Nahöstliche Kernspaltung

Nahost Stabilität durch Spaltung! Das einstige Patentrezept von Kolonialmächten, amerikanischen Regierungen und Hegemonialmächten ist im Nahen Osten grandios gescheitert.

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http://static.guim.co.uk/sys-images/Guardian/About/General/2010/11/30/1291076168934/US-PRESIDENT-GEORGE-BUSH--007.jpgNahost 2014 - ein Trümmerfeld

Versuch und Irrtum heißt die vielzitierte Devise. Dass aus Fehlschlüssen weiterführende Erkenntnisse abzuleiten sind, ist mittlerweile sowohl Kleinkindern als auch großen Wissenschaftlern ein Begriff. Was allerdings die Politik im Dauerkrisenherd Naher Osten anbelangt, scheint sich diese banale Devise noch längst nicht durchgesetzt zu haben. Vielmehr findet die Chronologie des ewigen Scheiterns wieder mal eine Fortsetzung...

Es begann in Teheran

Was für die einen die langersehnte - wenn auch kurzweilige - Befreiung vom imperialen Joch bedeutete, führte bei den anderen zu einem verhängnisvollen Trauma. Als 1979 aufgebrachte iranische Studenten die amerikanische Botschaft in der Hauptstadt Teheran besetzten (eine späte Abrechnung mit dem verhassten Schah-Regime), erlebte die damals unbestrittene Supermacht auf dem Globus eine Demütigung. Ein sympathisch doch bisweilen naiv agierender US-Präsident wurde vor den Augen der Welt vorgeführt. Die Schaffung eines ewigen Feindbildes hatte begonnen... Seither galt die islamische Republik Iran als Paria des Nahen Ostens. Sukzessive bemühten sich die nachfolgenden US-Regierungen unter Ronald Reagan und George Bush sen. diese Schmach zu tilgen. Das nationalistische, sunnitische aber durch und durch säkulare Baath-Regime eines gewissen Saddam Hussein wurde konsequent mit amerikanischer Waffentechnologie aufgerüstet - in der Hoffnung dem neuen Erzfeind eine lebenslange Lektion zu erteilen: Niemand demütigt Amerika!

Das angestrebte Szenario nahm - selbstverständlich unter ständiger Regieassistenz des Pentagons - seinen präzisen wie grausamen Verlauf. Nach millionenfachem Sterben - die Mullahs schickten gar hunderttausende Kindersoldaten unter Todesdrohungen in die irakische Giftgashölle - rang man sich schließlich zu einem Waffenstillstand durch, welcher das Gleichgewicht des Schreckens manifestieren sollte. Washingtons Politstrategen werteten dieses an Sinnlosigkeit kaum zu unterbietende Massenschlachten indes als großen, geostrategischen Erfolg: Iran war massiv geschwächt, mit dem Irak ein scheinbar steuerbarer Gegenpart geschaffen - und die arabische Welt gespalten. Divide et impera. Was dem Alten Rom einst die Regentschaft über ein Weltreich ermöglichte, erlebte nun ein Comeback. So jedenfalls war der einhellige Tenor...

Irak - siegen, spalten, scheitern...

Mit zunehmender Dauer gebar sich allerdings die Schachfigur Saddam Hussein wie ein ungezogenes Kind. Jedenfalls war im Drehbuch des Weißen Hauses nicht vorgesehen, dass dieser zugegebenermaßen etwas rohe Zeitgenosse mit amerikanischen Waffen das kleine Kuwait angreift. Bush - der Ältere klopfte dem Übermütigen auf die Finger - und der gab nach. Nicht so Bush - der Jüngere. Beseelt von seiner Demokratiemission setzte er dem Saddam-Regime im Irak 2003 den endgültigen Todesstoß. Nicht ohne seinen Außenminister mit einer getunten Power-Point-Präsentation vor dem Sicherheitsrat von angeblichen irakischen Chemiewaffen faseln zu lassen. Diese wurden indes nie gefunden. Aber schließlich habe Saddam enge Verbindungen zu Al-Qaida, so das Orchester der Neocons. Auch diese Behauptung erwies sich als grundfalsch. Kaum war der alte Tyrann besiegt, machte man sich an die Arbeit. Demokratiesierung hieß die Parole. Doch statt Frieden gab es Krieg. Zunächst richtete sich die Wut der Iraker vereint gegen die zunehmend verhasste Besatzungsmacht. In der Folge starben durch Selbstmordanschläge mehr GIs als in dem vorangegangenen Feldzug. Dann endlich entsann man sich des alten Mottos: Teile und herrsche! Dieses verspricht insbesondere dann besonders ergiebig zu sein, wenn man sich den stärkeren Part (in diesem Fall die Schiiten) zum Partner, den schwächeren (die Sunniten) ergo zum Gegner macht. Da spielt selbstverständlich keine Rolle, dass die schiitische Mehrheit im Irak unter starkem iranischen Einfluss steht. War da was? Und siehe da: Die Schiiten übernahmen die ihnen zugedachte Rolle. Ganz nebenbei bemerkt: Dadurch wurden auch die amerikanischen Soldaten aus der Schusslinie gebracht. Sterben mussten jetzt vor allem schiitische Moscheegänger - in den Augen der Sunniten "Kollaborateure". Irgendwann waren dann die Bombenvorräte erschöpft und es verbreitete sich eine trügerische Ruhe. Der neue US-Präsident Obama, 2008 ins Amt gewählt, nutzte diese Phase um sich des schweren Erbes seines Vorgängers endgültig zu entledigen. 2011 verließen die Amerikaner den Irak. Die Bilanz: durch die Bevorzugung der Schiiten wurde der Einfluss des Erzfeindes Iran massiv gestärkt und gleichermaßen der Boden für einen zukünftigen Religionskrieg bereitet. Anschauungsmaterial findet sich heute in mannigfaltiger Form. Statt Demokratie herrscht heute im Irak brutale Anarchie. Bush - der Jüngere hierzu lapidar: "Mission accomplished!"

Fortsetzung in Syrien?

Oberflächlich betrachtet handelt es sich im Falle Syriens um einen Bürgerkrieg. Regime gegen Rebellen. Ein klarer Fall eines innerstaatlichen Konflikts. Diese Sichtweise dominierte jedenfalls allzu lange in den Köpfen europäischer wie amerikanischer Politiker. Wortgewaltig zog US-Präsident Obama eine rote Linie, die Assad gefälligst nicht zu übertreten habe. Vermutlich zog er diese weniger mit dem Rotstift als vielmehr mit Knetmasse. Denn selbst nach verbrecherischsten Giftgasattacken auf die eigene Bevölkerung reagierte der Westen nach altbekanntem Muster: Empörung, große Sprüche, Rückzug... 190.000 Tote später ist die Lage noch weitaus desaströser: Die Hegemonialmächte und Todfeinde Saudi Arabien und Iran sehen Syrien als Schauplatz einer Entscheidungsschlacht und heizen das Schlachten mit Personal, Waffen und Geld weiter an. Die syrische Opposition ist untereinander hoffnungslos gespalten. Divide et impera fordert seinen Preis. Aus dem Patentrezept ist heute eine unkalkulierbare und kaum zu kontrollierende Kernspaltung geworden. Die ersten strahlenden Trümmer treiben bereits ihr Unwesen: ISIS. Der Friede ist auf lange Sicht eine Illusion. Das Puzzle des Nahen Ostens hat mittlerweile zu viele Teile - die nicht mehr zueinanderpassen. Divide et impera...

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