Moralismus: Warum Grüne kriegsbegeisterter sind als die CSU

Kolumne Annalena Baerbock sieht „uns“ im Krieg mit Russland. Es ist kein Versprecher, wenn Deutschlands oberste Diplomatin sowas vom Stapel lässt. Die Grünen sind getrieben von Moralismus und Unbedingtheit. Das „Lexikon der Leistungsgesellschaft“
Ausgabe 05/2023
Demonstranten fordern Solidarität für die Ukraine
Demonstranten fordern Solidarität für die Ukraine

Foto: Hannibal Hanschke/Getty Images

Wer moralisch ist, versucht sein Handeln anhand der Einteilung von Gut und Böse auszurichten. Moralist ist, wer sich sicher ist, gut zu handeln, und alles daransetzt, dass auch alle anderen es so sehen und so handeln, wie man sich selbst das vorstellt. Doch ist es gut, wenn Moralismus in unseren Kriegszeiten Hochkonjunktur hat?

Klar, in diesem Krieg fällt es nicht schwer, zwischen Angegriffenen und Angreifer zu unterscheiden. Der Moralismus geht aber über das moralische Urteil hinaus und bewertet Ursache, Verlauf und Ziel entlang des Maßstabs von Gut und Böse. Dann werden Menschen zu Monstern gemacht und eine Einsicht, die Kleinkindern vermittelt wird, gerät in Vergessenheit: Auch Menschen, die sich wie Monster verhalten, bleiben Menschen. Vergessen wird auch, dass es in Kriegen nie nur um Moral geht, sondern vielmehr um Interessen. Die können unterschiedlich aussehen: Imperialismus, Großmachtstreben oder das Ziel, Nachbarländer zu unterwerfen. Manchmal sollen auch die Kräfte eines Rivalen so gebunden werden, dass diese nicht eingesetzt werden können, wenn es auf der anderen Seite der Erde zu einer Konfrontation mit einem noch größeren Rivalen kommt.

Zum Moralismus gesellt sich zunehmend etwas anderes: Unbedingtheit. Sie relativiert nicht, schränkt nicht ein, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Unbedingtheit nimmt in Kauf, dass jeder weitere Kriegstag notwendig mit Toten einhergehen wird, dass Atombomben nicht nur gelagert, sondern irgendwann auch gezündet werden können. Sie will keine Verhandlungen, sondern absolute Siege und totale Niederlagen.

Moralismus und Unbedingtheit sind das Gegenteil eines geopolitischen Realismus und prägen dennoch die kriegerische Realität, in der die, die sich einen Frieden wünschen, fast schon als unmoralisch gelten, und die, die auf der richtigen Seite stehen, fortwährend nach immer mehr Waffen rufen, mit allem, was geht.

Männer revidieren öffentlich ihre Kriegsdienstverweigerung

Der unbedingte Moralismus führt zu jener Kriegsbegeisterung, die ein Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine eher noch zuzunehmen scheint, in der Kampfpanzerlieferungen mit süßen Leopard-Emojis und mit lustigen Videos im Leopardenoberteil gefordert werden. Kaum ist das Ziel erreicht, werden sofort Rufe nach Kampfjets laut, gar Bodentruppen sind im Gespräch. Männer revidieren öffentlich ihre Kriegsdienstverweigerung und erklären sich bereit, im Zweifel ihr Leben für die Nation zu lassen. Inzwischen schimpft laut Medienberichten sogar Kanzler Olaf Scholz (SPD) intern über „Bellizisten“ und die „Kriegsbegeisterten“ – wohl auch gegen die in den eigenen Reihen. Und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) spricht völlig unverblümt von einem Krieg, den „wir“ gegen Russland führen. Es ist kein Versehen, wenn Deutschlands oberste Diplomatin einen solchen Satz sagt. Aus ihr spricht eben diese moralistische Unbedingtheit.

Verwundert blickt man nach rechts, wo die CSU Baerbocks inoffizielle Kriegserklärung scharf kritisiert. Alexander Dobrindt fordert die Außenministerin auf, ihre Aussage dringend zu korrigieren. Den Rücktritt der Außenministerin will nur die AfD. Dass den nicht auch andere fordern, überrascht, musste doch erst kürzlich eine Ministerin für deutlich weniger gehen. Und selbst viele derer, die jahrzehntelang die Kriegsbeschreibungen Ernst Jüngers und dessen Unbedingtheit gefeiert haben, folgen jetzt, da der glorifizierte Krieg näher rückt, ihrem Jünger lieber in den Wald denn aufs Schlachtfeld.

Der längst verstorbene SPD-Politiker und Publizist Peter Glotz schrieb einmal, dass sich die Rechten mit der Ökologie einen wichtigen Teil ihrer Kronjuwelen von den Grünen klauen ließen. Es scheint so, als seien nun Kriegsbegeisterung und Unbedingtheit dran.

Sebastian Friedrich ist Journalist und führt in dieser Kolumne „Lexikon der Leistungsgesellschaft“ sein 2016 unter diesem Titel erschienenes Buch fort, welches mitunter veranschaulicht, wie der Neoliberalismus unseren Alltag prägt.

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