ein. Die Gift-Metapher vermittelt also, es gebe hier die Gesellschaft, bei der eigentlich alles soweit im Lot ist, und da das Gift, das jemand einträufelt.

Wer Rassismus als Gift versteht, externalisiert die Ursachen. So fällt unter den Tisch, dass Rassismus Produkt dieser Gesellschaft, seit der Zeit des Kolonialismus und des Imperialismus existenzieller Bestandteil bürgerlicher Gesellschaften ist, sich in das „westliche“ Denken eingeschrieben hat – und dass Rassismus bis heute einen treuen Dienst für den Kapitalismus leistet. So lässt sich besser ausbeuten, wer sprachlich abgewertet und rechtlich schlechter gestellt ist. Die „Gastarbeiter“ können ein Lied davon singen, Arbeitsmigrant*innen auf Baustellen, in Fleischfabriken oder bei Fast-Food-Ketten ebenfalls.

Über all das muss sich zum Glück niemand Gedanken machen, denn das Gift Rassismus ist zwar böse und gefährlich, aber hat ja nichts mit uns zu tun. Es gibt zwar ein paar vergiftete Rassisten, aber auch viele Gesunde, die aufatmen können, weil sie verschont geblieben sind. Vor lauter Glück vergessen sie, dass in dieser Gesellschaft unzählige Menschen beim täglichen Kampf um Ressourcen das Nachsehen haben, weil ihr Name „irgendwie komisch“ erscheint, sie „anders“ aussehen oder nicht den richtigen Pass vorlegen können.

Aufatmen können vor allem die großen Gewinner dieser Gesellschaft, denn wenn alle nur an Gift denken, kommt bestimmt niemand auf die Idee, dass etwas mit dem vermeintlich gesunden Organismus selbst nicht stimmen könnte, dass wir nämlich in einer Gesellschaft leben, in der Ausbeutung, Konkurrenz und Ungleichheit Grundvoraussetzungen sind. So ist die Rede vom Rassismus als Gift letztlich vor allem eines: ein Beruhigungsmittel.

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