Es war eine heile Welt – damals. Die Kinder spielten vor dem Garagentor Basketball, im Ofen in der Küche legte sich schmelzender Scheibletten-Käse sanft über Dosen-Ananas, Schinken und Toastbroat und im Wohnzimmer hatte jemand bereits vorsorglich das ZDF eingeschaltet, wo später Frank Elstner internationale Stars bei Wetten, dass..? begrüßen sollte.
Die Rückwendung auf das Leben in der gemütlichen Bonner Republik der 70er und 80er Jahre erfährt gerade ein Revival. Während der Blick auf das Leben in Ostdeutschland aktuell weniger Ostalgie und dafür stärker die Umwälzungen nach der sogenannten Wende fokussiert, blickt man im Westen auf die Ära des Rheinischen Kapitalismus – eine Zeit, in der die Unwägbarkeiten des Kapitalismus noch verkraftbar erschienen, sich die Abstiegssorgen der „Mitte“ noch in Grenzen hielten und trotz Kalten Kriegs die Welt halbwegs geordnet war.
Um in Erinnerungen zu schwelgen braucht es keine entwerteten Erfahrungen und Erinnerungen, die vielen Menschen in Ostdeutschland zu schaffen machten. Als Sehnsuchtsort funktioniert eben auch der Westen. Das Gefühl der Westalgie brachte kaum jemand besser zum Ausdruck als die als Punk-Band getarnten Gesellschaftschronisten Die Chefdenker. „Im Karstadt-Kaffee war die Welt noch okee/ Ich war jung ich hatte Ziele, nicht nur zwei sondern ganz viele.“
Die Westalgie ist die Sehnsucht nach einem Leben, das wohl eher in der Rückschau sorglos daherkommt. In der BRD gab es ab Mitte der 1970er wieder Massenarbeitslosigkeit, über der Bevölkerung in Deutschland schwebte mit Ronald Reagan im Weißen Haus wieder das Damoklesschwert eines Krieges, nicht so weit weg von der Staatsgrenze explodierte ein Atomkraftwerk. Die Folgen der Umweltzerstörung rüttelten Millionen auf und im Kino riss ein weißer Hai reihenweise Mittelschicht-Kids in die Tiefe.
Wie beim Thema Ostalgie offenbart sich bei den Westalgie-Fans keineswegs nur reaktionäre Sentimentalität. Anstatt die Melancholie überlegen abzuqualifizieren, sollten sich nicht nur, aber vor allem Linke fragen, was sich in der Sehnsucht eben auch ausdrückt. Der Fokus auf das Zurückliegende, so geschönt und glatt es auch erscheinen mag, offenbart die düsteren Aussichten, die viele haben. An dieser Stelle treffen Ostalgie und Westalgie aufeinander: Auf einen Seite war man der Zukunft zugewandt, auf der anderen Seite träumte man vom ewigen Wohlstand. Verloren haben beide Seite vor allem eines: ein Morgen, auf das es sich zu hoffen lohnt.
Kommentare 9
Unübertroffen hat Manfred Maurenbrecher das Thema in seinem Song "Wessi" aufgegriffen. Besonders gut hat er die Westalgie durch die Begegnung mit dem Schwager aus dem Osten gebrochen.
"Erinnerst du dich an diesen lauen Sommerabend Mitte der Achtziger? Die Regierung fuhr in die Ferien, die Kirschbäume trugen, die Bauern bekamen ihr Ruhegeld aus Brüssel, die vier Stadttheater in jedem Marktflecken spielten noch für viermal vier Enthusiasten, die Selbsterfahrungskurse waren am Blühen, die Staus überschaubar – und jeder Arbeitslose traf sich mit seinem Sachbearbeiter vom Sozialamt und fand mit ihm einen Weg –
Oh Wessi, du hast bessere Zeiten gesehn, oh Wessi, warum muß die Welt sich drehn? ..."
Zum Reinhören hier.
Was für ein verkitschter und völlig inhaltsleerer, sogar in die Irre leitender Blick auf die Bonner Republik. Mit Verlaub, dieser Artikel hat ein ähnliches Niveau wie das völlig idiotische Foto!
Als Kind der Bonner Republik ist an erster Stelle die Furcht in Erinnerung, den 25. Geburtstag nicht mehr zu erleben, dann nämlich, wenn die Auseinandersetzung zwischen den USA und der Sowjetunion aufgrund „durchgeknallter“ Politiker dann doch auf deutschem Boden ausgetragen worden wäre. Die ausgearbeiteten Pläne lagen lange Zeit in den Schubladen auf beiden Seiten. Die Gefahr der Vernichtung war keine Frage von vielen Jahren (wie heute), sondern sehr real von Sekunden. Hätte es seinerzeit nicht die visionäre Politik von Willy Brandt, Walter Scheel und Egon Bar gegeben, würden wir uns vermutlich noch heute über Kalten Krieg und Teilung beklagen. Im Zentrum der Bonner Politik standen der Mut für Visionen, wozu die wenigsten der heutigen Politiker nicht mehr willens oder in der Lage sind.
Ja, natürlich gab es nach dem schrecklichen Zweiten Weltkrieg Schritt für Schritt wieder Wohlstand. Ja, der Rheinische Kapitalismus brachte für die Mehrheit der Deutschen sehr erträgliche Zustände. Dass dies auf dem Rücken anderer, viel Ärmerer basierte, interessierte nur Wenige. In der Weihnachtszeit spendete man Miserior und schon wähnte man sich als edler Mensch.
Wenn heute jemand Orientierung in der damaligen Zeit sucht, so ist das alle Male besser, als wieder einseitigen Weltsichten hinterherzuhecheln, was zu Zeiten der Bonner Politik ein absolutes Tabu war! Wir brauchen heute wieder Politiker mit der Klarheit für angemessene Visionen und keine dieser Kinder der verheerenden Mediendemokratie. Die Zeit der niveaulosen Selbstdarsteller muss vorbei sein!
Haben Sie den Artikel eigentlich bis zum letzten Absatz gelesen und verstanden?
Ich habe aufgrund Ihres Kommentars den Artikel (und auch Ihren Link) gerade noch mehrmals gelesen. Wir kommen nicht weiter, wenn wir uns mit derart flachen Ansichten begegnen. Es gibt mit Sicherheit auf beiden Seiten Verlorengegangenes, was ernsthaft ein Revival verdient hätte. Und da spielen Hawai-Toast und Saft-Brause nun gar keine Rolle. Gebraucht werden wieder ein gefestigtes Demokratieverständnis und visionäre Poliitik wie vielleicht auch (das können andere viel besser als ich beschreiben) ein viel menschlicheres Miteinander.
Es ist nun wirklich keine Stimmung und keine Zeit, sich mit oberflächlichen Blödsinn zu beschäftigen, anstatt einen ernsthaften Lernprozess nachzuholen, der seinerzeit aufgrund der Arroganz Westdeutscher und der zunehmenden Opferrolle Ostdeutscher bis heute versäumt wurde. Der obige Artikel trägt dazu nun gar nicht bei, sondern lässt die Gräben (so nach dem Motto: wir hatten Bananen - ihr nur vor den Feiertagen) eher größer werden.
"Was für ein verkitschter und völlig inhaltsleerer, sogar in die Irre leitender Blick auf die Bonner Republik. Mit Verlaub, dieser Artikel hat ein ähnliches Niveau wie das völlig idiotische Foto!"
- haben Sie geschrieben. Das impliziert, dass der Artikel den verkitschten Blick für richtig befindet. Aus meiner Sicht kritisiert er ihn aber. Ob das inhaltlich angemessen und weit genug geht, ist eine andere Frage. Die Kritik bei Maurenbrecher finde ich künstlerisch genial.
"Die Kritik bei Maurenbrecher finde ich künstlerisch genial."
Dagegen habe ich überhaupt nichts einzuwenden. Mir aber geht es um viel mehr als lediglich um einen künstlerisch gelungenen Ausdruck, der natürlich den Finger in manche Wunde legt.
Ich denke, dass aufgrund der aktuell auseinanderdriftenden Stimmungslagen und Ansichten, also der tiefer werdenden Gräben (bei zumindest einigen), eine ganz andere, wesentlich ernsthaftere und vor allem ergebnisoffene Auseinandersetzung nötig wäre. Ich würde wirklich gerne den verpassten Lernprozess nachholen (sofern das noch möglich ist). Als Kind (ohne Ost-Verwandschaft) seinerzeit in Bonn in unmittelbarer Nachbarschaft von Willy Brandt, Walter Scheel u.a. inmitten der Bonner Republik aufgewachsen, habe ich natürlich die "Wessi-Sicht", die ich liebend gerne um die "Ossi-Sicht" erweitern würde.
Zum Beispiel könnte ein tiefergehender Austausch (auf gleicher Augenhöhe) über Ängste in der damaligen Zeit Menschen viel näher bringen. Kann man sich z.B. als früherer DDR-Bürger vorstellen, was es mit einem westdeutschen Schüler gemacht hat, wenn man ihm auf seine völlig berechtigte Kapitalismuskritik stereotyp vorschlug, dann doch besser nach drüben zu gehen?
Das "Drüben" war im Bewusstsein durch Berlin-Besuche durch eine absolut unmenschliche Grenze geprägt. Dagegen erscheint die derzeitige Demilitarisierte-Zone zwischen Nord- und Südkorea eher wie Teil einer großangelegten Disney-Inzenierung. Ich war verwirrt, als ich das zum ersten Mal persönlich sah.
Welche Ängste und welche tiefsitzende Überzeugungen gab es "Drüben". Wir sollten uns endlich als Menschen erfahren, die sehr viel voneinander lernen können und endlich auch voneinander lernen sollten.
Das im Gegensatz dazu geradezu schrittweise beleidigte Zurückziehen, das derzeit bei nicht wenigen auf beiden Seiten stattfindet, ist völlig destruktiv und bedarf eines ganz anderen Inputs.
Da ich intensiveren Kontakt zu Südkoreanern habe, weiß ich, dass wir Deutschen inzwischen nun kein wirklich gutes Vorbild mehr für ihre lange Zeit angestrebte Wiedervereinigung sind. Das zumindest vorgestellte Tempo hat sich stark verlangsamt. Was (auch global) derart wegweisend begonnen hat ("Wir sind das Volk") wird heute durch einige mit ihrer völkischen Gesinnung gnadenlos durch den Schmutz gezogen. Stünden wir als voneinander Lernende zusammen, bliebe das wohl eher eine auf sich beweisen wollende junge Männer begrenzte Randerscheinung. So verheerenderweise nicht.
Es steht viel zu viel auf dem Spiel, als dass wir im Zusammenhang mit Ostalgie und Westalgie über Oberflächlichkeiten diskutieren sollten. Die Menschen treibt viel Wesentlicheres um. Das sollte von den Medien seriös begleitet werden.
Vielleicht bedarf es für ein konstruktives Miteinander inzwischen ja eines weiteren "Kniefalls" (ohne den "ersten" in irgendeiner Weise verwässern zu wollen!), dieses Mal um sich für die maßlose Arroganz der Wessis gegenüber den Ossis zu entschuldigen.
Ja, es ist vieles nicht gut gelaufen. Entschuldigung!
"Mir aber geht es um viel mehr als lediglich um einen künstlerisch gelungenen Ausdruck, der natürlich den Finger in manche Wunde legt."
Das ist ja legitim, aber nicht Thema des Artikels. Ich stimme mit dem überein, was Sie jetzt geschrieben haben. Als Diskussionsanregung gehört es jedoch in einen eigenen Blog. Man kann nicht immer wieder alles unter einem Thema diskutieren wollen, weil man dann kaum zu einem Erkenntnisfortschritt kommen kann.
Dann hatten Sie in Ihrer ersten kurzen Antwort Recht: Der mit dem Artikel angepelte Erkenntnisfortschritt hat sich mir bis jetzt jedenfalls nun wirklich nicht erschlossen. Ich habe den Artikel dann ´ganz offensichtlich nicht verstanden.
"Der Insel-Banker" meint dann doch die Wirklichkeit:
hier
und
hier