Es ist das letzte Mal in dieser Legislaturperiode, dass im Plenarsaal des Thüringer Landtags darüber gestritten wird, ob die AfD unter ihrem Fraktionsvorsitzenden Björn Höcke verfassungsfeindlich ist. Währenddessen liegt das Corpus Delicti auf dem Tisch, den sich Höcke hier mit einem Parteifreund teilt: eine Wahlkampfzeitung, die vor wenigen Tagen im Freistaat aufgetaucht war. Der Wahlhelfer, steht auf dem Deckblatt; darüber: „Argumente für mündige Bürger“. Herausgegeben von einer „Vereinigung der Freien Medien“ katalysiert diese Postille die schlimmsten Befürchtungen von Linken, Sozialdemokraten und Grünen im nun zu Ende gehenden Landtagswahlkampf in Thüringen. Am Sonntag wird gewählt.
Es ist die Angst davor, dass es nach der Landtagswahl zu einer Zusammenarbeit zwischen CDU und AfD kommen könnte. Susanne Hennig-Wellsow, die Landesvorsitzende der Linkspartei, brachte es bei einem Parteitag auf den Punkt. Bei dieser Wahl, sagte sie, gehe es um nichts weniger als um „Ramelow oder Barbarei“. Bald darauf mutierte diese Losung zu „Bodo oder Barbarei“. Aber sie transportiert in beiden Varianten nur eine Botschaft: Entweder der Linke Ramelow bleibt Ministerpräsident. Oder sein CDU-Herausforderer Mike Mohring lässt sich mit den Stimmen der AfD in dieses Amt wählen, wodurch der Freistaat in unzivilisierte Zeiten abgleiten wird.
Ein paar Wochen vor der letzten Landtagssitzung der Legislatur hatte sich in der Nähe von Höckes Tisch eine Szene abgespielt, die solche Befürchtungen zu untermauern scheint: Da schlenderte der CDU-Abgeordnete Michael Heym nach einer Parlamentssitzung aus dem Plenarsaal, vorbei am Tisch der AfD-Landtagsabgeordneten Corinna Herold. Sie sitzt zwei Reihen hinter Höcke. An ihrem Platz machte Heym kurz halt, plauderte mit ihr. Unter den Utensilien, die auf Herolds Tisch lagen, war auch ein Brillenetui oder Mäppchen, auf dem zu lesen stand: „Merkel muss weg“.
Heym hätte nach dem Willen von Mohring 2018 Landtagspräsident werden sollen, wurde aber von Linken, SPD und Grünen abgelehnt. Unter anderem, weil einige ihm mangelnde Distanz zur AfD vorwerfen. Viele, wenn auch nicht alle Abgeordneten von Rot-Rot-Grün versuchen selbst auf den Gängen des Landtags so wenig Kontakt wie möglich zu AfD-Leuten zu haben. Einige von ihnen grüßen sie nicht einmal.
Mehr als Plaudern
Die Thüringer CDU freilich weist seit Monaten alle Behauptungen zurück, die Partei könne nach der Landtagswahl irgendeine Form der Zusammenarbeit mit der AfD eingehen. Die Sprachregelung ist im Kern immer die gleiche, egal ob Mohring oder Thüringens CDU-Generalsekretär Raymond Walk sie vorträgt: Die Beschlusslage der Partei sei eindeutig, heißt es. Es gebe keinerlei Zusammenarbeit von CDU und AfD. Gerne wird das verbunden mit dem Nachsatz, Thüringen müsse „aus der Mitte heraus“ regiert werden, nicht von links oder rechts.
Und doch ist es nicht so einfach, wie solche Aussagen glauben lassen sollen. Jedenfalls nicht mehr seit in Thüringen im Frühjahr Kommunalwahlen waren. Wenngleich niemand aus der Spitze der Landes-CDU öffentlich oder – soweit sich das beurteilen lässt – nichtöffentlich auch nur vorsichtig über eine Kooperation von CDU und AfD nach der Landtagswahl spricht, wenngleich es solche Überlegungen auf Ebene der Landes-CDU offenbar nicht mal in der zweiten oder dritten Reihe gibt, ist in den Kommunen längst etwas ins Rutschen gekommen. Im Zuge der Wahlen hat die AfD zahlreiche Sitze in den Gemeinde- und Stadträten sowie Kreistagen errungen. CDU- und AfD-Vertreter zeigen dort nicht selten einen Umgang miteinander, der weit über das Plaudern von Heym und Herold im Plenarsaal hinausgeht.
Dort, so berichten es Rot-Rot-Grüne und Unionisten übereinstimmend, pflegen manche CDU-Vertreter nicht nur persönlichen Kontakt zu AfD-Leuten. Sie zeigen auch kaum Hemmungen, mit ihnen über die Sanierung von Straßen, mehr Kitaplätze oder kommunale Zuschüsse für Sportvereine zu reden. Ihr Argument: Die Kommunalpolitik sei nicht der richtige Ort für Parteipolitik, dort gehe es darum, das Leben für die Menschen ganz konkret besser zu machen. Bei manchem CDU-Mann schwingt zudem die Hoffnung mit, AfD-Vertreter bekehren zu können. Als es nach der Kommunalwahl viel Aufregung darum gab, dass die CDU im Stadtrat des westthüringischen Geisa freiwillig Ausschusssitze an die Linke und die AfD abtrat, erklärte der stellvertretende Vorsitzende des CDU-Kreisverbands, Manfred Grob, beziehe man AfD-Stadträte in die kommunale Arbeit ein, hätten sie möglicherweise „keine Zeit mehr für die großen AfD-Parolen“.
Bei Rot-Rot-Grün bewertet man solche Nähe anders. Die grüne Landtagsabgeordnete Madeleine Henfling sagt, sie halte es für verheerend, wie sehr CDU und AfD auf kommunaler Ebene miteinander kooperierten; auch wenn sie das nicht überrasche. Sie selbst sitzt auch in einem Kreistag. Ein dort führender AfD-Mann sei etwa 30 Jahre lang CDU-Mitglied gewesen. „Solche Kennverhältnisse sind ja kein Garant dafür, dass die nicht zusammenarbeiten“, sagt sie. Das Argument von CDU-Leuten, Debatten über Straßen, Kindergärten und Vereine seien nicht geeignet, um sich mit der AfD auseinanderzusetzen, lässt Henfling nicht gelten. Gerade vor Ort gelte es, den Menschen mit einem eigenen Antrag zu zeigen, dass die AfD eben nicht die Partei sei, die sich um Probleme kümmere.
Alarmsignal für Rot-Rot-Grün
„Warum muss man mit der AfD über Kindergärten diskutieren?“, fragt sie. „Ich verstehe gar nicht, warum man sich in diese Hilflosigkeit begeben sollte.“ Indem CDU-Vertreter auf kommunaler Ebene mit AfD-Leuten sprächen und kooperierten, normalisierten sie diese Partei. Wobei es auch zur Wahrheit gehört, dass in Einzelfällen selbst Linke oder ihnen nahestehende Kommunalpolitiker in Thüringen schon in diese Falle getappt sind. In mindestens einem Fall, in Langenwetzendorf in Ostthüringen, ist jemand, der über eine Linken-Liste in den Gemeinderat einzog, sogar in eine Fraktionsgemeinschaft eingetreten, in der auch ein AfDler sitzt.
Diese Form von Umgang zwischen AfD und CDU ist nach dem Willen der Herausgeber des Wahlhelfers, der auf Höckes Plenarsaaltisch lag, vorbildhaft für die Landesebene. In der Wahlkampfzeitung findet sich ein Offener Brief einer Initiative namens „Dialog jetzt“. „Wir richten unseren Appell an die CDU Thüringen, eine Vorreiterrolle in der Bundesrepublik bei der Überwindung von sich immer weiter vertiefenden Gräben in der Gesellschaft und der Rückkehr zu einer sachorientierten Politik einzunehmen“, heißt es dort. „Was spräche dagegen, die Alternative für Deutschland zu enttabuisieren, indem man unter ihrer Duldung eine Minderheitsregierung bildet oder gar eine Koalition eingeht?“ Unterzeichnet hat den Aufruf unter anderem der Sprecher der Initiative, Hans-Helmut Münchberg.
Münchberg – und das ist eben kein Zufall – ist ein ehemaliger Thüringer Landrat. Nach der Wende war er einige Jahre in der CDU, ehe er als Parteiloser weitermachte. Zwischen 1990 und 2018 stand er an der Spitze genau jenes Landkreises, in dem auch Mohrings Heimatstadt Apolda liegt.
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