Um es gleich vorwegzunehmen: Ja, Winfried Kretschmann ist der aktuell beliebteste Ministerpräsident. Der schwäbelnde Landesvater mit seinem grünlichen Wohlfühlkonservatismus kommt gut an bei den Leuten im Ländle. In der eigenen Partei wird das zunehmende Selbstbewusstsein dagegen mit Misstrauen beäugt. Seit den Querelen um das Bundestagswahlprogramm, dessen linken Grundtonus Kretschmann nur sehr widerwillig akzeptierte, haben sich in der Partei neue Fronten aufgetan. Während sich die Linken mit dem eloquenten Frontmann Gysi als wirkliche Opposition darbieten, erschöpfen sich die Grünen in Selbstbeschäftigung.
Gelähmte Partei, profilloses Personal
Es scheint Anton Hofreiter ein ums andere Mal enorme Kraft zu kosten am Rednerpult des Parlaments grüne Positionen darzulegen. Seine Reden wirken oft langatmig, hölzern - die übersteigerte Gestik erscheint bisweilen seltsam deplatziert. Auch seine Kollegin Göring-Ekhardt bietet da keine wirkliche Abwechslung. Ihre Beiträge sind durchsetzt von austarierter Floskelhaftigkeit. Gäbe es eine Meisterschaft der Profillosigkeit, die Thüringerin würde es - gemeinsam mit der Kanzlerin - zweifellos in die Spitzengruppe schaffen. Nicht viel anders halten es auch die Parteispitzen. Cem Özdemir ringt erkennbar verzweifelt um mediale Aufmerksamkeit. Da muss auch mal ein zufällig ins Bild gerückter Hanfstrauch die eigene Inhaltsleere überdecken. Oder man bringt einen lockeren Jogamattenspruch zu einem gar nicht lockeren Thema. Von Claudia Roth ist ohnehin seit längerer Zeit überhaupt nichts mehr zu hören oder zu sehen. Wahrlich erbärmlich ist das Bild, das die frühere Rebellenpartei im Hohen Hause momentan abgibt.
Der ewige Flügelkampf
Doch dieses Bild hat seine Gründe (oder seine Grüne!). Die beiden Parteiflügel haben sich seit dem überraschend schlechten Abschneiden bei der Bundestagswahl 2013 ineinander verkeilt wie zwei erschöpfte Boxer in der zwölften Runde. Die Stimmung hat sich seither kaum gebessert. Während sich die einen als überzeugte, grundsätzlich linke Kraft verstehen, liebäugeln die anderen mit einem konservativ-liberalen Politikverständnis. Während Kretschmann unverhohlen Schwarz-Grün als Zukunftsoption für die Öko-Partei anpreist, forcieren die anderen einen Politikwechsel in einem rot-rot-grünen Bündnis. Und was sich da im tiefen Inneren zusammenbraut, strahlt unvermindert auch auf die Personalauswahl aus. Überall grünende Leere. Überall gähnende Profillosigkeit. Visionen? Stehen bei den Grünen mittlerweile unter Artenschutz.
Weiter so?
Reichlich Material zur Erfassung des grünen Gemütszustandes lieferten unlängst die Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. In allen genannten Bundesländern wurde das Minimalziel gerade so erreicht. Während die thüringische Spitzengrüne bereits am Wahlabend ihre Präferenz für Rot-Rot-Grün erkennen ließ, meldete sich umgehend Herr Kretschmann aus dem fernen Stuttgart mit dem Statement zu Wort, wonach er von dieser Option überhaupt nichts halte. Es war nicht die erste Einlassung aus der Villa Reitzenstein, die in der Partei so einige vor den Kopf stieß. Überdies hatte Kretschmann wohl vergessen, dass die sächsischen Kollegen mit einer mehr oder weniger deutlichen Aussage zugunsten eines schwarz-grünen Bündnisses kaum besser abgeschnitten hatten. Der Unmut über den grünen Oberlehrer, der scheinbar nur geringes Verständnis für die Sorgen und Nöte kleinerer Landesverbände aufzubringen vermag, ist mittlerweile beträchtlich. Ein Weiter-so in geeinter Spaltung könnte allerdings auch dem ersten grünen Ministerpräsidenten zum Verhängnis werden. 2016 sind im Südwesten Wahlen - und es gilt ein starkes Ergebnis zu verteidigen. Einige in der Partei sähen es dagegen ganz gerne, würden die selbstgewissen Oberrealos wieder auf Normalmaß zurechtgestutzt. Der gesamten Partei würde das vielleicht guttun. Vielleicht. Oder Kretschmann erhält vom Wähler seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt: Schwarz-Grün.
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