Lagerfeuer des Marktes

Neoliberalismus Lexikon der Leistungsgesellschaft: Die Erziehung zum Kapitalismus kommt ganz ohne Schlagstock aus
Ausgabe 34/2019
Leichter Lehrplan: Im Kapitalismus ist die richtige Antwort immer „Ja!“
Leichter Lehrplan: Im Kapitalismus ist die richtige Antwort immer „Ja!“

Foto: Imago Images/photothek

Hier gibt es mehr als Lagerfeuer, hässliche Uniformen und kitschige Gitarrenbegleitung. In speziellen Sommercamps in den USA bekommen Kinder und Jugendliche die volle Dröhnung neoliberaler Ideologie. Sie erfahren, wie sie am Mittagstisch richtig socializen, sich und ihre Produkte in den sozialen Medien am besten anpreisen und welche ihrer Hobbys geeignet sind, um aus ihnen Kapital zu schlagen. Diese Sommercamps versuchen zu retten, was einst Kitt der US-Gesellschaft war: Der Glaube, dass erfolgreich ist, wer sich richtig reinhängt.

Denn an diese Lagerfeuer-Geschichte glauben scheinbar nicht mehr so viele: in den USA ist der Kapitalismus immer unbeliebter. Erst im März erschien eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Harris, nach der gerade die Jüngeren ein immer positiveres Bild vom Sozialismus haben. Die Hälfte würde es gar vorziehen, in einem sozialistischen Staat zu leben. Möglicherweise vor Schreck investieren US-Milliardäre nun in die sommerliche ideologische Festigung der Jugend. Die Philanthropen öffnen ihre Geldbeutel sicher gerne, schließlich gehen aus diesen Camps die Start-Up-Sternchen von morgen hervor; auch die fleißigen und artigen Angestellten auf der mittleren Ebene wollen geschult werden, die Feldwebel, die jedes größere Unternehmen braucht.

In der EU bringen Erwachsene den Kindern den unternehmerischen Geist ebenso näher. Im Kindergarten oder in der Grundschule, lernen sie bei Schulfesten, welche ihrer Skills tatsächlich marktgerecht sind. Hinter jedem Klapptisch sitzt ein kleiner Unternehmer, der heute noch von einem Keks- und Kuchenimperium träumt und morgen schon die heimische Wirtschaft voranbringt. In seinen Empfehlungen zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen preist der Europäische Rat unternehmerische Kompetenz, Kreativität und Eigeninitiative. Es sollen „Möglichkeiten für junge Lernende geschaffen werden, während ihrer Schulbildung mindestens eine praktische unternehmerische Erfahrung zu machen“. Dass die Zauberworte in den Konzepten für Schulen und Ausbildungsstätten nur noch „Kompetenz- und Handlungsorientierung“ lauten, hatte schon der kritische Lehrer Andreas Hellgermann in seiner Studie „Kompetent, flexibel, angepasst“ herausgearbeitet. Autoritär muss der Lehrer dafür gar nicht mehr sein. Der Schlagstock wurde ersetzt: durch Konkurrenzgeist und Facebook-angereizte Selbstvermarktung. Die Schülerinnen und Schüler sollen so auf ihr Leben in dieser Gesellschaft vorbereitet werden – und nicht die Prämissen infrage stellen. Dann braucht es auch keine Kapitalismus-Camps mehr.

Sebastian Friedrich ist Journalist und führt in dieser Kolumne sein 2016 als Buch erschienenes Lexikon der Leistungsgesellschaft fort, welches veranschaulicht, wie der Neoliberalismus unseren Alltag prägt

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