Rumänische Spargelstecher im Streik

Neoliberalismus Lexikon der Leistungsgesellschaft: Migrantische Saisonarbeiter sind hierzulande oft gesichtslos. Sie können sich aber auch Gehör verschaffen
Ausgabe 23/2020

Der Kapitalismus hat mehrere Bodyguards. Nicht alle sind dafür zuständig, hart zuzupacken, wenn es nötig ist. Der vielleicht wichtigste Bodyguard ist die Ideologie. Gut geschult in Kommunikationstechniken, gelingt es ihm, potenzielle Unruhestifter im Vorhinein zu besänftigen, sodass sie sich freiwillig nicht mehr von der Stelle bewegen wollen, weil sie das Gegebene als unveränderlich betrachten.

Je besser es dem Bodyguard gelingt, für Ruhe zu sorgen, desto spektakulärer erscheint es, wenn doch mal ein paar Schreie zu vernehmen sind und sich Leute in Bewegung setzen. So geschehen Mitte Mai in der Nähe von Bonn, in Bornheim, beim Landwirtschaftsbetrieb Spargel Ritter. Bei dem unter Insolvenzverwaltung stehenden Betrieb wollten Erntehelfer*innen aus Rumänien nicht länger auf ausstehende Löhne warten und legten kurzerhand die Arbeit nieder. Unterstützt wurden sie dabei von Aktivist*innen der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU, die von dem Konflikt aus dem Radio erfahren hatten. Es folgten mehrere Tage Streik samt Demonstrationen, viele Medienberichte und der Besuch der rumänischen Arbeitsministerin. Am Ende sahen die Streikenden Geld, wenngleich nicht alle das bekamen, was sie eigentlich erwartet hatten.

Kämpfende migrantische Arbeitskräfte sind ein ungewohntes Bild, denn in der öffentlichen Debatte sind sie meist gesichtslos, reine Verschiebemasse, Objekte der Verhältnisse. Und ja, Saisonkräfte aus Rumänien, Bulgarien oder Polen sind hierzulande in der Landwirtschaft, in der Fleischindustrie oder auf dem Bau häufig Überausbeutung ausgesetzt. Diese spezifische, weil intensivere Ausbeutung der Arbeitskraft ist möglich durch rechtliche Konstruktionen (Staatsbürgerschaft, Subunternehmertum, Leiharbeit), rassistische Diskurse und Klassenkampf von oben.

Für die Saisonarbeitskräfte zeigt der Arbeitskampf, dass kollektiver Widerstand zumindest teilweise erfolgreich sein kann – eine Erfahrung, die Schule machen kann: In Rumänien haben viele große Medien über die Arbeitsniederlegung berichtet. Der wilde Streik bei Spargel Ritter ist ein Beispiel, dass praktische Solidarität jenseits bloßer Lippenbekenntnisse möglich ist.

Ob solche Arbeitskämpfe tatsächlich so selten sind, kann übrigens bezweifelt werden, denn dass Linke etwas von solchen wilden Streiks mitbekommen, ist mangels Verankerung häufig nur Zufall. Anders als sozialrevolutionär angehauchte Aktivist*innen und auf Klassenpolitik fokussierende Kolumnisten haben die wild Streikenden oft andere Sorgen, als diese häufig illegalisierten Formen des Arbeitskampfes an die große Glocke zu hängen.

Sebastian Friedrich ist Journalist und führt in dieser Kolumne sein 2016 als Buch erschienenes Lexikon der Leistungsgesellschaft fort, welches veranschaulicht, wie der Neoliberalismus unseren Alltag prägt

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