Die AfD bundesweit bei knapp 20 Prozent – gleichauf mit der Partei, deren Haupteigenschaft ist, gerade den Kanzler stellen zu dürfen. Die Frage nach den Ursachen wird weitgehend frei von Empirie je nach politischer Agenda beantwortet: Auch wenn es verführerisch ist, wahlweise die Ampel, die Ossis oder die Wokeness verantwortlich machen zu wollen, lässt sich der aktuelle Höhenflug nicht auf einen einzigen Begriff bringen.
Zwar kommt es der AfD gelegen, dass die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung so hoch ist wie nie. Aber nicht minder spielt ihr das Agieren der Union in die Karten. Friedrich Merz, Philipp Amthor und Co. erklären Gendersternchen, Cancel Culture und Political Correctness zum Hauptfeind und geben Statements von sich, als hätten von den US
d und geben Statements von sich, als hätten von den US-Republikanern programmierte Chatbots diese verfasst. Der Union nützt das kaum. Der AfD, deren Kerngeschäft der rechte Kulturkampf ist, hilft es enorm.Nach Frauke Petrys AbgangZugutekommt ihr auch, dass nach Jörg Meuthens Weggang und der Neuwahl des Bundesvorstands vor einem Jahr von den parteiinternen Macht- und Richtungskämpfen deutlich weniger nach außen dringt. Der größte Sprung in den Umfragen gelang der AfD aber nicht in den vergangenen Wochen, sondern vor einem Jahr – als die Ängste vor einer Ausweitung des Krieges, vor einer Rezession und vor unbezahlbaren Heizkosten besonders groß waren. Viele Faktoren begünstigen die AfD gerade – ihr maximales Wählerpotenzial, das seit Gründung der Partei konstant bei etwa 20 Prozent liegt, ist damit weitgehend ausgeschöpft.Vor fünf Jahren, im Spätsommer 2018, stand die AfD in Umfragen bereits einmal so gut da wie jetzt. Auch damals war es nach Frauke Petrys Abgang und vor Meuthens Offensive gegen den völkischen Flügel parteiintern vergleichsweise ruhig. Die damalige Bundesregierung stand ähnlich im Wind wie die heutige, was Angela Merkel Wochen später dazu veranlasste, ihren Rückzug anzukündigen und der Kritik Wind aus den Segeln zu nehmen.#ausgehetzt und #unteilbarDass die AfD im Winter 2018/19 schnell wieder in Richtung zehn Prozent sank, ist auch auf die bundesweite Bewegung zurückzuführen, die sich angesichts der Stärke der Rechten formiert hatte: In München demonstrierten bei den #ausgehetzt-Demos regelmäßig Zehntausende und konnten damit sogar CSU-Chef Markus Söder dazu animieren, im bayerischen Landtagswahlkampf den AfD-Imitationswettbewerb vorübergehend abzubrechen, stattdessen Bäume zu umarmen und die AfD frontal zu attackieren. In Berlin gingen unter dem Motto #unteilbar bis zu einer Viertelmillion auf die Straße.All das heizte die öffentliche Debatte um die AfD an. Sie geriet immer stärker in die Kritik und dann sogar ins Blickfeld des Verfassungsschutzes, auch weil führende Köpfe im September 2018 in Chemnitz Seit an Seit mit Nazis marschiert waren. Zwar konnte das alles der AfD nicht das Genick brechen. Doch stieg gesamtgesellschaftlich der Anteil derer, die sich klar gegen die weithin rechtsradikale Partei aussprachen, was eine breite Normalisierung aufhalten konnte.Die AfD als normale ParteiInzwischen aber sinkt die Zahl derer, die in Umfragen angeben, die AfD auf keinen Fall zu wählen. 2020 waren dies 74 Prozent, heute sind es nur noch 55 Prozent. Skandalisierungen verlieren mit der Zeit an Wirkmächtigkeit, immer mehr Menschen erscheint die AfD nun als „normale demokratische Partei“ – zu einem Zeitpunkt, da sie so weit rechts steht wie nie zuvor. Anstatt den Prozess der Normalisierung weiter hilflos zu skandalisieren, ist langfristiges und strategisches Denken notwendig.Das heißt erstens, die neuralgischen Punkte in der AfD und ihrem Umfeld stärker in den Blick zu nehmen. Zwar laufen die internen Konflikte heute geräuschloser ab als früher, doch Richtungskämpfe gibt es noch immer – und das zunehmend in geopolitischen Fragen, man muss nur genau hinsehen: Ende Mai veröffentlichte die Welt Artikel über zwei wichtige Mitarbeiter von AfD-Bundestagsabgeordneten. Die Recherchen enthielten Informationen, die wohl nur andere aus der Fraktion wissen dürften. Brisant war der Zeitpunkt: Wenige Tage zuvor habe es wegen der Anwesenheit von AfD-Chef Tino Chrupalla bei einem Empfang in der russischen Botschaft Streit auf einer internen Fraktionssitzung gegeben. Chrupalla stand in der Kritik und soll zentral vom Abgeordneten Jürgen Pohl unterstützt worden sein. Dass die in der Welt als „prorussisch und antidemokratisch“ beziehungsweise „langjähriger Neonazi“ geouteten Mitarbeiter bei Chrupalla und Pohl beschäftigt sind, dürfte also kein Zufall sein.Zweitens muss es darum gehen, sich nicht auf den Kulturkampf der Rechten einzulassen. Denn mit diesem lenkt die AfD die Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung, angesichts der neuen Blockkonfrontation, der Klimakatastrophe und der Inflation, erfolgreich auf die Hoffnung um, eine Schlacht gegen Grüne, Ökos, Feministinnen und Migrant*innen zu gewinnen.Krieg, Klima, KapitalismusSozialistische Antworten auf Krieg, Klima und Kapitalismus hingegen dringen kaum durch – aus Sicht vieler gibt es dafür momentan noch nicht einmal ein entsprechendes politisches Angebot. Das zu ändern, wäre die substanziellste Form des Kampfs gegen rechts.Placeholder authorbio-1