Das Klimachancenpaket bleibt ungenutzt

Nachhaltiges Wirtschaften Das Thema Klima ist da um zu bleiben, und die Sündenböcke sind Politiker. Dabei verpassen Unternehmen gerade Wertsteigerungspotenziale in der nachhaltigen Transformation

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Das Klimachancenpaket bleibt ungenutzt

Foto: Josep Lago/AFP via Getty Images

Der Grund, warum das deutsche Klimaschutzpaket niemandem einen Zacken aus der Krone bricht, ist derselbe, weshalb die deutsche Wirtschaft in der digitalen Transformation hinterherhinkt, und derselbe, weshalb viele Familien jedes Jahr in denselben Urlaubsort fahren. Wenn die Angst vor Veränderung größer ist als die Lust auf Neues, dann mag für Sicherheit und Planbarkeit gesorgt sein, für große Sprünge sicher nicht. Aber die braucht es.

Die Erderwärmung bringt die gewohnte Dialektik – konservativ und sicherheitsorientiert versus liberal und fortschrittsorientiert – mächtig ins Wanken. Je gemäßigter die Klimareformen ausfallen, also nach traditioneller Betrachtung planbarer für Unternehmen und Gesellschaft, desto radikaler werden künftig die Umbrüche, zu denen uns die Wissenschaft oder spätestens die ersten versunkenen Ostseeinseln zwingen werden. Dass selbst die US-Ölindustrie (!) eine mehr als dreimal so hohe CO2-Bepreisung fordert als die 10 Euro pro Tonne, die die Bundesregierung ab 2021 einkassiert, hat sicher keine Sinnkrise oder Selbstgeißelung zur Ursache. Vielmehr ist es die Einsicht, dass abrupte Veränderungen – siehe Nuklearausstieg – sonst knüppelhart treffen.

Viel verwunderlicher als die unzureichende Umweltpolitik, die seit 50 Jahren auch die lauteste Schelte noch gelassen weggesteckt hat, ist die Döselei der meisten deutschen Konzerne. Schließlich hat es nie mehr Gründe für eine glaubhafte Nachhaltigkeitsstrategie gegeben: Rund acht Millionen Vegetarier in Deutschland, Tendenz steigend, stehen für den Zuwachs einer Bevölkerungsschicht, die sich Gedanken über ihren Konsum macht – und nachhaltige Produktion bevorzugt. In Zeiten von „Fridays for Future“ sind die Klimagerechtigkeits-Fans mittlerweile so viele geworden, dass man sie als Werbetreibender auf Facebook als Zielgruppe findet. Gleichzeitig wird die erwähnte Regulierung sukzessive zunehmen und Geschäftsmodelle auf den Prüfstein stellen.

Hinzu kommen die Millennials, die sich immer weniger vom Diktat der Arbeit unterjochen lassen. Bei der Arbeitsplatzwahl spielt der übergeordnete Sinn und der gesellschaftliche Beitrag eine immer größere Rolle – umso alarmierender sind da die Ergebnisse der jüngsten Peakon-Studie, der zufolge die nach 1980 Geborenen weitaus weniger Sinn in ihrem Job sehen als frühere Generationen. Konsequenz: Eine kostenintensive Mitarbeiterfluktuation.

Reichen den DAX-Notierten diese Argumente nicht, mal ordentlich was umzustellen? Nicht aus Überzeugung, nicht aus Aktivismus – rein aus EBIT-betreffenden Beweggründen?

Erste Steine kommen ins Rollen

Zum Glück gehen nicht an allen gehen die Zeichen der Zeit spurlos vorüber. Bosch, immer schon am verantwortungsvolleren Ende des Unternehmensspektrums, verkündete, man werde ab kommendem Jahr CO2-neutral wirtschaften. Wirklich emissionsfrei wollen sie zwar erst 2030 sein – bis dahin müssen zum Ausgleich Bäume gepflanzt werden – aber immerhin: Eine Milliarde wollen sie ausgeben, das ist mehr als nur symbolträchtig. Und die verbrennungsintensive Stahlindustrie hat zwar im Allgemeinen niedrigere Ambitionen. Aber etwa Thyssen-Krupp will in den kommenden zehn Jahren ebenfalls 30 Prozent weniger Energie verbrauchen.

Wie eine wirkliche Kehrtwende aussieht, zeigt die Rügenwalder Mühle. Wenn der Geschäftsführer des fleischverarbeitenden Unternehmens sagt, es sei „an der Zeit, mal 50 Prozent weniger Tiere zu essen“, während er den Umsatz um 6 Prozent steigert, dann deutet das darauf hin, dass er sein Produktportfolio scheinbar im richtigen Moment nachhaltig umgekrempelt hat: Fast 40 Prozent der Rügenwalder Würste sind inzwischen auf Pflanzenbasis hergestellt, Tendenz steigend.

Und auch der durch-die-Decke-Erfolg der Outdoor-Marke Patagonia zeigt: Eine wahrhaftige Nachhaltigkeitsstrategie hilft nicht nur, langfristig den Fokus zu behalten und Glaubwürdigkeit aufzubauen, sondern zahlt sich auch in unternehmerischem Erfolg aus.

Wahr ist aber auch: Buzzwords finden sich viele, Unternehmen, die CO2-Neutralität wirklich tief in ihr Geschäftsmodell verweben, jedoch kaum. Die Rhetorik stimmt, aber die Ökobilanzen stagnieren.

High-Tech und eine vollendete Energiewende, sonst geht’s sowieso nicht

Würde man die Nachhaltigkeit etablierter Unternehmen an den Zukunftsvisionen messen, die sie auf etwaigen Innovationskonferenzen vortragen, stünden uns rosige Zeiten bevor. Was sich aber daran auch sehen lässt, aller Zynismus beiseite: Selbst wenn der Wille vorhanden ist und die Notwendigkeit intellektuell begriffen, ist es verdammt schwierig, in voller Fahrt den Kurs zu ändern. Das Unterfangen, Nachhaltigkeit als neue Messgröße einzupflegen, kann bei Konzernen nur schrittweise erfolgen. Dennoch braucht es radikale Neuerungen.

Am Beispiel der Automobilindustrie lässt sich das verdeutlichen. Kaum einer wird glauben, dass ein einstiger Diesel-Saulus plötzlich zum Elektro-Paulus wird, weil der Glaube an eine emissionsfreie Umwelt ihn bekehrt hat.

Positivbeispiele für mutige Schritte nach vorn gibt es aber auch hier. Die Ankündigung Porsches etwa, bis 2025 jedes zweite Auto mit Elektroanbtrieb zu verbauen, entspringt vor allem Wettbewerbsdruck und Kundennachfrage, aber auch dem Mut, massiv in die noch junge Entwicklung zu investieren. Auch die neue Zuffenhausener Fabrik selbst, in der rund 1.500 Angestellte Elektrofahrzeuge wie den neuen Taycan produzieren sollen, soll eine „Zero-Impact-Factory“ sein. Um CO2-frei Autos zu bauen, wurde die Halle etwa mit Stickstoffoxid-schluckender Oberflächenbeschichtung versehen – solche Technologien und entsprechende Ingenieure kosten viel Geld, in diesem Fall mehr als eine Milliarde Euro. Doch Investitionen dieser Größenordnung braucht es, soll wirklich etwas bewegt werden.

Wenn andere Autohersteller mit ähnlicher Vehemenz auf neue Antriebstechnologien umschwenken, dann wird der Anteil der alternativ angetriebenen Verkehrsmittel – der zurzeit bei rund 6 Prozent liegt – sicher rapide steigen.

Dennoch wird all das nur eine Wirkung auf die Umwelt wird haben, wenn aus den fast 40 Prozent erneuerbarem Strom schleunigst 100 Prozent werden. Sonst gilt für den Kohlenstoffdioxid: Linke Tasche, rechte Tasche.

Grün – noch immer ein Hygienefaktor, aber ein wachsender

Die Verbraucher jedenfalls sind so bereit wie lange nicht, ihr Konsumverhalten anzupassen. Während der nachhaltige Konsum vor rund 6 Jahren sein publizistisches Hoch hatte, erlebt er in Zeiten des geforderten Klimanotstands ein Aufblühen, nur radikaler. Konsumscham jeglicher Art wird gefordert, Verbote von Plastik und panzergroßen Autos werden umgesetzt, aus Allem wird bald Nichts. Studien zeigen: Noch richtet nur ein kleiner Teil der Bürger seinen Konsum an nachhaltigen Kriterien aus. Doch klar ist, dass er weiterwachsen wird. Dabei lassen sich die Erwartungen der Konsumenten eigentlich recht leicht erfüllen.

Für rund 50 Prozent der Deutschen bedeutet es die Vermeidung von Verpackungsmüll oder die Verwendung von energiesparenden Birnen und Elektrogräten, ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey. Beides Themen, denen kluge Ingenieure Rechnung tragen können, ohne den Produkten zu schaden. Die Reinigungstechonologen von Kärcher etwa haben es geschafft, den Anteil recyclingfähiger Stoffe um 350 Prozent zu erhöhen. Das Produkt ist genauso gut, die Firma nach wie vor Branchenprimus.

Noch ist der Druck zur Veränderung überschaubar. Aber wenn Unternehmen ihre Nachhaltigkeit nicht bald proaktiv angehen, ergeht es ihnen wie den besagten Familien. Selbst wenn der vertraute Urlaubsort mit der Zeit total verbaut und röhrend laut geworden ist, irgendwann haben sie sich zu sehr dran gewöhnt, um woanders hinzureisen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sebastian Gluschak

Reportagen/ Digital/ WirtschaftSZ, Tagesspiegel und Hintergrund bislang@smarinogluschak

Sebastian Gluschak

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