Linke Diaspora

Israel Die einst stolze Arbeitspartei erlebte in den letzten Jahren einen beispiellosen Niedergang.Von fernen Triumphen, zerstörten Hoffnungen und einer schmerzhaften Spaltung.

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Rabin - vom Falken zur Friedenstaube

Neben Staatsgründer Ben Gurion und Golda Meir gilt der einstige Generalstabschef als eine der bedeutendsten politischen Persönlichkeiten Israels. Eins als großer Held des Sechstagekriegs gefeiert, wandelte sich der zumeist schweigsame und scheue Rabin in den frühen Neunzigerjahren zu einem überzeugten Visionär des Friedens. Kurz zuvor hatte er als Minister die palästinensische Intifada noch mit den Worten "Brecht ihnen die Knochen!" begleitet. Jetzt suchte er - gemeinsam mit seinem Rivalen Schimon Peres - die Verständigung mit Palästinenserführer Arafat. Bill Clinton - seinerzeit US-Präsident und nach seinem Wahltriumph 1992 in einem leichten Beliebtheitstief - suchte die internationale Bühne und stellte sich als Schirmherr der Verhandlungen zur Verfügung. Nach langen, regelmäßig kurz vor dem Abbruch stehenden Verhandlungen, reichten sich die ewigen Erzfeinde, Arafat und Rabin, im Garten des Weißen Hauses die Hand. Die hoffnungsvolle Parole des "Land gegen Frieden" schien geboren. Die Israelis zogen sich in der Folge bis auf wenige Enklaven aus dem Westjordanland zurück. Als Gegenleistung sicherte Fatah-Chef Arafat Israel die staatliche Anerkennung zu. International honoriert wurde dieses epochale Ereignis mit dem Friedensnobelpreis. Trotz einiger pessimistischer Bedenkenträger auf beiden Seiten schien der langersehnte Frieden in dieser Zeit so nah wie nie zuvor. Enough of blood and tears...

Das Attentat - ein israelisches Trauma

Es waren die Schüsse eines jüdischen Fanatikers, die im November 1995 den Traum vom nahenden Frieden zerschlugen. Rabin befand sich nach dem erfolgreichen Abkommen auf dem Gipfel seines Ansehens. Doch hatte er sich mit der Rückgabe besetzter Gebiete den Zorn des ultrareligiösen Lagers zugezogen. Einige orthodoxe Rabbiner forderten gar öffentlich die Todesstrafe für den Ministerpräsidenten. Rabin - ein verschlossener, oft unzugänglicher Zeitgenosse - hatte gegen den Rat seiner Frau Lea auf verstärkten Personenschutz verzichtet. Während radikalisierte Siedlerpatrone, um ihre Pfründe fürchtend, Rabin in SS-Uniform abbildeten, entschloss sich der Premier ein Zeichen zu setzen. Eine fröhliche Kundgebung inmitten Tel Avivs sollte den Friedenswillen der überwältigen israelischen Mehrheit in die Welt tragen. Am Ende sollte der Visionär tot sein. Eine Kugel der Beretta zerschlug sein Rückgrat. Sein blutgetränktes Liedblatt brannte sich in das Gedächtnis der geschockten Nation.

Ein gewisser Netanjahu tritt auf den Plan

Die Beerdigung Rabins ließ noch einmal Hoffnung aufkeimen, dass sein Werk, sein Ziel in seinem Sinne fortgeführt werde. Staatsführer aus aller Welt, darunter auch solche, die nun zum ersten Mal überhaupt israelischen Boden betreten hatten, erwiesen dem mutigen Gestalter die letzte Ehre. Unterdessen beschwor sein Freund Peres, der sich noch am Sterbebett von Rabin verabschiedet hatte, sich als künftiger Ministerpräsident bedingungslos dem Frieden zu widmen. Oppositionsführer Netanjahu wollte allerdings von alldem nichts wissen. Viel zu weit sei man den Palästinensern entgegengekommen, so sein Credo. Von substanziellen Sicherheitsgarantien mal ganz abgesehen. Doch war der streitbare Machttaktiker schon damals wenig beliebt. Israels Linke scheute den ehemaligen Elitesoldaten wie der Teufel das Weihwasser. Zudem hatte Rabin-Witwe Lea seinem Ansehen einen zusätzlichen Schlag versetzt, indem sie ihn zumindest indirekt für den gewaltsamen Tod ihres Ehemannes mitverantwortlich machte. Für die 1996 stattfindenden Wahlen zum Regierungschef galt der eloquente, seriöse aber taktisch wenig versierte Peres als haushoher Favorit. Das Friedensprojekt schien nicht ernsthaft in Gefahr...

Dunkle Wolken ziehen auf

Der Wahlkampf plätscherte so dahin. Zu groß schien der Vorsprung der Sozialdemokraten. Dann jedoch geschah etwas Unvorhergesehenes. Die radikalislamische Hisbollah-Miliz, des Friedensprozesses wohl überdrüssig, begann mit Raketenangriffen auf den Norden Israels. Peres, für aktionistische Schnellschüsse wie Kriegsrhetorik nicht bekannt, zögerte zunächst mit einer Reaktion. Schließlich ordnete er eine begrenzte, wenn auch heftige Militäroperation an, die in einem Fanal enden sollte. Eine offenbar verwirrte israelische Artilleriegranate zerstörte ein UN-Hauptquartier und tötete 106 Menschen, überwiegend libanesische Zivilisten. Gerade die hochsensible aber demoskopisch immens wichtige palästinensische Wählerschaft in Israel verweigerte Peres unter diesen Umständen die Stimmen. Am Wahlabend erfuhr ein verblüffter Netanjahu, dass er soeben mit nur einem Prozentpunkt Vorsprung zum israelischen Ministerpräsidenten gewählt wurde.

Von Oslo will niemand mehr etwas wissen

In seinen ersten Regierungsmonaten bestand Netanjahu dann aufgrund der seiner Meinung nach fehlenden Sicherheitsgarantien auf eine Nachverhandlung des ursprünglichen Abkommens. Das daraus entstandene Wye-Abkommen wurde dann so stark verwässert, dass es am Ende vollständig obsolet wurde. Netanjahu hatte sein Ziel, die bekannte politische Sackgasse, erreicht. Mit seiner arroganten, bemerkenswert selbstgefälligen und bisweilen erratischen Regierungsführung geriet er in Windeseile ins politische und internationale Abseits. Schließlich wurden die erst für 2000 vorgesehenen Wahlen um ein Jahr vorgezogen, da es in der Regierung massiv kriselte.

Ein letzter Triumph

Ganz in der Tradition Rabins hatte sich die Arbeitspartei auf dessen Ziehsohn Ehud Barak als Spitzenkandidaten geeinigt. Dieser konnte mit einer beachtlichen Vita aufwarten: Exzellente Studienabschlüsse, Mitglied einer Eliteeinheit des Mossad und schließlich gipfelte die Karriere in der Ernennung zum Generalstabschef. Seinem erklärten Vorbild Rabin stand er damit zumindest ordenstechnisch in nichts nach. Die Abstimmung endete schließlich in einem Triumph. Netanjahu wurde deklassiert, ja zerschmettert. Und Barak? Der erklärte noch in der Wahlnacht seine Bereitschaft zu neuen Friedensgesprächen mit den Palästinensern. Clinton, diesmal in den letzten Jahren seiner zweiten Amtsperiode und innenpolitisch durch die Lewinsky-Affäre nachhaltig beschädigt, stand wieder einmal als Moderator bereit. Er lud Barak und Arafat nach Camp David ein. Wieder liefen die Verhandlungen nur schleppend an. Keiner war zu Zugeständnissen bereit. Clinton wurde ungeduldig und nahm insbesondere Barak intensiv ins Gespräch. Dieser rang sich zu einem großzügigen Vorschlag durch: 92 Prozent des Westjordanlandes sollten in palästinensische Selbstverwaltung übergehen. Auch schien der Status Jerusalems, bisher eine heilige Kuh jeder israelischen Regierung, durchaus verhandelbar zu sein. Die Reaktion Arafats verblüffte. Er lehnte ab. Barak war konsterniert. Sein Ruf im eigenen Land ruiniert.

Barak - erst Hoffnung, dann Spaltpilz

Auf die letztendlich erfolglosen Gespräche folgte dann eine palästinensische Intifada und unzählige Selbstmordattentate. Erst reagierte der völlig konsternierte Barak überhaupt nicht, was den Zorn der eigenen Bevölkerung anschwellen ließ - dann reagierte er mit übertriebener Härte, was den Unmut der Palästinenser überkochen ließ. Auf der politischen Rechten formierte sich währenddessen der Likud um einen alten Haudegen: Ariel Scharon. Der ehemalige General der Panzertruppe, andächtig wie abstoßend "Bulldozer" genannt, profilierte sich in der Öffentlichkeit mit einer kompromisslosen Haltung gegenüber den Palästinensern. Als Barak auch in der eigenen Partei jeglichen politischen Rückhalt verloren hatte, erklärte er sich zu Neuwahlen bereit. Und verlor. Ebenso krachend, wie er zwei Jahre zuvor gegen Netanjahu gesiegt hatte. Der Hardliner Scharon propagierte eine Politik der Härte, ließ unzählige Hamas-Funktionäre liquidieren und forcierte in einem nie dagewesenen Ausmaß den Siedlungsbau in der Westbank. Und die Bevölkerung honorierte es. Bei den Knessetwahlen 2003 war der Likud am Ende doppelt so stark wie die Arbeitspartei. Drei Jahre später schien sich die Mitte-Links-Kraft kurzzeitig zu erholen. Sie entschloss sich zu einer Regierungsbeteiligung an einer von der liberalen Kadima-Partei geführten Koalition. Das Ansehen indes litt weiterhin. Die Partei war zerrissen in einen rechten Flügel, der einen erneuten Friedensprozess extrem skeptisch sah, und einen linken Teil, der sich wesentlich konzessionsbereiter zeigte. Orientierungslosigkeit, Profilverlust und Machtverschleiß waren die Folge. Widerrum unter Führung Baraks, auf den man sich als Kompromiss einigen konnte, ging man in die Wahlen 2009. Ohne Plan. Ohne Ambitionen. Ohne fähiges Personal. Man schaffte diesmal nicht einmal über zehn Prozent. Früher war schon das Dreifache als eher schwach bezeichnet worden. Aber Barak ließ nicht beirren und forcierte eine weitere Regierungsbeteiligung. Diesmal unter Netanjahu. 2011 war es dann endlich soweit. Barak, der sich im Vergleich zu 1999 völlig verändert hatte, verließ die Arbeitspartei und gründete einen eigenen Ableger. Die Sozialdemokraten schieden daraufhin aus der Regierung aus. Seither kämpfen sie gegen die politische Bedeutungslosigkeit.

Und die Zukunft?

Die neue Parteivorsitzende Schelly Jachimowitsch bemühte sich um einer personelle Erneuerung der Awoda. Mit Schimon Peres hatte letztlich sogar der Treueste der Treuen die Partei verlassen und sich der liberalen Kadima angeschlossen. Mit einer ambitionierten Kampagne startete man im Jahr 2013 in die Knessetwahlen. Und wieder einmal wurden die eigenen Ansprüche bitter enttäuscht. Man steigerte sich um einen ganzen Prozentpunkt. Ein neuer Vorsitzender, der mittlerweile Achte in den letzten zehn Jahren, musste her. Der heißt nun Jitzchak Herzog und ist Sohn des legendären Chaim Herzog. Mit Rabin hat er zumindest den Vornamen gemein. Hoffentlich ist das nicht schon alles...

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