Tiny House von Van Bo Le-Mentzel: Brav und bescheiden

Neoliberalismus Lexikon der Leistungsgesellschaft: Tiny Houses sind keine veritable Lösung im Kampf gegen Wohnungsknappheit. Die Konzerne müssen unter Druck gesetzt werden
Ausgabe 18/2019
Häuser im „Tiny House Ville“ auf dem Parkplatz einer IKEA-Filiale in Berlin-Lichtenberg
Häuser im „Tiny House Ville“ auf dem Parkplatz einer IKEA-Filiale in Berlin-Lichtenberg

Foto: Kai-Uwe Heinrich/Tagesspiegel/Imago Images

Seit Wochen diskutieren Politiker, Journalistinnen und Mieterinnen über Enteignungen großer Immobilienkonzerne. Je lauter der Ruf nach Vergesellschaftung wird, desto größer werden die Schweißperlen auf der Stirn der Aufsichtsräte und Vorstände von Konzernen wie Deutsche Wohnen.

Zum Glück gibt es noch die Idee der Tiny Houses. Hierzulande verbinden viele die kleinen, oft fahrbaren Häuschen mit dem Architekten Van Bo Le-Mentzel. Bekannt wurde er mit seiner 100-Euro-Wohnung. Auf den ersten Blick ganz gut für ärmere Menschen. Der Haken: Die auf einem Anhänger aufgestellte Wohnung ist nur 6,4 Quadratmeter groß – ein Bruchteil dessen, was als menschenwürdig gilt.

Le-Mentzel wurde zum Liebling derjenigen, die in Labs und Design-Thinking-Seminaren nach kreativen Lösungen für gesellschaftliche Probleme suchen. Oder, um im Jargon zu bleiben: die die Gesellschaft „engineeren“ wollen. Das Zauberwort: „Social Design“.

Momentan präsentiert Le-Mentzel, der sich Karma-Ökonom nennt, seine Tiny Houses auf einem Ikea-Parkplatz in Berlin-Lichtenberg. Dort trifft er begeisterte Journalisten und Menschen, die sich nach einer kleinen Trutzburg sehnen; er lädt sich Gäste wie Joachim Klöckner ein. Der Superminimalist ist bekannt als Buchautor und Talkshowgast, als Guru der Flexibelsten im flexiblen Kapitalismus: Befreit von allem Ballast, der unbeweglich macht, hat er alle Dinge, die er zum Leben braucht, in einem kleinen Rucksack dabei. Das passt, auch bei den Tiny Houses geht es um Verzicht: Wenn wir nur alle etwas weniger konsumieren, ist das Problem der Wohnknappheit gelöst.

Van Bo Le-Mentzel beruft sich gerne auf das Bauhaus – die Lockrufe zeigten Wirkung. Ein Jahr durfte der Karma-Ökonom auf einem temporären Campus auf dem Gelände des Bauhaus-Archivs in Berlin Tiny Houses bauen. Eine tolle Zeit, berichtete er: „Mein Eindruck ist, dass wir kaum Feinde haben. Wir tun aber auch nichts, was man schlecht finden könnte: Wir nehmen niemandem was weg, wir enteignen niemanden.“ Er möchte alle mit an die Hand nehmen, wie er dem Deutschlandfunk-Kultur-Podcast Lakonisch Elegant klarmachte: „Ich glaube, wir gucken alle in dieselbe Richtung: die Politiker*innen, die Investoren, wir Tiny-House-Forscher. Wir wollen neue Wege finden, um bezahlbaren Wohnraum zu finden.“

Die Bauhaus-Gründer wollten einst die gesellschaftlichen Widersprüche angehen, Van Bo Le-Mentzel will lieber nicht anecken. Anstelle von Enteignung oder zumindest sozialem Wohnungsbau suchen die Tiny-House-Fans nach kreativen Lösungen jenseits des Staates, sehr zur Freude der Konzerne.

Sebastian Friedrich ist Journalist und führt in dieser Kolumne sein 2016 als Buch erschienenes Lexikon der Leistungsgesellschaft fort, welches veranschaulicht, wie der Neoliberalismus unseren Alltag prägt

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