In der AfD eskaliert gerade ein Machtkampf – wieder einmal. Doch anders als die Auseinandersetzungen 2015 und 2017, in deren Folge Bernd Lucke und Frauke Petry die Partei verlassen mussten und die AfD anschließend sogar noch gestärkt daraus hervorging, hat der aktuelle Konflikt das Potenzial, die rechtsradikale Partei in den Untergang zu stürzen.
Im Mittelpunkt steht Andreas Kalbitz. Bis vergangenen Freitag war er Mitglied des Bundesvorstands und AfD-Chef in Brandenburg. Diese Posten ist er genauso wie seine Parteimitgliedschaft nun erst einmal los. Er soll bei seiner Aufnahme in die AfD verheimlicht haben, dass er Mitglied der Republikaner sowie der Heimattreuen deutschen Jugend (HDJ) war, beide Organisationen gelten als „rechtsextrem“. Dass Kalbitz Mitglied der Republikaner war, ist seit 2014 bekannt; dass er sich 2007 auf einem Camp der HDJ herumtrieb, kam 2018 ans Licht; dass er an einem vergleichbaren Camp 1993 teilnahm, wurde 2019 aufgedeckt. Entscheidend für den Beschluss der AfD-Spitze war ein Gutachten des Bundesverfassungsschutzes, nach dem sich Kalbitz‘ Name auf einer Mitgliederliste der HDJ fand.
Die Entscheidung des Bundesvorstands war knapp, sehr knapp: Sieben Mitglieder stimmten für den Ausschluss, fünf dagegen, einer enthielt sich. Das Ergebnis entspricht damit den Mehrheitsverhältnissen, die die AfD seit Frauke Petrys Austritt prägen. Der mittlerweile offiziell aufgelöste völkische „Flügel“, den neben Kalbitz Björn Höcke anführte, verfügte nie über die absolute Mehrheit der Parteimitglieder, konnte allerdings auf ein gut organisiertes und schlagkräftiges Netzwerk zurückgreifen. Auf dem Bundesparteitag vor knapp einem halben Jahr konnte der völkische Flügel mit Bündnispartnern aus anderen ideologischen Strömungen knapp die Hälfte der Delegierten hinter sich versammelt sehen. Kalbitz selbst wurde mit 50,3 Prozent in den Bundesvorstand gewählt, obwohl Eckpunkte seiner lupenrein rechtsextremen Vergangenheit damals bereit bekannt waren.
Doch seit dem Parteitag wurden die Stimmen lauter, die sich vorgeblich gegen Rechtsextreme in der Partei wandten. Auf Drängen des Bundesvorstands musste sich der Flügel Ende April sogar offiziell auflösen. Jörg Meuthen präsentierte sich als Vorkämpfer gegen den Flügel um Kalbitz und Höcke, mit denen er einst gegen Frauke Petry paktiert hatte. Nun betont Meuthen nach der Entscheidung des Bundesvorstands in Interviews, nicht politische, sondern rechtlich-formale Bedenken seien ausschlaggebend gewesen, Kalbitz aus der Partei zu werfen. Er bemüht diese komplizierte Argumentationsfigur, um sich von Rechtsradikalen abgrenzen zu können, ohne dabei aber die vielen Rechtsradikalen in der Partei vollends zu vergrätzen.
Unter 10 Prozent
Der Ausschluss ist Ausdruck der großen Nervosität, ja Panik in der AfD – und diese Panik ist berechtigt. Denn erstens fürchten die Parteimitglieder, dass bald nicht mehr nur Teile der AfD, sondern die gesamte Partei vom Verfassungsschutz beobachtet werden könnten. Zweitens gelingt es der AfD seit längerem nicht mehr, den gesellschaftlichen Diskurs zu bestimmen: Nachdem Migration und Integration zuerst durch die Debatte um den Klimawandel und dann durch Corona verdrängt wurden, sucht die Partei nach einer klaren Linie. Mit Klima- und Corona-Leugnung allein lässt sich die politische Debatte nicht so einfach dominieren. Nicht gerade förderlich ist es, dass die Partei drittens immer mehr an Zustimmung verliert, seitdem der Verfassungsschutz ein Auge auf sie geworfen hat. Im September 2018 stand die AfD noch bei etwa 18 Prozent, aktuell kommt sie in Umfragen nur noch auf gut die Hälfte des damaligen Werts.
Hinzu kommt viertens ein strukturelles Problem: Der AfD fehlt immer mehr die wichtige Integrationsfigur. Seitdem Alexander Gaulands Einfluss schwindet, brechen die Flügelkämpfe wieder stärker auf. Die AfD war von Anfang an ein fragiles Bündnis, in der neben Völkischen und Nazis auch Nationalkonservative und Neoliberale ihren Platz fanden. Gauland hatte verstanden, dass die Partei nur dann eine Chance hat, sich dauerhaft einen Platz in der politischen Landschaft zu sichern, wenn sie als Sammlungspartei die historisch und ideologisch lang getrennt marschierenden rechten Strömungen vereint.
Höckes Antwort
Dieses Bündnis könnte nun tatsächlich auseinander brechen, denn anders als bei Lucke und Petry, die durch taktische Fehler und mangelnden politischen Instinkt nur einen kleinen Teil ihrer Anhängerschaft mobilisieren konnten, geht der Riss nun quer durch die Partei. Das Lager um Meuthen feiert den Ausschluss. Beatrix von Storch, Georg Pazderski, aber auch Erika Steinbach freuen sich. Der Chef der Zeitung Junge Freiheit, Dieter Stein, spricht von einem überfälligen Befreiungsschlag.
Auf der anderen Seite formiert sich Widerstand gegen die Entscheidung des Bundesvorstands. Björn Höcke wirft auf Facebook namentlich Jörg Meuthen und Beatrix von Storch Verrat an der Partei vor. Er werde die „Spaltung und Zerstörung unserer Partei“ nicht zulassen. Stephan Brandner, der neben Alice Weidel, Tino Chrupalla, Stephan Protschka und Andreas Kalbitz im Bundesvorstand gegen den Ausschluss gestimmt hatte, brachte bereits kurz nach der Entscheidung einen kurzfristigen Bundesparteitag ins Spiel. Dem schloss sich die Junge Alternative Brandenburg an und forderte mit Verweis auf Höckes geschichtsrevisionistische Dresdner Rede, in der er von einer erinnerungspolitischen Wende um 180-Grad sprach, eine „personalpolitische Wende um 180 Grad“. Dazu posteten sie auf Facebook eine Liste der Namen derjenigen, die gegen Kalbitz gestimmt haben – mit der Überschrift: „Merkt euch diese Namen“. Wie ernst der völkische Flügel die Lage sieht, zeigt die Einlassung ihres Vordenkers Götz Kubitschek: „Was Meuthen tat, wird in der AfD zu einem Flächenbrand werden.“
Durch Kalbitz‘ Ausschluss ist die AfD natürlich nicht weniger rechtsradikal, denn die Inhalte des Flügels bestimmen weitgehend die Partei. Dennoch ist das mögliche Ende von Andreas Kalbitz einen Schlag. Der Brandenburger ist zwar kein guter Redner, kein Charismatiker wie Höcke, als Netzwerker und Strippenzieher verfügt er aber über Fähigkeiten, die bei Höcke eher schwach ausgeprägt sind.
Drei Optionen
Höcke, Kalbitz und Co setzen zunächst einmal weiter auf die AfD. Ob der Ausschluss wirklich rechtens war, wird noch zu klären sein. Der Parteienrechtler Martin Morlok hält den Beschluss gegenüber der FAZ für „glasklar unwirksam“. Zu entscheiden habe ein Parteischiedsgericht, nicht der Vorstand. Eine Rolle könnte auch spielen, dass offenbar der Kalbitz-Aufnahmeantrag, auf dem er die falschen Angaben gemacht haben soll, zufälligerweise verloren gegangen ist. Das alles dürfte rechtlich kompliziert werden. Egal, wie der Fall ausgeht: Bis zur Klärung gewinnt der völkische Flügel Zeit, um sich zu sortieren. Bis dahin sollen alle bleiben, wo sie sind. Andreas Kalbitz wandte sich kurz nach der Entscheidung des Bundesvorstands in einer Video-Botschaft sichtlich schockiert an seine Anhänger und bat sie „herzlich“, nicht aus der Partei auszutreten.
Wenn Kalbitz‘ Ausschluss rückgängig gemacht wird, dürfte es zu einem Showdown beim nächsten Bundesparteitag kommen, egal wann dieser stattfindet. Diejenigen, die für den Ausschluss gestimmt haben, werden sich dann erklären und – das zeigen die ersten Reaktionen – mit massivem Gegenwind rechnen müssen. Eine Bündnis-orientierte Zusammenarbeit in einer Sammlungspartei dürfte, egal wie die Bundesvorstandswahlen dann ausgehen würden, schwerer denn je sein.
Sollte der Parteiausschluss tatsächlich Bestand haben, gibt es für die Völkischen drei Optionen: Kalbitz könnte erstens versuchen, wieder in die Partei einzutreten. Ob er bei offizieller Offenlegung seiner Vergangenheit und irgendeiner halbgaren Bekundung, kein Nazi mehr zu sein, wieder aufgenommen werden könnte, dürfte wiederum zu einer komplizierten juristischen Angelegenheit werden. Zweitens könnten sich die Höcke- und Kalbitz-nahen Mitglieder abspalten und eine Art Lega Ost gründen – dieser Gedanke wird schon seit eingier Zeit durchgespielt, übrigens auch von Jörg Meuthen selbst, der Anfang April für einen solchen Vorschlag noch heftige Kritik einstecken musste. Für den völkischen Flügel ist diese Option aber eine schlechte, denn sie wissen, dass sie die Neoliberalen und Nationalkonservativen in der Partei brauchen, um als führende Kraft innerhalb des rechten Sammlungsprojekts über einen größeren Resonanzraum zu verfügen. Als Lega Ost wäre eine reine Flügel-AfD wohl kaum mehr als eine Regional-Partei. Also liefe es vielleicht auf die dritte Option hinaus: Ohne Kalbitz in der Partei zu bleiben. Eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Verrätern erscheint aber unmöglich.
Alles in allem ist diese Lage sowohl für die AfD im Allgemeinen als auch für die Völkischen im Besonderen äußerst ungünstig. Die Causa Kalbitz stürzt die AfD in die tiefste Krise seit ihrer Gründung.
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