Das I-Wort

Interview Bülent Kullukcu ist Bayer, Musiker, Regisseur und als Galerist für türkische Kunst ein deutscher Pionier. Warum er von Integration nichts mehr hören will

Münchner Bahnhofsviertel. Nebenan der „Imbiss Salam“ – Döner drei Euro – und eine Spielothek. Am Haus ein Schild: Kullukcu. Sonst steht da nichts. Im Hauseingang einige verschleierte Frauen. Sie steigen nicht zu einem in den Lift. Dritter Stock, schelmisch lachend, gut gelaunt: Bülent Kullukcu. Es gibt Saft, zum Sitzen Plastikhocker ohne Lehne. Kullukcu immer auf dem Sprung, das Handy klingelt ständig.

Der Freitag: Herr Kullukcu, warum haben Sie Ihre Galerie hier eröffnet? Es gibt in München andere Orte für Galerien. Warum nicht in der Nähe der Pinakotheken?

Bülent Kullukcu:

Ich hatte den Gedanken, ins Pinakotheken-Viertel zu gehen. Aber ich habe mich bewusst dagegen entschieden. Es ist doch großartig, dass die Leute, die dort rumhängen mit ihren Alten Meistern, auch einmal hierherkommen, ins Bahnhofsviertel.

Der türkische Künstler Nasan Tur fotografiert Moscheen in Deutschland. Die meisten sind gar nicht als solche erkennbar. Er will so dokumentieren, wie sich eine beargwöhnte Minderheit vor der feindseligen Umgebung versteckt. Verstecken Sie sich?

Nein, das finde ich nicht. Ich bin voll in die Infrastruktur des Viertels eingebunden. Und eine Galerie in einer solchen Umgebung ist ja auch ein Statement: Diese Galerie ist in ihrer Art eine der ersten in Deutschland. Man könnte fast sagen, dass wir hier Postcolonial Studies betreiben, Dekonstruktivismus: Wenn man hier ist, kann man am besten auseinandernehmen, wie Menschen hier gelebt haben und leben, Migrationsbewegungen erforschen und beobachten, wie sich eine Gesellschaft so verändert.

Sie sind als Galerist auch Forscher?

Das Problem in Deutschland ist, dass über die Menschen, die vor vielen Jahren gekommen und jetzt schon in der zweiten und dritten Generation Bürger dieses Landes sind, zu wenig bekannt ist. Auch über deren Kultur. Es wird immer lapidar gesagt: Wir haben Arbeiter gebraucht, die sind gekommen, und jetzt müssen sie sich integrieren. Aber was für eine neue Kultur in den sechziger und siebziger Jahren hier entstanden ist durch die Vermischung, das interessiert keinen.

Jetzt sind wir schon mitten drin im Thema.

Integration? Integration ist für mich ein faschistoides Wort. Integrieren, das haben die Nazis gemacht – und alles, was nicht inte­griert war, haben sie ausgelöscht.

Dabei haben Sie sich lange überhaupt nicht für den Integrationsdiskurs interessiert.

Ich habe mich bis 2004 nicht mit meiner Herkunft beschäftigt, weil ich damit zu tun hatte, hier zurecht zu kommen. Ich habe das verdrängt. Ich war damals schon Schauspieler und Musiker. Aber an den Theatern war kein Türke außer mir. Deshalb war es auch nicht notwendig, sich damit zu be­schäftigen. Meine Herkunft spielte für mich keine Rolle.

Hier in der Galerie soll das Thema Migration auch keine Rolle spielen, behaupten Sie.

Hier geht es um Kunst. Auch und vor allem um junge türkische Kunst.

Sie sind in Markt Indersdorf aufgewachsen, einem kleinen Ort in der Nähe von München.

6.000 Einwohner gibts da. Aber ich bin dort schon vor 22 Jahren weg, damals war ich gerade 18.

Wie haben Sie ihre Kindheit in Markt Indersdorf erlebt?

Du bist anders, deine Umgebung nimmt dich als anders wahr, klar. Aber ich hing dann eben mit denen rum, die auch anders waren, mit den Punks zum Beispiel.

Wussten Sie schon damals, dass Sie Künstler werden wollen?

Ich nehme einfach viel auf, das war schon in meiner Kindheit so. Und was ich empfange, beschäftigt mich, und das verarbeite ich. Sonst belastet es mich zu sehr. Ich habe schon als Kind Stücke geschrieben, war später bei einer Laientheatertruppe. Ich habe Theater gemacht, ohne zu wissen, was Theater ist. Das habe ich auch durch das Fernsehen gelernt. In türkischen Familien laufen viele Fernseher.

Wie haben Ihre Eltern auf ihren Künstler-Sohn reagiert?

Die sind 1962 als Gastarbeiter gekommen, als eine der ersten türkischen Familien. Mein Vater war Hilfsarbeiter, meine Mutter Putzfrau. Als ich mit 14 Jahren angefangen habe zu malen, haben die gesagt: Der spinnt. Und ich wusste, die verstehen das nicht, deshalb konnte ich ihnen auch nicht beweisen, dass ich das kann. Aber sie haben mir nichts verboten. Sie haben es respektiert. Und mittlerweile interessieren sie sich dafür, verstehen auch vieles.

Wurden Sie gefördert?

Nein, ich habe die Hauptschule besucht und dann angefangen, eine Lehre als Dreher in der Fabrik zu machen, in der auch mein Vater gearbeitet hat. Aber ich habe schnell gemerkt, dass das Arbeitsleben in einer Fabrik nichts für mich ist. In der Fabrik, das war wie in einer Armee. Als ich das geschmissen habe, kam es damals auch zum Streit mit den Eltern. Die haben natürlich gedacht, aus dem wird ja nichts. Na ja, das hat sich auch bewahrheitet (

Wollten Sie nicht aufs Gymnasium?

Ich wollte schon, ich wollte auch auf die Kunstakademie, aber ich hatte keine Chance. Damals haben die bayerischen Lehrer noch gesagt: Als Türke kannst du nicht auf das Gymnasium und schon gar nicht auf die Kunstakademie. Damals hieß es: Ihr seid die Türken, wir sind die Deutschen. Und ihr müsst wissen, wo ihr hingehört. Dorthin, wo ihr schon seid. Damit wurde auch eine neue Arbeiterklasse geschaffen. Auch heute noch will ja kaum einer, dass diese Bevölkerungsschichten akademisch werden. Aber es wird besser. Es gibt jetzt mehr Möglichkeiten.

Ihre Freiheit besteht heute darin, dass Sie alles selbst finanzieren, oder?

Ich habe mich nie um Förderungen bemüht. Ich wollte mir nicht reinreden lassen. Die Politik, aber auch die Hochkultur interessieren sich für Künstler meiner Generation mit Migrationshintergrund ja auch nur, weil sie uns als Vorzeigemaskottchen nutzen können. Damit sie sich bestätigt fühlen und sie nichts ändern müssen. Weil sie engstirnig und dickköpfig sind.

Ist es in der Türkei nicht noch schwerer? Dort werden Journalisten verhaftet, Schriftsteller leiden unter Repressionen.

Die Kunst genießt aber mehr Freiheiten, als sie Journalisten haben. Weil die Kunst für viele in den Verwaltungsapparaten unzugänglich ist. Viele kapieren nicht, was kritische Künstler mit ihren Werken wollen. Die Kritik der bildenden Kunst ist visuell. Das ist dann immer noch Interpretation. Dahinter kann man sich auch verstecken – und trotzdem wirkungsvoll sein.

Sie behaupten, dass sich innerhalb der Gegenwartskunst in Deutschland nichts tut, dass sich in der Türkei weit mehr bewegt.

In der Türkei hat sich in fünf oder sechs Jahren extrem viel entwickelt. Dort ist so viel Kunst entstanden. Und in der Türkei ist das automatisch politische Kunst, aufgrund der Umstände. Durch die sozialen und kulturellen Gegensätze dort trifft extremer islamischer Konservatismus auf extrem linke Aktivisten. Bei uns werden dagegen lieber Fantasiewelten erzeugt, LSD-Formationen, Drogenkunst à la Neo Rauch. Es geht beinahe nur noch um Ästhetik. Dabei passiert so viel. Nehmen wir das Beispiel Gentrifizierung. Das sind Klassenkämpfe. Und die deutsche Kunstszene? Kaum einer greift das auf.

Sind Sie mit Ihrer Galerie nicht ein Vorbote der Gentrifizierung hier im Viertel?

Ach, der alte Vorwurf der Linken: Zerstörung des Arbeiter- und Migranten-Viertels durch die böse Kultur. Ich sage denen: Was habt ihr denn gemacht, außer das Maul aufzureißen? Habt ihr mit Asylanten gearbeitet? Außerdem: Wir pimpen hier die Läden. Ein Beispiel: Im Restaurant hier an der Ecke hast du früher deinen Döner auf die Hand bekommen. Jetzt kommt der mit einer silbernen Kuppel über dem Essen. Das kostet fünf Euro mehr, aber der Restaurantbesitzer sagt jetzt ‚danke und bitte‘. Früher hat er nur gesagt: ‚Mit scharf? Mit Soße?‘ Und der Laden ist in Schuss.

Aber es gibt immer noch wenige türkische Künstler aus zweiter und dritter Generation. Warum?

Weil es in letzter Zeit verstärkt zu Pauschalisierungen und damit zur Ausgrenzung kommt. Dieses Problem ist bislang von keiner deutschen Regierung gelöst worden. Die Verhandlungspartner sind die falschen. Die müssten mit meiner Generation verhandeln, mit Menschen wie mir, die Kultur und Kunst machen, die das Problem von beiden Seiten aus beleuchten können. Nicht nur mit Religions- oder Wirtschaftsvertretern, die nur ihre Lobby vertreten.

Was würden Sie denn vorschlagen, wenn Sie gefragt würden?

Nehmen wir zum Beispiel das Theater. Da wird viel gefördert. Deutsche Theater werden beauftragt, mit Migranten zu arbeiten. Doch die meisten dort haben keine Ahnung. Die ziehen dann mich zurate. Mit deren Klischeedenken muss ich dann arbeiten. Es ist eine Qual. Wir sollten den Leuten mehr Freiheit geben. Sie sollten sagen: Hier habt ihr euer eigenes Theater, macht was draus. Warum muss ein deutscher Regisseur kommen und sagen: ‚Den Kanaken will ich, den Kanaken will ich und den will ich. Und mit denen mache ich jetzt ein Stück gegen Ausländerhass.‘ Gerade das ist doch Ausländerhass, die Menschen so vorzuführen.

Der gute Wille macht es nur noch schlimmer?

Oft ja. An den Kammerspielen hier haben sie gerade ein Stück mit einem Chor aus Migranten inszeniert. Der Chor wird als lebende Requisite auf der Bühne herum­geschoben, eingehüllt in Batik-Decken. So ein Mist. Dieses Thema ist doch viel zu schade, um es nur den Deutschen zu überlassen. Was kennen die schon von uns! Doch nur, was sie kennen wollen.

Aber das ist nicht nur der Fehler deutscher Kulturschaffender. Kaum einer aus Ihrer Generation rafft sich dazu auf, sich kulturell zu betätigen.

Das stimmt, aber in den letzten 50 Jahren wurde durch das so genannte Integrationsproblem, durch die Ausgrenzung, die viele Ausländer hier erfahren, Angst erzeugt. Viele trauen sich nicht, ihr Recht einzufordern. Man kann das durchaus mit Amerika vergleichen, mit Malcolm X und der Black Panther Party: Es hat hier noch nie eine derartige Widerstandsbewegung meiner Generation gegeben. Das muss sich vielleicht erst noch entwickeln. Die Einzigen, die aufschreien, sind die Islamisten. Das kann es doch nicht sein.

Kann man das Ausbleiben künstlerischer Äußerungen wirklich nur mit Angst erklären?

Eigentlich gibt es diese Äußerungen ja. Sie werden nur selten wahrgenommen. Ich stelle gerade zwei Musik-Compilations zusammen. Eine mit türkischem Psychedelic-Rock aus den sechziger und siebziger Jahren und eine mit türkischen Liedermachern aus Deutschland. Die haben die Probleme, die sie hatten, als sie hergekommen sind, in ihren Liedern verhandelt, auf Türkisch und Deutsch. Ozan Ata Canani zum Beispiel kam mit 14 hierher und hat türkische Lieder gesungen – mit deutschen Texten. Eine solche Veröffentlichung könnte den Menschen Mut geben.

Holen Sie diese Menschen wie etwa den türkischen Supermarktbesitzer in Ihre Galerie – viele leben ja hier im Bahnhofsviertel?

Das kommt noch. Ich habe natürlich Kontakt mit ihnen. Gegenüber hat gerade eine Familie aus dem Nordirak ein Restaurant eröffnet. Dort gibts keine lateinischen Schriftzeichen, von außen erkennt man nicht, dass da ein Restaurant ist. Du gehst rein, isst mit den Händen, fühlst dich wie im Nord­irak. So soll es sein. Die müssen sich nicht anpassen. Es funktioniert. Wenn jeder so leben würde, wäre alles friedlich.

Bülent Kullukcu deutscher Pionier als Galerist für türkische Kunst

Die Sonne war untergegangen, und ausgeleuchtet von bunten Scheinwerfern sah die Bühne vor dem Dunkel der Bäume, vor denen sie stand, aus wie ein Lichttor in eine andere Welt. Dieses Tor spuckte jetzt Bülent Kullukcu aus. Er und seine Band Generation Aldi tobten zu harter, lärmender Musik, es wurde laut, fordernd und chaotisch. Manchen war das zu viel, sie verließen das Open-Air-Konzert fluchtartig. Aber allen wollte es Bülent Kullukcu noch nie recht machen.

Der Münchner, geboren 1971, aufgewachsen in Markt Indersdorf, ist Regisseur, Schauspieler, Musiker und bildender Künstler. Mit seiner aktuellen Band The Brides vermischt er wieder Nu-Rave und Noise. Er pflegt seine Theater- und Kunstprojekte, ist als Bühnenmusiker für renommierte Theater tätig, entwickelt Soundinstallationen für Museen und arbeitete für Sven Väth und die Einstürzenden Neubauten als Produzent und Musiker. Im Jahr 2004 schrieb und inszenierte er mit Anthony Lew Shun das Theaterstück Kanakstar, das an den Münchner Kammerspielen Premiere hatte. Es ging um zwei Kinder der Gastarbeiter-Generation, die es in Deutschland geschafft haben, aber dennoch durch Drogen und Sex, Machos und Klischees, Gewalt und Bomben die Kontrolle über ihr Leben verlieren. Seit dieser Zeit beschäftigt Kullukcu sich auch intensiv mit Migrationsthemen.

Vor gut drei Monaten eröffnete er eine Galerie für türkische Gegenwartskunst in der Münchner Schillerstraße (kullukcu.de), eine der ersten in Deutschland. Als er sie bezog, riss er erst einmal die Deckenverkleidung bis zum Beton herunter. Allen wollte es Bülent Kullukcu noch nie recht machen, auch nicht dem Vermieter. segi

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