Silvester: Der Krawall dieser einen Nacht des Jahres

Kolumne Wer nach den Attacken auf Feuerwehr und Polizei über Böllerverbote sinniert oder Menschen ihrer Herkunft wegen diskreditiert, will von den Verhältnissen dahinter nichts wissen. Das „Lexikon der Leistungsgesellschaft“
Ausgabe 01/2023
Krawall und Randale an Silvester richteten sich auch gegen die Einsatzkräfte
Krawall und Randale an Silvester richteten sich auch gegen die Einsatzkräfte

Foto: Imago / Marius Schwarz

Haben denn die Silvester-Krawalle wirklich eine neue Qualität erreicht? Berichte vom Jahreswechsel 2018 etwa lesen sich jedenfalls ganz ähnlich wie die von 2022. Forderungen, der Staat müsse jetzt klare Kante zeigen, hat es wie Debatten über ein Böllerverbot auch in vergangenen Jahren gegeben. Ob 2022/23 tatsächlich aggressiver gegen Einsatzkräfte vorgegangen wurde, lässt sich unabhängig kaum überprüfen. Die Deutungen von Polizei und Feuerwehr übernehmen viele unhinterfragt. Dabei sollte es stutzig machen, wenn Lobbyvertreter von Polizei und Feuerwehr zu angeblich neuen Auswüchsen altbekannte Forderungen formulieren.

Doch reichen Relativismus und Skepsis hier nicht aus. Denn es gibt sie ja, die Menschen, meist junge Männer, die den Ausnahmezustand an Silvester für Gewalt nutzen. Wer nun über Böllerverbote sinniert, mögliche Krawallmacher zum personifizierten Bösen erklärt oder Menschen bestimmter Herkunft diskreditieren möchte, will nichts wissen von den Verhältnissen, die wesentlich zu solchen Handlungen führen.

Die Randale ist eine Frage der Klasse

Auffällig ist, dass Silvester-Randale, egal ob sie nun so dramatisch war wie behauptet oder nicht, neben dem Geschlecht etwas mit Klasse zu tun zu haben scheint. So kann zumindest vermutet werden, dass unter denen, die Raketen auf andere richten, Einsatzkräfte angreifen und sich darüber lustig machen, viele sind, die das Jahr über wenig zu lachen haben. Die vielleicht noch eine Rechnung mit verhassten Ordnungshütern offen haben. Die gemeinsam mit ihren Freunden immer wieder kontrolliert werden oder die Aufmerksamkeit der Polizei auf sich ziehen, wenn sie in größeren Gruppen das eigene Viertel verlassen.

Vielleicht stecken in den Böllern und Raketen und in der spontanen Gewalt Seufzer der Bedrängten, denen neben Resignation nur die Hoffnung auf eine Nacht im Jahr geblieben ist, in der das eigene Tun mal nicht ohne Wirkung ist, sich endlich mal etwas bewegt, wenn auch nicht zum Guten. Die das Gefühl nicht loswerden, auf ewig ein Nichts zu sein, und noch nicht einmal auf den Gedanken kamen, irgendwann alles werden zu können. Fans von Law and Order wie die eines Böllerverbots behaupten derweil, es gehe ihnen um die Sicherheit der Gesellschaft, der ganzen Gesellschaft also. Als ob.

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