Hängt ihn höher

Porträt Ralph Vollmers verbringt seine Wochenenden auf Fußballplätzen, um Amateurspiele zu pfeifen. Dafür bekommt er kaum Geld – aber den ganzen Hass der Zuschauer
Ausgabe 24/2016
„Ich spreche die Sprache der Spieler, schreie dann eben auch mal zurück“
„Ich spreche die Sprache der Spieler, schreie dann eben auch mal zurück“

Foto: Enver Hirsch für der Freitag

Im Amateurfußball kann es bekanntlich ruppig zugehen. Auch für den Schiedsrichter: Überehrgeizige Eltern schreien einen an, mitunter kriegt man sogar Bierdosen an den Kopf. Ralph Vollmers kennt das alles. Freude hat er dennoch daran.

Herr Vollmers, wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch zu schreiben?

Die Idee kam von Julien Wolff, mit dem ich das Buch gemeinsam gemacht habe. Der ist Journalist und hat mit seinem Verleger zusammengesessen und meinte, über Amateurschiedsrichter sollte man mal ein Buch schreiben. Die Schiedsrichter waren da schon seit einigen Jahren im Fokus der Medien, aber meist eben die Profis.

Woher kam die Aufmerksamkeit?

Das hat sich mit der Zeit so entwickelt. Auch die Presse hat eben immer mehr gemerkt, dass die Schiedsrichter zwar entscheidende Leute sind, aber eben nicht immer alles so richtig entscheiden, wie es vor der Kamera zu sehen ist.

Sind die Kameras die neuen Schiedsrichter?

Weiß nicht. Heute sind jedenfalls 20, 30 Kameras ums Feld verteilt. Das baut Druck auf, immensen Druck. International geht es im Fußball ja aber auch um Millionen.

Wurden Sie nach Ihren Entscheidungen schon einmal mit Videomitschnitten konfrontiert?

Nein. Erzählt haben mir das schon öfter mal welche, dass es angeblich nicht so gewesen ist, wie ich das gesehen und entschieden habe.

Was ja praktisch zum guten Ton bei Fußballspielen gehört.

Genau. Es gibt eben viele, die einen im Laufe des Spieles anpöbeln und dann gehen die nach Hause und interessieren sich einen Scheißdreck. Deshalb auch das Buch. Man bekommt einen ganz anderen Eindruck vom Fußball, wenn man es liest. So gibt’s die Möglichkeit für alle, die sich nach dem Spiel nicht mit mir unterhalten wollen, sich schlauzumachen.

Zuletzt wurde viel über die Skandale der FIFA berichtet. Blicken Sie da noch durch?

Ich glaube, da blicken nicht einmal die Leute durch, die es betrifft. Die Vernetzung, die es dort gibt, durch alle möglichen Annehmlichkeiten oder wie man das schimpfen will. Das kommt mir vor wie in einem Mafiosi-Film. Ich glaube ehrlich gesagt, dass da noch nicht einmal alles ans Licht kommt, was da wirklich gelaufen ist.

Wie können diese Leute noch Vorbilder sein?

Das ist natürlich der Hammer schlechthin, dass die Leute, die über die Regeln des Spiels mitbestimmen, die fragwürdigsten Entscheidungen treffen.

Drago aus Bergedorf

Über 75.000 Menschen opfern in Deutschland ihre Wochenenden, um Fußballspiele zu pfeifen. Das Geld, das sie dafür bekommen, reicht meist nur für die Fahrtkosten. Diese Leute sind Schiedsrichter aus Leidenschaft.

Einer von ihnen: der 48-jährige Ralph Vollmers, Spitzname „Drago“. Seit 20 Jahren ist er Referee. Vollmers ist im Hamburger Hochhausviertel Bergedorf-West aufgewachsen und hat lange selbst Fußball gespielt. Mit 28 Jahren begann er dann seine Schiedsrichterlaufbahn. Im Verlauf seiner Karriere pfiff er vor allem Amateur- und Oberliga-Spiele, dreimal wurde er zum Hamburger Referee des Jahres gewählt. Seinen Spitznamen verdankt der bekennende HSV-Fan seiner früheren Frisur. Sie ähnelte dem Bürstenhaarschnitt von Schauspieler Dolph Lundgren in Rocky IV. In dem Kinofilm aus dem Jahr 1985 kämpft Lundgren als Boxer Ivan Drago gegen Sylvester Stallone aka Robert „Rocky“ Balboa.

Inzwischen trägt Ralph Vollmers Glatze, sein Geld verdient er als Versicherungsangestellter. Er wohnt mit seiner Frau Anke, die ebenfalls Schiedsrichterin ist, im Hamburger Umland, im schleswig-holsteinischen Geesthacht. Zusammen mit dem Journalisten Julien Wolff veröffentlichte er im vergangenen Jahr sein autobiografisches Buch Ey, Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht! (Schwarzkopf & Schwarzkopf 2015, 264 S., 9,99 €), das ihm auch überregional einige Aufmerksamkeit einbrachte. Neben Anekdoten aus Vollmers’ langer Zeit als Schiedsrichter enthält es auch Passagen über die Schattenseiten des Sports wie Gewalt und Bestechlichkeit.

Wie fühlt man sich als Schiedsrichter, wenn man die Regeln des Sports dann vorbildlich vertreten muss?

Darüber denke ich gar nicht nach. Denn das ist nicht meine Liga, in der die spielen. Das sind mein Sport und mein Fußball, die ich auf dem Feld vertrete. Da gibt es Regeln, die es im Prinzip schon gab, als ich noch ein kleiner Burschi war. Außerdem sind die regionalen Ligen, in denen ich pfeife, auch noch geselliger als die Profiligen. Dennoch gibt es auch in den unteren und Jugendligen immer wieder Probleme, weil Spieler oder die Eltern von Spielern die Nerven verlieren und handgreiflich werden. Die Probleme liegen da in meinen Augen in der Erziehung. Auch Ballerspiele tragen dazu bei. Dadurch geht viel vom Ehrgefühl verloren, das eigentlich beinhaltet, den anderen nicht zu verletzen und seine Unversehrtheit zu respektieren. Diese Haltung ist auf dem Platz kaum noch vorhanden.

Spielt bei den Eltern auch Frustration eine Rolle, weil ein Zögling nicht so funktioniert, wie sie sich das wünschen?

Das gibt’s natürlich auch. Es gibt so gescheiterte, selbsternannte ewige Talente. Wenn die dann so einen Zögling haben, der annehmbar den Ball spielt, dann sehen die schnell die Chance, den zu vermarkten. Die drängen dann das Kind so dermaßen in eine Richtung und bieten es Vereinen an und erwarten von dem eine Leistung, die er gar nicht bringen kann. Dieser Überehrgeiz führt natürlich auch zu Problemen mit Schiedsrichtern. Der ist dann gerne mal am Scheitern des Kindes und der eigenen Mannschaft schuld.

Wie ließe sich das verbessern?

Es gibt da schon Reglementänderungen, die solche Probleme begrenzen sollen. Dass etwa ohne Schiedsrichter gespielt wird. Das bringt dann aber anderswo Probleme mit sich, weil der Schiedsrichternachwuchs fehlt oder der Nachwuchs nicht mehr die Chance hat, wichtige Erfahrungen zu sammeln. Als Jungschiedsrichter verliert mancher so mehrere Jahre Berufserfahrung.

Entschärft das denn wenigstens die Konflikte?

Ich glaube schon. Die Verbände und Vereine, die das eingeführt haben, sprechen jedenfalls von Erfolgen. Ich kann mir das allerdings nicht vorstellen. Da finde ich die Zuschauerzone besser: Da werden Eltern 20 oder 30 Meter vom Spielfeld entfernt platziert und dürfen nicht mehr so nahe ans Spielfeld ran. Das ist sinnvoller, als die Schiedsrichter aus dem Spiel herauszunehmen.

Anderes Thema: Vor einigen Jahren gab es eine große Debatte über Homosexualität und Homophobie im Fußball. Mittlerweile ist es wieder still geworden. Hat sich da etwas verändert?

Ich kenne einige Schiedsrichter die homosexuell sind. Da habe ich noch nie gehört, dass die geschnitten wurden oder so. Aber wenn ich mich mit Spielern unterhalte, erzählen die öfter mal davon, dass Homosexuelle gemobbt werden. Die müssen ganz schön standfest sein, gerade im Profibereich. Weil es halt immer noch Leute gibt, die das als abnormal ansehen. Das ist eigentlich krank, dass in unserer weltoffenen Gesellschaft noch so etwas Hinterwäldlerisches Platz hat. Aber das wird dann eben zwei, drei Wochen in der Presse thematisiert und ist dann wieder aus den Augen und damit aus dem Sinn. Für die betroffenen Spieler verschwinden die Probleme dadurch leider nicht.

Haben Sie bei dem ganzen Ärger, den es im Fußball auch gibt, jemals das Schiedsrichtersein bereut?

Nein, eigentlich nicht. Ich wurde einmal nach einem Spiel fast verhauen. Danach habe ich mich schon lange gefragt: Wofür gebe ich mir das?

Das war ein Bierdosenwurf nach einem Spiel in Hamburg-Billstedt, der Sie am Kopf traf. Wie ging es danach weiter?

Ich habe mir gesagt: Das ist mein Sport. Ich habe Fußball fast schon von den Windeln an gespielt. Er ist ein Teil meines Lebens und mir macht es unglaublich viel Spaß, mit den Menschen auf dem Platz umzugehen und ein Fußballspiel zu leiten. Den Spaß lasse ich mir von solchen Vollidioten nicht kaputtmachen. Das war der Hauptgrund, weiterzumachen.

Wie lange hat das gedauert, damit fertigzuwerden?

Das hat durchaus ein paar Monate gedauert. Ich habe da auch mit meiner Frau und vielen anderen Leuten darüber gesprochen und mich auch lange immer wieder selbst hinterfragt: Ist das eigentlich noch das Gleiche? Eigentlich denke ich heute noch daran. So etwas wirst du halt nicht mehr los. Das kommt auch immer wieder hoch, wenn ich in ähnlichen Situationen bin. Aber solange ich noch Spaß daran habe, werde ich auch weiterpfeifen.

Würden Sie sagen, dass diese grundsätzliche Haltung, auf den Schiri zu schimpfen, falsch ist?

Nein. Das ist normal und gehört irgendwie zum Sport dazu. Auch die Haltung von Spielern auf dem Platz, die einem gerne mal zu verstehen geben, dass sie mal viel mehr Ahnung haben als man selbst. Es ist Teil des Spiels, die Grenzen dessen abzustecken, wie weit man als Spieler, als Fan, als Trainer gehen kann. Fußball ist eben auch ein emotionales Spiel und wenn es total still auf dem Platz wäre, wäre das Spiel tot.

Nun hat nicht nur der Videobeweis das Spiel verändert, sondern auch Onlinewetten.

Ja. Ich finde das krass, auf den nächsten Eckball oder den nächsten Strafstoß oder auf die nächste gelbe Karte tippen zu können. Das interessiert mich selbst aber eher nicht. Ich wette nicht, deshalb kann ich dazu kaum etwas sagen.

Verführt das zur Bestechlichkeit?

Natürlich. Gerade jüngere Schiedsrichter müssen damit erst einmal umgehen lernen. Früher hattest du viel mehr alte und erfahrenere Schiedsrichter, die schon 15 Jahre Erfahrung haben, bevor sie im DFB pfeifen. Heute musst du Anfang 20 sein, um da reinzukommen als Schiedsrichter. Das kann schon zum Problem werden, weil mit der Erfahrung auch die moralische Festigung fehlt. Außerdem sind die Jüngeren oft finanziell noch nicht so gut aufgestellt, haben noch keinen Beruf ergriffen und sind auch deshalb anfälliger.

Weshalb haben Sie nie die höheren Ligen gepfiffen?

Ich war einfach zu alt. Ich habe erst mit 28 Jahren angefangen zu pfeifen und da haben sie mir schon relativ schnell gesagt: Super, dass du pfeifst – aber für oben reicht das nicht mehr. Da habe ich mich auch gefragt: Warum mache ich das? Wieso bin ich mit 28 Jahren schon zu alt? Ich habe ja die Erfahrung als Spieler mitgebracht, die anderen Schiedsrichtern fehlte. Die vierte Liga habe ich dann immerhin noch vier Jahre gepfiffen, trotz meines biblischen Alters. Nun ist die nächste Saison meine letzte in der Ober- und Landesliga. Da liegt die Altersgrenze bei 49 Jahren und ich bin jetzt 48 Jahre alt. Ich darf natürlich in der Bezirksliga noch weiterpfeifen. Mal schauen, ob ich das dann mache. Das entscheide ich dann von Spiel zu Spiel.

Hand aufs Herz: Wird’s für Sie weitergehen?

Ich glaube schon. Ich habe ja auch in den vergangenen Jahren bereits Bezirksliga gepfiffen. Außerdem habe ich es da leichter als andere. Ich bin kommunikativer und kann Spiele ganz gut über die Bühne bringen. Außerdem spreche ich eher die Sprache der Spieler als andere, schreie zum Beispiel zurück, wenn mich jemand anschreit. Die meisten Spieler können da auch gut mit umgehen.

Was würden Sie sich von Sportlern und Fans wünschen?

Ich wünsche mir, dass sie die Arbeit von Schiedsrichtern ein bisschen objektiver sehen, ihre Arbeit besser verstehen lernen und ihnen auch zugestehen, dass sie wie jeder Mensch Fehler machen. Sie sollten sich vor Augen führen, was Schiedsrichter auf dem Platz leisten und sich dann überlegen, ob man das besser machen könnte. Jeder soll in seiner Freizeit auf dem Platz oder der Tribüne motzen können und dürfen, aber auch das hat seine Grenzen. Niemand darf für schlechte Leistungen verhauen werden. Spieler kriegen ja auch keine Dresche, wenn sie das Tor nicht treffen. Wenn das so wäre, würde ich ja überhaupt nicht mehr zum Pfeifen kommen.

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