Ich wär’ so gern noch produktiver

Kapitalismus Eine Vier-Tage-Woche wäre nur sinnvoll, wenn sie die Arbeit nicht noch mehr verdichtet. Genau das wäre aber zu erwarten
Ausgabe 28/2021
4-Tage-Woche, heiße Quellen, potentiell tödliche Vulkane – schön hier in Island
4-Tage-Woche, heiße Quellen, potentiell tödliche Vulkane – schön hier in Island

Foto: Halldor Kolbeins/AFP/Getty Images

Island begeistert: Nach sympathischen Fußballspielern und Insta-tauglichen Vulkanausbrüchen zaubert gerade eine Studie zur Vier-TageWoche weltweit Menschen ein Lächeln ins Gesicht. Über mehrere Jahre haben rund 3.000 isländische Beschäftigte statt an fünf lediglich an vier Tagen pro Woche gearbeitet. Das Experiment habe funktioniert: Die Produktivität sei gleich geblieben oder sogar gestiegen. Und, nicht zuletzt: Die Beschäftigten waren weniger gestresst. Wäre das nicht auch was für andere Länder?

Arbeitszeitverkürzung ist eine alte Forderung der Arbeiterbewegung. Trotzdem kann sie durchaus im Interesse des Kapitals sein. In Deutschland führte 1906 Bosch als eines der ersten deutschen Unternehmen den Acht-Stunden-Tag ein. Dabei ging es mitnichten darum, die Beschäftigten glücklicher zu machen. Sondern um Profitsteigerung. Robert Bosch versprach sich davon, wie er die Gewerkschaft wissen ließ, möglichst hohe Leistungen bei „möglichst geringer Inanspruchnahme der geistigen und körperlichen Kräfte“. Es rechnete sich: Durch die Umstellung auf Zweischichtbetrieb mit je acht Stunden konnten unterm Strich mehr Magnetzünder hergestellt werden.

Auch beim großen Kampf der Gewerkschaften um die 35-Stunden-Woche freuten sich letztlich die Unternehmer. 1984 einigte man sich auf den „Leber-Kompromiss“, benannt nach dem Gewerkschafter Georg Leber, was weniger Arbeitszeit für die Beschäftigten brachte, aber auch weit mehr Flexibilisierungen und Arbeitsverdichtung. Selbst die Samstags- und Wochenend-Arbeitszeit nahm in der Folge zu.

Dem „Kompromiss“ ging ein langer Arbeitskampf vergleichsweise gut organisierter Gewerkschaften voraus. Wie sähe eine Einigung unter den heutigen Voraussetzungen aus, wo die Arbeiterbewegung weitaus schlechter aufgestellt ist? Unter aktuellen Bedingungen bliebe der zentrale Maßstab für eine Arbeitszeitverkürzung wohl die Frage, ob die Beschäftigten dadurch ihre Produktivität steigern könnten. Um dieselbe Arbeit in weniger Zeit zu erledigen. Arbeitsverdichtung und Lohnkürzungen wären die Folge.

Der sinnvollste, wenngleich nicht einfachste Weg, die Arbeitszeit zu verkürzen, wäre freilich ein anderer: ein Wirtschaftssystem, das nicht mehr auf Profit ausgerichtet ist, eines, in dem nicht länger ein wesentlicher Teil der Arbeitszeit für den Unternehmensgewinn aufgewendet werden müsste. Klingt utopischer als eine Vier-Tage-Woche? Doch wenn man es recht überlegt, wäre das realistischer als die immerwährenden Versuche, den Kapitalismus zu zähmen und in die Schranken zu weisen.

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