Kampf um die rote Bastion

Wiener Landtagswahlen Nach jahrzehntelanger Dauerregentschaft droht der SPÖ in Wien bei den Wahlen im Herbst ein Debakel. Und einer wittert seine große Chance...

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Die saturierte österreichische Republik war in den letzten Jahren - bis auf die unvermeidliche große Koalition - nie wirklich reich an politischen Selbstverständlichkeiten. Doch einige wenige scheinen seit jeher felsenfest zu bestehen: Niederösterreich wählt schwarz, die Hauptstadt bleibt rot. Vor dem Hintergrund der medial omnipräsenten Flüchtlingskrise und einer in dieser Hinsicht apathisch agierenden Bundesregierung erweist sich letztere Gesetzmäßigkeit als immer trügerischer. Die nach dem Tode des Alpenajatollah Haider lange Zeit führungslose FPÖ und ihr aktueller Frontmann Heinz Christian Strache befinden sich - der eigenen obsessiv betriebenen Anti-Ausländer-Rhetorik wegen - auf dem Weg zur bundespolitisch dominierenden Kraft. In Wien steht nun die Generalprobe an. Und eines scheint schon jetzt sicher: Das Ergebnis am 11.Oktober - wenn die Wienerinnen und Wiener zur Urne schreiten - wird erdrutschartige Verwerfungen weit über die Donaumetropole hinaus haben.

Amtsinhaber Häupl: Platzhirsch und Auslaufmodell

Für einen könnte der Wahlabend ganz besonders bitter werden. Amtsinhaber Michael Häupl (SPÖ) regiert im Wiener Rathaus seit 21 Jahren - selbst für die zuverlässig rot wählende Millionenstadt eine außergewöhnlich lange Zeit. Der leutselige promovierte Biologe ist ein Ziehkind seines legendären Vorgängers Helmut Zilk, der einen betont multikulturellen Politikansatz etablierte und deswegen beim Briefbombenattentat eines Rechtsextremisten eine Hand verlor. Häupl setzte dessen Werk in sozialdemokratischer Kontinuität fort und avancierte rasch zu einer bundes- wie landespolitisch einflussreichen Persönlichkeit. In der Kanzlerfrage - so versichern gut informierte politische Beobachter - war das Bürgermeisterbüro nicht selten die entscheidende Instanz. Andere munkeln gar, dass sich das politische Kraftzentrum Österreichs weniger im Bundeskanzleramt als vielmehr wenige Meter weiter davon entfernt befinde. So mächtig Häupl zuweilen erscheinen mag, so steht der mittlerweile 66-Jährige doch vor einigen Problemen. Weit und breit ist in der personell wie programmtisch ausgedünnten SPÖ kein Nachfolger von Format auszumachen. Das mag nicht zuletzt auch der Eitelkeit des Amtsinhabers geschuldet sein. Hinzu kommt, dass der durch und durch rot sozialisierte Häupl mit dem gegenwärtigen grünen Koalitionspartner nie recht warm wurde. Die von regelmäßigen absoluten Mehrheiten verwöhnte SPÖ sah in dem Zwang zur Koalition mehrheitlich schlicht Majestätsbeleidigung. Auch das fortgeschrittene Alter gereicht dem wortgewaltigen Stadtoberhaupt nicht gerade zum Vorteil, zumal Häupl in den letzten Monaten zunehmend dünnhäutiger wirkte. Dass sich ausgerechnet im Nachbarbundesland Burgendland "seine" SPÖ mit der von ihm stets verachteten FPÖ ins Koalitionsbett legte, war für Häupl ein Dammbruch. Die Ausgangslage könnte also durchaus besser sein. Und dann ist da ja noch der Widersacher...

Gegner Strache: Vom Haider-Ziehsohn zum Bürgermeister?

Wenn der etwas untersetzte Stadtfürst auf seinen stets sonnengebräunten, betont sportlich-dynamisch gekleideten Herausforderer trifft, wird auch dem letzten Beobachter dieser ohnehin äußerst seltenen Szenerie deutlich: Die mögen sich nicht. Von Verachtung zu sprechen wäre ebenfalls nicht übertrieben. Häupl hatte den forschen Strache bereits zu Beginn des Wahlkampfs auf die Ignoreliste gesetzt. Das könnte sich - bei aller persönlichen und vor allem politischen Apathie - als folgenschwerer Fehler erweisen. Straches politischer Aufstieg begann ganz im Schatten des FPÖ-Übervaters Jörg Haider - obwohl der früher eher schüchtern wirkende Jungfreiheitliche nie zur berühmt-berüchtigten "Buberlpartie" des Wahlkärntners gehörte. Sehr schnell jedoch wandelte sich der Blick auf das einst unumstrittene Idol. Der rücksichtslose Narzist Haider begann nach der verheerenden Wahlniederlage 2002 die eigene Partei zu zerschlagen. Viele Altgetreue wechselten in der Folge zum neuen Haider-Fanclub BZÖ - Strache blieb indes "Freiheitlicher". Fortan sah er in Haider den "Verräter des dritten Lagers" und setzte sich 2005 an die Spitze der FPÖ. Ungewöhnlich schnell formte er die chronisch zerstrittene Bundespartei zu einer mit betont rechter Thematik wahlwerbenden Formation. Einige öffentlichkeitswirksame Skandale - u.a. Paintballspiele in Wehrsportgruppenoutfit und frührere Kontakte zur rechtsextremen Wiking-Jugend - überstand er weitestgehend ohne große Blessuren. Und was ihm zunächst keiner zugetraut hatte: bei allen Nationalratswahlen lag "seine" FPÖ immer deutlich vor dem jeweiligen Anbetungsverein seines einstigen Mentors. Heute dominiert dieser vor Selbstbewusstsein sichtlich strotzende "Volkskümmerer" (Strache über Strache) die politische Agenda in der Alpenrepublik. Gemeinsam mit seinem strategischen Mastermind Herbert Kickl wettert Strache gegen "massenhaften Asylmissbrauch", "Armutszuwanderung" und "afrikanische Drogendealer". Slogans wie "Daham statt Islam", "Deutsch statt nix versteh'n" oder "Abendland in Christenhand" mögen noch so plump erscheinen, beim potenziellen Wahlvolk finden sie in besorgniserregendem Ausmaß Anklang. Seit mehreren Monaten schon sehen sämtliche Demoskopen die "soziale Heimatpartei" (Strache über die FPÖ) deutlich vor den Traditionsparteien SPÖ und ÖVP. Was Strache im Frühjahr ohne akute Flüchtlingsproblematik in der Steiermark und im Burgenland gelang, soll nun in Wien - seinem Heimatbezirk- einen triumphalen Höhepunkt finden. Strache im O-Ton: "Die Oktoberrevolution steht kurz bevor!" Die politische Provokation der bewussten historischen Grenzüberschreitung jedenfalls beherrscht er fast besser als sein einstiger Förderer, der den gelernten Zahntechniker zeitlebens als "intellektuellen Leichtmatrosen" verspottete.

High Noon für den Kanzler?

Bei genauerem Hinsehen erscheint der derzeitige Umfragensturm der "Blauen" nicht ungewöhnlich. Die große Koalition - ein ebenso unbeliebtes wie oft unvermeidbar erscheinendes Dauerprojekt österreichischer Geschichte - spielt der freiheitlichen Wahlkampfmaschinerie geradezu fahrlässig in die Karten. Kanzler Faymann erweckt zwar den Eindruck bemühter Betriebsamkeit, gilt jedoch mittlerweile als verbraucht und führungsschwach. Auch in der eigenen Partei bröckelt wegen verheerender Umfrageergebnisse und dem Verlust von Landeshauptmannsposten der Rückhalt beträchtlich. Der konservative Koalitionspartner übt sich derweil in unfreiwilliger Solidarität. Der ÖVP-Vorsitz ist zuallererst von den Launen schwarzer Provinzfürsten abhängig und deshalb nicht dauerabonnementverdächtig. In der Hauptstadt fristet die lediglich an Intrigen reiche "Volkspartei" ein Dasein als Kleinpartei. Und dennoch stellt der Wahlausgang für die SPÖ in ihrem Stammland ein ungleich größeres Risiko dar. Sollte sich ein rotes Debakel abspielen, wird Kanzler Faymann (ebenfalls ein Wiener SPÖ-Gewächs) nicht mehr zu halten sein. Nachfolger in Sicht? Fehlanzeige! Häupl könnte sich derweil zum Trost einer Weisheit des SPÖ-Urgesteins Kreisky bemächtigen. Der bemerkte einst sarkastisch: "Jetzt moch i a Minderheitsregierung... und dann schau i ma a ,wer mi stüartzt!" Viele werden sich in Wien hierfür jedenfalls nicht finden... Das scheint wiederum sicher.

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