Sich unsterblich denken in einer Welt ohne Ausbeutung

Silicon Valley Elon Musk und Larry Page wollen menschliches Bewusstsein für die Ewigkeit speichern – zumindest das eigene. Der Rest von uns wird dem Leben weiterhin einen Sinn geben müssen
Ausgabe 07/2022

Heute stirbt es sich schlechter denn je. Das Sterben, das bekanntlich mit der Geburt beginnt, ist besonders schwer zu akzeptieren, wenn die kurze Zeitspanne zwischen erstem und letztem Atemzug losgelöst ist von irgendeiner Geschichte, jenseits jeder Vergangenheit, geschweige denn von einer Zukunft. Dieser Präsentismus führt verbunden mit Vereinzelung dazu, dass wir im Hier und Jetzt auf der Stelle rennend nach Luft schnappen.

Wir sind ziel- und orientierungslos, wenn es um die Einordnung der eigenen Existenz in den Menschheitsverlauf geht. Zurückgeworfen nur auf uns selbst, jenseits irgendeiner Einbettung des eigenen Seins verliert das Leben jeglichen Sinn: Ich komme aus nichts und nach mir ist nichts, niemand, der mir vorausgegangen, niemand, der mir folgen wird – kein Gott, kein Staat, kein Proletariat.

Es bleibt nur das Festkrallen am Leben. Um der eigenen Endlichkeit zu entfliehen, geben diejenigen, die es sich leisten können, Milliarden aus für Forschungen, um das Ende – das eigene, aber damit auch das allgemeine – hinauszuzögern. Der Wunsch nach Unsterblichkeit mag so alt sein wie die Menschheit selbst, doch so nah wie jetzt kam die Menschheit der Erfüllung noch nie.

Wer bekommt Speicherplatz in der Menschheitscloud?

Im Silicon Valley denkt nicht nur Google-Gründer Larry Page darüber nach, wie das Bewusstsein digitalisiert werden kann, damit es – auch ohne Körper – weiter existieren kann. Tesla-Chef Elon Musk träumt ebenso vom Transhumanismus und arbeitet mit einem seiner Unternehmen an der Entwicklung von Brain-Computer-Interfaces.

Der breiten Masse dürfte genügend Speicherplatz für das eigene Bewusstsein in der Menschheitscloud wohl erst einmal vorenthalten werden. Ihr bleibt die Anhimmelung des Augenblicks, die Verdrängung der Vergänglichkeit oder die Flucht ins Mystische.

Doch es gibt eine Möglichkeit, dass das Sterben und damit auch das Leben einen Sinn erhält: Das winzige Ich kann auch begriffen werden als Teil eines Ganzen, das über einen selbst und die Gegenwart hinausweist, als Teil eines Kampfes für eine Welt, in der es sich zu leben wirklich lohnt, für die es sich vielleicht sogar zu sterben lohnt.

Sich einfügen in die Geschichte der geknechteten Vorfahren – nicht anstatt, sondern für das Ideal der befreiten Enkel. So bekommt das eigene Leben nicht nur eine Vergangenheit, sondern auch eine Zukunft. Vielleicht könnte mit der Verwirklichung einer Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung der Gedanke nach der Unsterblichkeit seinen Schrecken verlieren.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden