Der Möchtegern-Spalter

Porträt Jörg Meuthen zeigt sich erneut als Opportunist, wenn er von der Trennung der AfD vom Höcke-„Flügel“ palavert
Ausgabe 15/2020
Für den Wettbewerb um die beste Imitation der NPD hatte er sich spätestens mit seiner Hetzrede von „Netto-Nafris“ qualifiziert
Für den Wettbewerb um die beste Imitation der NPD hatte er sich spätestens mit seiner Hetzrede von „Netto-Nafris“ qualifiziert

Foto: Metodi Popow/Imago Images

Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Parteichef laut über die Spaltung seiner Partei nachdenkt. Jörg Meuthen, einer der beiden Sprecher der AfD, regte am 1. April an, der „Flügel“ um Björn Höcke und die Rest-AfD könnten in Zukunft getrennte Wege gehen. Kein Aprilscherz: Beide Seiten würden davon profitieren, meinte Meuthen und forderte eine mutige, ergebnisoffene Debatte. Dabei ist Mut sicher nicht die Eigenschaft, die Parteifreunde mit seinem Namen verbinden. Mut, sich mit den völkischen Kräften in der Partei anzulegen, noch viel weniger. Im Gegenteil: Früh suchte Meuthen den Schulterschluss mit den Völkischen, um seine Position zu sichern.

Anders als die meisten an der Parteispitze zählt Meuthen, 58, nicht zu den Mitgliedern der ersten Stunde. Er beobachtete die Anfänge der AfD aus der Distanz, trat selbst erst nach der Bundestagswahl 2013 in die Partei ein, als die AfD mit einem Ergebnis von 4,7 Prozent einen Achtungserfolg gefeiert hatte. Er habe es unfair gefunden, wie am Abend der Wahl in einer Talkshow mit Parteigründer Bernd Lucke umgegangen worden sei, kolportierte er.

Keine zwei Jahre darauf folgte Meuthen auf Lucke an der Spitze der Partei. Meuthen, zu diesem Zeitpunkt noch als Professor für Volkswirtschaftslehre an einer Verwaltungshochschule in Baden-Württemberg tätig, sollte nach Luckes Weggang die neoliberalen und nationalkonservativen Mitglieder in der Partei halten. Als viele Lucke folgten und die AfD verließen, schaute sich Meuthen nach neuen Bezugspunkten um – und wurde fündig: Am rechten Rand hatte sich um Björn Höcke der völkische Flügel formiert.

Gemeinsam mit Alexander Gauland und Höcke bildete Meuthen spätestens ab 2016 ein Dreigestirn, das sich gegenseitig stützte und schützte. Auf Parteichef Meuthen konnten sich die Völkischen lange verlassen. Unter Journalisten und Journalistinnen wurde die Vorhersehbarkeit von Meuthens öffentlichem „Krisenmanagement“, wenn Parteimitglieder wieder mit fragwürdigen Aussagen Aufmerksamkeit erregt hatten, schnell zum Running Gag: Er zeigte sich zunächst bestürzt, beteuerte dann, davon noch nichts gehört zu haben, garantierte im dritten Schritt, das Gespräch mit der betreffenden Person zu suchen. Tatsächliche Konsequenzen mussten die Völkischen unter diesem Parteichef nicht fürchten.

Als Höcke Anfang 2017 in Dresden das Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnete, konnte Meuthen allerdings nicht behaupten, das sei ihm entgangen. So befand er, sein Parteifreund habe „nichts Verwerfliches“ gesagt. Die Mehrheit des damaligen AfD-Bundesvorstands sah das anders und leitete ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke ein. Meuthen stimmte dagegen.

Die größte Stärke von Jörg Meuthen besteht vielleicht darin, zu sagen, was das Gegenüber hören mag. Bei seinen Parteitagsreden lief er bislang zur Hochform auf. Etwa im April 2016, als er beim Programmparteitag in Stuttgart gegen das angeblich „links-rot-grün verseuchte 68er-Deutschland“ ätzte. Oder ein Jahr später in Köln, als er über Innenstädte fabulierte, in denen er nur noch vereinzelt Deutsche sähe. Endgültig für den NPD-Imitationswettbewerb qualifizierte sich Meuthen ein paar Monate später beim Kyffhäusertreffen des „Flügels“ mit der Äußerung, die Bürger hätten die Schnauze voll von „marokkanischen Netto-Nafris“ mit „20 Scheinidentitäten“ und „üppigem Monats-Netto von über 8.000 Euro“.

Meuthen orientierte sich in dieser Zeit vor allem an seinem Co-Vorsitzenden Gauland, dessen Mantra von Beginn lautete, die AfD brauche sowohl den völkischen „Flügel“ als auch Neoliberale und Nationalkonservative. Für Dissens zwischen den Parteiströmungen sorgt ohnehin höchstens die sozialpolitische Ausrichtung, bei der Marktradikale wie Meuthen mittlerweile eher in der Defensive sind. Dass die AfD nur als Sammlungspartei unterschiedlicher rechter Strömungen stark ist, hat Meuthen aber offenbar nicht verstanden. Die Freundschaft zwischen Höcke, Gauland und Meuthen begann nach dem Einzug in den Bundestag langsam zu bröckeln – auch weil die gemeinsame Gegnerin Frauke Petry die Partei verließ. Und weil der Einfluss Gaulands als Integrationsfigur geringer wurde.

Seit der Verfassungsschutz den „Flügel“ ins Visier genommen hat, äußerte sich Meuthen zaghaft, aber zunehmend kritisch gegenüber den Völkischen, die ihm daraufhin ein Warnsignal übermittelten: Sein eigener Kreisverband wollte den Parteichef nicht als Parteitagsdelegierten nominieren. Meuthen rüstete daraufhin bis zum Parteitag Ende 2019 verbal ab und wurde zur Belohnung zum dritten Mal in Folge als Vorsitzender gewählt.

Kurz nachdem der Verfassungsschutz den „Flügel“ als rechtsextrem eingestuft hatte, gelang es Meuthen, im Bundesvorstand einen Beschluss zur Auflösung des „Flügels“ durchzubekommen. Vielleicht ist ihm der Erfolg zu Kopf gestiegen, vielleicht wurde ihm Unterstützung zugesagt, die nicht eingehalten wurde, oder sein Vorstoß zur Spaltung der AfD entsprang schlicht dem Wunsch, die bürgerliche Fassade zu polieren, bald selbst im Bundestag zu sitzen, sich nicht mehr auf Kyffhäusertreffen herumtreiben zu müssen, sondern Zeit in den schicken Räumen der Parlamentarischen Gesellschaft verbringen zu können.

Nach nur drei Tagen musste er die von ihm angestoßene Debatte für beendet erklären. Meuthens Spaltungsüberlegungen führen zu einer seltenen, lagerübergreifenden Einheit, selbst Parteifreunde kritisierten ihn scharf. Es gibt wohl wenige bessere Beispiele für einen Opportunisten als Jörg Meuthen.

Sebastian Friedrich ist Freitag-Kolumnist. Sein Buch Die AfD. Analysen – Hintergründe – Kontroversen ist bei Bertz + Fischer erschienen

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