Alles oder Nichts - hauptsache bedingungslos

Grundeinkommen Das bedingungslose Grundeinkommen nimmt Fahrt auf, es wird abgestimmt und spekuliert. Dabei gibt es bereits Beispiele in der Praxis. Wie ist es, bedingungslos zu leben?

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Berlin-Mitte, 15:30, der zweite Fair-Trade Kaffee dampft auf der grünen und überraschend ruhigen Terrasse, als Van Bo Le-Mentzel zum verabredeten Interview erscheint – gute 30 Minuten verspätet. Als selbstgeschaffener „Zeitmillionär“ ist es genau dieser Luxus, über den der kreative Projektstarter verfügt. 2014 fand er über ein Crowdfunding genug Unterstützer, um sich ein bedingungsloses Grundeinkommen von €1.500 monatlich zu sichern. Er kündigte seinen Agenturjob, widmete seiner wachsenden Familie viel Zeit, und brachte ehrenamtlich mehrere gesellschaftsrelevante Kampagnen ins Rollen. „Ich glaube nicht, dass es auf dieser Welt an Arbeit mangelt, oft wird sie jedoch nicht als solche bezeichnet oder schlichtweg nicht bezahlt.“ In der Tat berechnete das statistische Bundesamt jüngst, dass die Deutschen 35% mehr Zeit für unbezahlte Arbeit als für vergütete Jobs aufwenden – Erziehung, Haushaltstätigkeiten, Betreuung und Ehrenamtliches ist das vor allem. Die Zahl mag überraschen, ist jedoch in den letzten 20 Jahren kontinuierlich gesunken. „Alles wird outgesourced“, moniert Le-Mentzel die Kommerzialisierung vieler gesellschaftlicher Grundbedürfnisse. Seinen Tatendrang hat die Bedingungslosigkeit sicher nicht gemindert, seine Wirtschaftsleistung schon.

Auf der anderen Seite des Teiches wird das Outsourcing weniger kritisch betrachtet, Vordenker im Silicon Valley setzen sich bereits intensiv mit dem Thema basic income auseinander. Der renommierte Start Up Inkubator „Y Combinator“ startet ein Experiment mit 300 Begünstigten, Geldgeber „Union Square Ventures“ arbeitet an einem Buch. Technologischer Fortschritt und eine fast absolute Automatisierung von Alltag und Arbeitswelt gelten den meisten hier als Hauptargument für die Notwendigkeit eines bedingungslosen Grundeinkommens. Arbeit für Menschen, so die These, wird es kaum noch geben. Technologiepessimisten sehen darin eine entmündigte Gesellschaft, die sich mit Hedonismus und Konsum beschäftigt, und von wenigen mächtigen Unternehmern regiert wird. A brave New World, nur ohne Arbeit.
Wirtschaftswissenschaftler wie der Franzose Yann Moulier Boutang bewerten das Engagement weniger dystopisch, mit der Idee des kognitiven Kapitalismus. Demnach befinden wir uns noch bis in absehbare Zukunft in einer Phase, in der der kontextuelle und kognitive Arbeitsbeitrag zunehmend wichtiger wird als der monokausale Zusammenhang zwischen Arbeitsleistung und konkretem Produkt. Denn wie will man bestimmen, wer genau beim Brainstormen für den Geistesblitz verantwortlich war? Oder wie kann man im Voraus ahnen, dass der Social Media Post des Praktikanten viral geht? Die Schwarmintelligenz ist was zählt, die Mannschaft ist der Star.

Zurück in Berlin, Kreuzberg diesmal. Das Büro der Initiative Mein Grundeinkommen erinnert an ein Start Up, ein riesiger Relax-Raum ist mit Matratzen ausgelegt, aber leer. Denn es wird mit Hochdruck daran gearbeitet, die Utopie zur Realität zu machen. Schon 18.000 Crowdhörnchen haben eifrig gespendet, um 43 Menschen ein monatliches Grundeinkommen von €1.000 zu bescheren, begrenzt auf ein Jahr - das Los entscheidet. Zwischen zwei Meetings findet Christian Lichtenberg Zeit, um über die Bemühungen des 11-köpfigen Teams zu sprechen. Wegbereiter und Geschichtenerzähler wollen sie sein, „die Debatte befeuern“, und nicht zuletzt das größte Experiment seiner Art durchführen. „Klar müssen wir auch schauen, dass wir werbewirksam kommunizieren, sonst bekommt es ja keiner mit.“ Das ist auch OK, denn wissenschaftliche Resultate oder gar politische Empfehlungen streben sie vorerst nicht an.

Leben verändern, das haben sie jedoch schon über 40 Mal jetzt, und zwar mit ganz unterschiedlichen Auswirkungen. Da wäre zum Beispiel Business Coach Jesta Phoenix, die das Grundeinkommen indirekt an ihre Kunden weitergibt – sie dürfen von nun an bezahlen, was sie für angemessen halten. Das Verlangen nach Vertrauen führte sie dazu. Oder Musikerin Meike Schmitz, die das zusätzliche Geld erstmal bei Seite legt, um ein zweites Mal zu studieren. „Vielleicht kommt aber noch eine andere schöne Idee.“ Marc schaffte es, die Attacken seiner Magen-Darm Krankheit radikal zu reduzieren. Der Losgewinn scheint befreiend zu wirken, viele sprechen von Euphorie. Manchmal zu sehr, es gab auch Fälle, in denen das Grundeinkommen auf die hohe Kante gelegt wurde, warum nicht. Ein anderer zog die Couch dem Job vor – und kündigte. „Menschen werden weiterhin ganz unterschiedliche Dinge tun, nicht alle werden die Welt retten. Aber sie werden es mit einem ruhigen Gewissen tun – und das führt zu einer friedlicheren Gesellschaft“, konstatiert Jesta Phoenix.

Insgesamt klingt das nach eher positiven Aussichten, aber zwei Dinge sind ganz klar: es lebt sich anders, wenn man als Einziger im Umfeld diesen Bonus bekommt. Und so wirklich repräsentativ sind die Gewinner nicht – viele waren schon vorher aktive Befürworter der Kampagne.

Eine nicht zu unterschätzende Gruppe bezieht bereits ein “Grundeinkommen“ vom Staat – von den 43 Mio. erwerbsfähigen Deutschen sind über 12% Leistungsempfänger. Das klingt einerseits nach viel, andererseits sagt es uns auch: 88% arbeiten, obwohl sie wahrscheinlich auch ohne leben könnten. Klar, Hartz IV heißt, am Existenzminimum kratzen, und es ist mit Auflagen und Formularwust verknüpft, aber die Befürworter des Grundeinkommens fordern gar nicht erheblich mehr Geld. „Die radikale Neuerung ist die Bedingungslosigkeit“, wie Enno Schmidt, Mitbegründer der Schweizer Volksinitiative, betont. Denn momentan werde sanktioniert, was belastend auf die menschliche Energie wirkt. Ein Rundgang im Jobcenter Neukölln zeugt von wütenden und niedergeschlagenen Geschichten – nichts zu spüren von Ideeneuphorie, obwohl für das Einkommen gesorgt wird.
Schmidt, ursprünglich Künstler von der Frankfurter Städel-Schule, predigt das bedingungslose Grundeinkommen mit eben so viel Begeisterung wie nüchterner Pragmatik. Er klingt nicht wie ein Revolutionär, der die Obrigkeit anklagt. Er spricht nicht von der eierlegenden Wollmilchsau, die alle Probleme löst – aber viele. Vor allem sieht er die Initiative als Impuls, zu mehr Demokratie zu gelangen, Bürger zu bestärken und ihnen Alternativen zu ermöglichen. Die Kraft, Nein zu sagen. „Diese wahnsinnige Lethargie und diese Trägheit, das wird aufhören.“ Wird es? Am 5. Juni findet die Volksabstimmung in der Schweiz statt, an einen Sieg glaubt dieses Mal noch keiner.

Wie geht’s weiter?
Der Hype ist riesig, und die Zustimmung prominent besetzt: Nobelpreisträger, milliardenschwere Unternehmer, Kulturschaffende sowieso. 64% aller Europäer wollen das bedingungslose Grundeinkommen laut einer umfassenden Erhebung von Dalia Research. Nur die Politik enthält sich noch größtenteils, die Risiken sind zu schwer einzuschätzen. Prof. Dr. Vobruba, Soziologe an der Universität Leipzig und Pionier der akademischen Grundeinkommensforschung, steht einer Einführung recht gelassen gegenüber. „Vorerst würde es gesellschaftlich keine radikalen Änderungen geben, solange Menschen gedanklich noch an die ‘Arbeitsgesellschaft‘ gebunden sind.“ Jesta Phoenix hat in über 10 Jahren Business Coaching gelernt: Arbeit zu haben bedeutet nun mal auch Status zu haben, Existenzängste sind heutzutage hauptsächlich Statusängste. Die Freiheit, zu machen was man will, wird auch erst dann angenommen, wenn es OK ist, nichts oder wenig zu verdienen. Und darüber hinaus wird es immer noch Menschen geben, denen Reichtum ein Wert an sich ist, und solche, die ein neueres Modell als das in Nachbars Garage brauchen. Eine Neuentdeckung der Werte braucht Zeit, aber dann „wird es alles verändern,“ verkündet Van Bo Le-Mentzel ansteckend.


Schlüsselfragen bleiben: wie wird es finanziert? Und komplexer noch, wie wird abgegrenzt? Bekommen Geflüchtete auch ein Stück vom Kuchen? Mehr Freiheit hier geht einher mit mehr globaler Ungleichheit. Damit die Politik ernsthafte Debatten führen kann, braucht sie Antworten darauf. „Wenn man was wirklich will, geht es nicht um kurzfristige Emotionalitäten“, wie Enno Schmidt findet, sondern es müssen ganz pragmatische und kompromissbereite Schritte gegangen werden. Auch muss priorisiert werden – vielleicht fokussiert man sich vorerst auf die humane Bedingungslosigkeit statt auf das quantifizierbare Grundeinkommen.
Und wenn dennoch Zweifel bestehen, bedarf es vielleicht eines „Wir schaffen das!“ von ganz weit oben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sebastian Gluschak

Reportagen/ Digital/ WirtschaftSZ, Tagesspiegel und Hintergrund bislang@smarinogluschak

Sebastian Gluschak

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