Es ist die Zeit der Helden, in der Männer und Frauen als Spinne, Fledermaus oder Wonderwoman Menschenleben retten und Bösewichte ausschalten. Im Kino boomt das Genre wie kein anderes: Avengers Endgame, der dieses Jahr in den Kinos lief (der Freitag 19/2019), spielte so viel Kohle ein wie kein anderer Film vor ihm.
Die Heldengeschichten folgen einem bekannten Muster: Mensch, meist Mann, zieht raus in die Welt, erlebt allerhand Abenteuer, muss sich Prüfungen stellen, zaudert hier und da auch mal über sich und seinen Weg, kehrt dann aber irgendwann als gefeierter Held wieder zurück. Ob Odysseus, Grimms Märchen, Star Wars oder eben Superhelden: Die Erzählstruktur ist verinnerlicht, das Grundschema gibt dem Publikum Sicherheit.
Die Heldin oder der Held passen aber besonders gut in die gegenwärtige Zeit, in der nur die Superheldenkräfte des Einzelnen zählen, weil das, was wir einst Gesellschaft nannten, gerade im Begriff ist, bis zur Unkenntlichkeit in sich zusammenzuschrumpfen. Allein das Individuum steht auf dem Podest; die Menschen, ohne die es niemals auf dieses Podest gelangt wäre, sind längt vergessen.
Einmal Held*in sein, einmal herausstechen aus dem Meer der Gewöhnlich- und Vergänglichkeit, wo wir doch wissen, dass wir in der Realität eigentlich das Gegenteil sind: irgendwelche Loser ohne Superkräfte.
Wir sehen auch nicht so gut aus wie die Projektionsflächen. Mit Augenrändern und hängenden Schultern stehen wir morgens im Bad, auf unserer Backe klebt noch Ohrenschmalz, den wir nur dann entdecken, wenn wir zufällig während des Zähneputzens einen Blick in den Spiegel werfen, anstatt schnell auf Instagram zu kontrollieren, wie viele Leute unser aktuelles Throwback-Urlaubsbild gelikt haben. Statt Superheldenumhang gibt es Blazer, Anzug oder Blaumann.
Wir können nicht fliegen, uns nicht an Spinnennetzen von Haus zu Haus hangeln, wir waren irgendwie nicht anwesend, als das Supersoldatenserum verteilt wurde. Von mangelnder Unsterblichkeit ganz zu schweigen. Alles, was wir können, haben wir irgendwo mühselig erlernen müssen. Lebenslanges Lernen und Optimierungszwang statt Superkräfte.
Letztlich haben die Helden etwas von religiösen Heiligen: Sie alle kämpfen auf der Seite des Guten gegen das Böse. Ein übersichtliches Schema, uns bekannt aus frühester Kindheit, das die Welt zwar klar strukturiert, aber wenig zu tun hat mit den gesellschaftlichen Verhältnissen und Widersprüchen, mit denen wir uns Tag für Tag herumschlagen müssen.
Kommentare 10
kindische phantasien mit millionen US-$ aufgeblasen,
dümmliche geschichtchen heizen die seh(n)sucht nach einem
un-politischen, anspruchs-losen retter.
popcorn-kultur: auf heißer platte produziert, mit hohem ballast-stoff-anteil.
Es gibt doch wohl kaum noch einen Ort auf dem Blauen Planeten Erde an dem es keine Superheldinnen gibt, die unermüdlich gegen die Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur kämpfen.
Allein in den Redaktionen der öffentlich rechtlichen wie der privaten Medien, muss es zahlreiche Nester geben. Das einzige Hindernis bei der Lösung der weltweiten Probleme sind doch die Vertreter/innen der parteipolitischen, geopolitischen und geostrategischen Interessenverbände.
Wie Sie selber richtig feststellen, sind wir (Durchschnittsbürger?) keine Superhelden. Würden Sie Ihre Abhandlung konsequent fortsetzen und den „Lady-Di-Effekt“ berücksichtigen (eine von der Tanzlehrerin und Erzieherin zur Princess of Wales und meist fotografierten Frau ihrer Zeit hochgejubelten und später abstürzenden, in der Öffentlichkeit um Mitgefühl buhlenden, essgestörten Frau), dann müsste ihr Fazit sein, dass von ihrer Grundausstattung am Ende alle Menschen „Durchschnittsmenschen“ sind - egal ob Könige, Präsidenten oder Stars -, dass sie alle nur hochgejubelte Fantasiefiguren darstellen. Würden sich die übrigen Menschen nicht weiter als „Jubel-Auguste“ gebären, gäbe es all diese gesellschaftlichen Irrlichter nicht.
Sebastian Friedrich: „Die Erzählung von übernatürlichen Kräften passt in unserer Zeit, in der man so sehr auf sich allein gestellt ist wie nie zuvor“.
Aus meiner Sicht liegen Sie mit dieser Aussage verhängnisvollerweise völlig falsch. Das ist Denken, das seine Hochphase im 20. Jh. hatte. Im 21. Jh. ist etwas ganz anderes angesagt. Die einseitige Überbetonung von Individualismus, Egozentrik und Egoismus haben die Menschheit ja genau in das heutige Desaster geführt, woraus jetzt nur noch konstruktives Miteinander (= fruchtbare Kooperation auf gleicher Augenhöhe) zu führen vermag. In die heutige Zeit passt deshalb die Erzählung des vielsichtigen, um den Ausgleich von individuellen und kollektiven Interessen bemühten, von seiner Grundeinstellung her kooperierenden Menschen.
Wer „Avengers Endgame“ (Marvel studios 2019 - laut Wikipedia im Januar 2020 der bisher finanziell erfolgreichste Film aller Zeiten), den vorläufigen (?) Abschluss von 22 „Heldenfilmen“, mit auch nur ein wenig Verstand gesehen hat, dem sollte aufgefallen sein, dass all diese Superhelden am Ende nur noch im Team bestehen können. Das Zeitalter der Kooperation ist angebrochen. Hoffentlich nicht nur im Kino, sondern auch z. B. im Bewusstsein von Medienschaffenden!
Globale Kooperation birgt die Chance in sich, dass vielleicht nicht übernatürliche Kräfte freigesetzt, wohl aber bis dahin unvorstellbare Lösungen in ungeahnter Geschwindigkeit nachhaltig realisiert werden können. Ein jeder, der dagegen vorgeht, ist an entsprechenden Veränderungen nicht interessiert (warum auch immer) und verweigert sich damit sinnvollen Antworten auf all die ungelösten Fragen der heutigen Zeit. Man sollte deshalb aufpassen und Blendern und Zersetzern erst gar nicht auf den Leim gehen. Mit all ihrem „Buhei“, mit all ihren dreisten Lügen und Beleidigungen versuchen sie abzulenken und Energie und Zeit zu rauben.
Durch Vielsichtigkeit, Globale Intelligenz und Kooperation können bzw. sollen möglichst viele, auch gegensätzliche Perspektiven ihre angemessene Berücksichtigung finden. Penetrante Einseitigkeit, Ignoranz und Uneinsichtigkeit finden dagegen ihre unmissverständliche Gegenreaktion. Denn das sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Es geht weder um „Gutmenschentum“ noch um „Schlechtmenschentum“, es geht unwiderruflich um den vielsichtig klugen Menschen
2020: Freiheit, Ausgewogenheit, Kooperation
Ja, die Infantilisierung unserer Gesellschaft ist so selbstverständlich wie unbegreiflich. Der Schrott der Blockbuster ist wohl der säkularisierte Religionsersatz. Der Fortschritt besteht darin, daß die Fiktionalität durchaus begriffen wird, aber nicht, was die psychische Basis der Leidenschaft, der Sucht nach dieser Form der Wunscherfüllung ist.
Was läuft schief? Es beginnt mit den Märchen für Kinder, die aufbauend und zumutend sein müssen, und in einer guten Märchensammlung auch beides sind. Daß die Helden die Schurken, die Helden des Bösen, insgesamt übertrumpfen, ist noch nicht verkehrt, nur muß es auch das Gegenteil geben, die schrecklichen Märchen, neben der Utopie die Dystopie, neben dem Lob des Heldischen die Empathie mit dem Schwachen, neben der Erzählung vom heroischen Subjekt die Kraft der solidarischen Gemeinschaft, der man sich vertrauensvoll überlassen kann. Das freilich kann man heute kaum noch erzählen, weil es so weit weg ist von der gesellschaftlichen Realität. Daher kann man wohl nur wirkungslos gegen den Quatsch der Blockbuster Sturm laufen. Er ist das Opium, ohne das es nicht geht.
Wie im Vorkommentar gesagt, denke ich, das Problem liegt tiefer. Die Ersetzung des Individualhelden durch den Kollektivhelden ist nicht hinreichend, folgt immer noch dem vormodernen Paradigma der Heldenerzählung. Aber wir leben in postheroischen Zeiten, so trefflich formuliert in dem Aphorismus „Wohl dem Land, das keine Helden braucht“.
"Die Ersetzung des Individualhelden durch den Kollektivhelden ist nicht hinreichend"
Weder spreche ich davon (allenfalls im Zusammenhang mit dem Film, der nicht meiner ist) noch halte ich nach irgendwelchen Helden Ausschau (s. "Lady-Di-Effekt"). Mir geht es um jeden einzelnen Menschen.
Warum Menschen immer wieder dazu neigen, andere "Durchschnittsmenschen" in den Himmel zu jubeln, ist natürlich eine wichtige Frage, deren Antwort sicherlich viel tiefer liegt. Gegen "Opium" könnte man mittelfristig wahrscheinlich "vorgehen" und es durch andere "Angebote" ersetzen.
Was soll dieser Artikel? So ein oberflächliches Geschreibe. Irgendwie ist doch klar, dass Superhelden als Projektionsflächen dienen. Das ja auch der Sinn & Spaß dieses Genres. Wenn man's nicht mag, einfach ignorieren oder aber konkrete Punkte im Genre kritisieren... aber das wäre ja Arbeit. Und die wollte der Schreiber sich jetzt ja auch nicht machen.
Was soll dieser Artikel? So ein oberflächliches Geschreibe. Irgendwie ist doch klar, dass Superhelden als Projektionsflächen dienen. Das ja auch der Sinn & Spaß dieses Genres. Wenn man's nicht mag, einfach ignorieren oder aber konkrete Punkte im Genre kritisieren... aber das wäre ja Arbeit. Und die wollte der Schreiber sich jetzt ja auch nicht machen.
Die Demontage der Sozialfigur »Held«, gleich in zwei Artikeln – könnte fast einem Lehrbuch des Neoliberalismus entstammen mit dem Ziel »Wie vereinzele und entmündige ich die Leute noch nachhaltiger – damit sie nur ja brave Bürger und Bürgerinnen sind und weder Zivilcourage zeigen noch irgendwo aufmucken.« Oder, noch deutlicher formuliert: »Wie nehme ich den Leuten ihre potenziellen Leader(innen) respektive wie mache ich diese ihnen, im Vorfeld, möglichst nachhaltig madig?«
Sicher ist es kein Zufall, dass im Mittelpunkt der ersten Attacke Hermann L. Gremlitza steht – der kürzlich verstorbene konkret-Herausgeber, auf dessen Grab der linksliberale Nachwuchs nunmehr, wo er tot ist, endlich einen kräftigen Strull zu setzen sich getraut. Hier nun die allgemeine Erzählung – oberflächlich festgemacht am Blockbuster-System. Fazit: Wir brauchen keine Helden mehr (also Leute, die aus der Reihe tanzen). Sondern nur noch brave Rädchen im Getriebe – brav jedenfalls so lange, wo Apple sein iPhone im Zweijahrestakt upgradet und genug Apps dafür vorhanden sind.
Dieser Background ist auch der Grund, warum die Kritik an Avengers Endgame lediglich loser Aufhänger ist, um mit den üblichen Ideologiehülsen und mit umgekehrter Oswald-Spengler-Attitüde gegen die finsteren, sich gegen das lichte Morgen auflehnenden Kräfte des Gestern herzuziehen. In dem, so der Artikel-Subtext, lauter gesellschaftlich befriedete und daher glückliche Sims rumlaufen werden. Nunja – für die Glücklichkeit (und dafür, dass niemand aus der Reihe tanzt) muß man natürlich was tun, zumindest ein bißchen. Exakt der Punkt, an dem der gut ausgebildete und medienpolitisch, geisteswissenschaftlich oder sozialberuflich in den Startlöchern stehende Linksliberalen-Nachwuchs ins Spiel kommt. Wer kann eine befriedungstaugliche Ideologie fabrizieren? Nur sie. Wer kann dafür Sorge tragen, dass sich die gesellschaftlichen Schäfchen alle soweit an die neuen Regeln halten? Auch nur sie. Wer will die Institutionen kapern? Ebenfalls sie.
Dass Kapern etwas mit Kampf zu tun hat, weiß nun niemand besser als der Social-Media-gestählte Nerd. Also: Blockbuster sind Unterschicht – ergo Feind. Ansonsten: KI steht in den Startlöchern, und auch die Klimakrise wird totsicher interessante Wendungen mit sich bringen. Fazit: Höchst interessante Kapriolen, die das linksliberale Milieu schlägt. Wenn ich es recht bedenke, ist das sogar fast besser als ein Blockbuster.
Im Artikel heißt es:
"Lebenslanges Lernen und Optimierungszwang statt Superkräfte."
Die beiden erstgenannten Dinge sollten, finde ich, auf keinen Fall gleichgesetzt werden.