Wie Regierungssprecher Steffen Seibert die Pressefreiheit eingeschränkt hat

G-20-Gipfel Mit Angela Merkel geht auch ihr Sprecher. Viele halten Steffen Seibert für integer – dabei hat er auf die Freiheit der Presse nicht immer allzu viel gegeben. Unser Autor musste das selbst erleben
Puh, Pressefreiheit? Schwierige Geschichte
Puh, Pressefreiheit? Schwierige Geschichte

Foto: John Macdougall/AFP via Getty Images

Höflich, fair, korrekt – so dürfte Steffen Seibert vielen in Erinnerung bleiben. Am Montag wird der Regierungssprecher zum letzten Mal Fragen der Medien bei der Regierungspressekonferenz beantworten. Mehr als elf Jahre, und damit deutlich länger als jeder seiner Vorgänger, nahm der frühere ZDF-Anchorman regelmäßig vor der berühmten blauen Wand Platz und präsentierte den Anwesenden die Sicht der Regierung und vor allem die der Regierungschefin. Seibert genoss nicht nur Angela Merkels Vertrauen, auch viele Medienschaffende sehen in ihm einen integren Presseamtschef.

Für mich wird er als derjenige in Erinnerung bleiben, der 31 Kolleg*innen und mir 2017 die Presse-Akkreditierung für den G-20-Gipfel in Hamburg entzogen – und damit die Pressefreiheit eingeschränkt hat. Mittlerweile ist klar, welche Rolle Seibert selbst dabei gespielt hat.

Beim G-20-Gipfel war ich im Juli 2017 für die linke Hamburger Monatszeitung analyse & kritik im Einsatz. Ich dachte, ich würde die Akkreditierung gar nicht benötigen, weil ich schwerpunktmäßig über den alternativen „Gipfel für globale Solidarität“ auf Kampnagel und die Proteste gegen den G-20-Gipfel berichten sollte. Am Donnerstag, wenige Stunden vor Gipfelbeginn, zeigte sich aber, wie wichtig der Akkreditierungsausweis tatsächlich war, denn die Polizei akzeptierte in den Tagen des Gipfels auf den Straßen nur äußerst selten den Presseausweis.

Ohne den Akkreditierungsnachweis hätte ich kaum die Möglichkeit gehabt, mich einigermaßen frei zu bewegen. So konnte ich hautnah miterleben, wie die Polizei Donnerstagabend im Stadtteil St. Pauli die Situation eskaliert hatte – und mit Wasserwerfern gegen Demonstrant*innen, herumstehende Anwohner*innen und übrigens auch gegen Journalist*innen vorging. Ich sah, wie Menschen in Panik vor den heranstürmenden Einsatzkräften eine zwei Meter hohe Brüstung hinauf kletterten, wie Polizeibeamte grundlos auf die Spitze der nicht einmal losgelaufenen Welcome-to-hell-Demo einprügelte, wie ein Wasserwerfer auf eine auf einem Dach stehende Person zielte.

Seibert entschied, die Akkreditierungen zu entziehen

Während dieses Polizeieinsatzes, bei dem der Verlust von Menschenleben in Kauf genommen wurde, klingelte das Telefon von Steffen Seibert. Emily Haber, damals Staatssekretärin im Innenministerium und heute deutsche Botschafterin in den USA, informierte den Presseamtschef über neue Erkenntnisse zu ein paar akkreditierten Journalisten, die Störaktionen geplant hätten. Seibert entschied, diesen vier angeblich gefährlichen Journalisten die Akkreditierung zu entziehen. Für mich hatte das noch keine Auswirkungen.

So konnte ich am nächsten Morgen einen Demonstrationszug vom Protestcamp in Richtung Innenstadt begleiten. Irgendwann am Vormittag hatte das BKA dem Bundespresseamt mitgeteilt, es gebe nun auch Sicherheitsbedenken wegen 28 weiteren Journalist*innen, zu denen auch ich zählte. Wie am Tag zuvor war es wieder Steffen Seibert, der die Entscheidung traf, den anderen 27 Kolleg*innen und mir die Akkreditierung zu entziehen.

Als ich Freitagmittag ins Pressezentrum des G-20-Gipfels wollte, wurde mir der Zutritt verwehrt. Ein BKA-Beamter gab mir eine Zigarette und nahm mir meinen Akkreditierungsausweis ab. Gemeinsam mit anderen betroffenen Kollegen telefonierten wir mit Anwält*innen, und versuchten irgendwie, die Akkreditierung wiederzubekommen. Ohne Erfolg, dafür mit Folgen: Ohne den Akkreditierungsausweis kam ich nicht mehr durch Polizeiketten und konnte mir entsprechend kaum noch ein Bild über die Proteste und den Polizeieinsatz machen.

Die Sache hatte ein Nachspiel – ein langes: Gemeinsam mit einigen Kollegen klagte ich, unterstützt durch Verdi, gegen den Entzug der Akkreditierung. Der Fall wurde auch medial aufgegriffen. Bis zu einer Gerichtsentscheidung sollte es aber noch mehr als zwei Jahre dauern.

Zielscheibe einer rechten Medienkampagne

In der Zwischenzeit bekam ich die Nebenfolgen von Seiberts Entscheidung zu spüren. Im Februar 2019 war ich Zielscheibe einer relativ umfangreichen rechten Medienkampagne gegen mich. Der Vorwurf von Medien wie dem AfD-nahen Deutschland-Kurier, den rassistischen PI-News, dem faschistischen Compact-Magazin, der Jungen Freiheit und von dem rechtsradikalen Ein-Prozent-Netzwerk: Ein Linksextremist berichte für die ARD über die AfD.

In den meisten der etwa 20 Artikel, die binnen weniger Tage über mich auf rechten Seiten erschienen, wurde der Entzug der Akkreditierung als Beleg zur Diskreditierung meiner Person herangezogen. So bezog sich auch Björn Höcke auf die Entscheidung des Bundespresseamts beim G-20-Gipfel. Die üblichen Droh-Mails und auf Social Media formulierten Mordfantasien ließen nicht lange auf sich warten. Auf Facebook etwa wurde darüber sinniert, ob ich nicht gehängt, erschossen oder vergast werden sollte.

Im November 2019 entschied das Verwaltungsgericht Berlin, dass der Entzug der Akkreditierung rechtswidrig war. Das Bundespresseamt stellte keinen Antrag auf Berufung, womit das Urteil rechtskräftig wurde. Durch die Ausführungen des Bundespresseamts wurde spätestens mit der Urteilsbegründung klar, dass der höfliche, faire und korrekte Seibert den Entzug unserer Presseakkreditierungen angeordnet – und damit bewusst die Pressefreiheit eingeschränkt hatte. Dieses kleine Detail sollte bei der Bewertung der Amtszeit des Presseamtschefs bitte berücksichtigt werden.

Sebastian Friedrich war von August 2017 bis Juli 2019 Volontär beim Norddeutschen Rundfunk. Seitdem arbeitet hat er als freier Journalist regelmäßig für das ARD-Magazin Panorama, das NDR-Medienmagazin ZAPP und als Autor von Radiofeatures für verschiedene Radiosender. Er ist außerdem seit 2018 Kolumnist des Freitag

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