Was uns „Independence Day“ mitteilen wollte

Film Lexikon der Leistungsgesellschaft: 25 Jahre später zeigt sich, dass Roland Emmerichs Blockbuster ein öko-sozialistisches Meisterwerk ist
Ausgabe 38/2021
In „Independence Day“ ziehen Aliens von Planet zu Planet, um Ressourcen auszubeuten. Klingt überraschend menschlich
In „Independence Day“ ziehen Aliens von Planet zu Planet, um Ressourcen auszubeuten. Klingt überraschend menschlich

Foto: Allstar/IMAGO

Es gibt Werke, deren wahre Größe sich erst Jahre nach ihrer Veröffentlichung offenbart: Der Film Independence Day, erschienen vor einem Vierteljahrhundert, ist so eins. Lange ging man davon aus, dass die Story des Blockbusters schnell erzählt sei: Aliens ziehen von Planet zu Planet, um diese zu zerstören und sich jeweils die dortigen Ressourcen anzueignen. Nach ein paar Rückschlägen gelingt es der Menschheit, die Vernichtung abzuwenden und die Invasoren zu schlagen.

Der Film wurde seit seinem Erscheinen besonders von links nicht gerade offenherzig interpretiert: Independence Day wurde wahlweise als US-chauvinistisch, patriarchal oder die herrschende Ordnung bestätigender Kino-Ramsch missinterpretiert. Ein häufiges Los großer Werke. Auch Homers Odyssee brauchte etwas, bis sie ihre volle Wirkung entfalten konnte. So langsam sollte die auf der Hand liegende Bedeutung von Independence Day in unser Bewusstsein vordringen, leben wir doch in Zeiten, in denen sich ein Elon Musk das Ziel gesetzt hat, den Menschen zu einer multiplanetaren Spezies umzugestalten, die zunächst den Mars besiedelt, bevor die Erde auf der intergalaktischen Mülldeponie abgeladen wird.

Es offenbart sich die bislang verborgen gebliebene zweite Ebene des vielschichtigen Roland-Emmerich-Dramas: Die Aliens in Independence Day sind gar keine Aliens, sondern repräsentieren einen Teil der Menschheit, jenen Teil, dessen Reichtum auf Unterdrückung, Ausbeutung und Enteignung der Lebensgrundlagen gründet.

Für wen im Film die Menschen stehen, wenn die Aliens die Kapitalisten sind, ergibt sich von selbst: Sie verkörpern die, die nicht das nötige Kleingeld haben, um sich ein Ticket zum Mars zu leisten; die, die trotz kultureller, regionaler und struktureller Spaltungen ihr gemeinsames übergeordnetes Interesse allem voranstellen: die Zerstörung ihrer Existenz abzuwenden.

Wie im realen globalen Klassenkampf braucht es in Independence Day ein paar Anläufe, bis die Unterdrückten und Ausgebeuteten zur Klasse für sich und sich ihrer eigenen Kräfte bewusst werden – am Ende gelingt es durch Mut, Einheit und Wissen, ein Computervirus in die Kommandozentrale der Aliens zu schleusen.

25 Jahre nach Erscheinen wird es endlich Zeit, dass wir in Independence Day das erkennen, was der Film ist: ein ökosozialistisches Meisterwerk, das uns den Weg weist im Kampf gegen die Zerstörung des Menschen durch den Menschen.

Sebastian Friedrich ist Journalist und führt in dieser Kolumne sein 2016 als Buch erschienenes Lexikon der Leistungsgesellschaft fort, welches mitunter veranschaulicht, wie der Neoliberalismus unseren Alltag prägt.

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