Die Schönen und die Blinden

Belarus Staatschef Lukaschenko uniformiert Mode und Meinung. Für die bedrängte unabhängige Presse springen russische Medien in die Bresche

Am 7. September 2001 feierte der seit 1994 herrschende weißrussische Präsident mit offiziell 75 Prozent der Stimmen eine glänzende Wiederwahl. Zwar monierten OSZE Beobachter den im Wahlkampf von der Regierung ausgeübten Druck auf Oppositionspolitiker und unabhängige Zeitungen - doch kapitulierte diese Kritik alsbald vor der medialen Omnipräsenz der Terroranschläge in den USA vier Tage nach dem Votum.
Inzwischen befinden sich die Sympathiewerte für Alexander Lukaschenko, glaubt man einer Umfrage des unabhängigen Institut for Socio-Economic and Political Studies (ISEPS), im Sinkflug. Augenblicklich würden den Präsidenten nur noch 30 Prozent seiner Bürger erneut wählen. Als Reaktion darauf schwingt der nicht mehr nur die autoritäre Peitsche, sondern hat dem Volk auch Zuckerbrot und Spiele zu bieten. Jüngst rief Lukaschenko einen landesweiten Schönheitswettbewerb aus, um die eigene Nationaltracht und Mode populärer zu machen, wie es hieß, und damit der "ästhetischen und spirituellen Erziehung" der weißrussischen Jugend zu dienen. Im Schatten dieser Kampagne gehen an der "Informationsfront" die Scharmützel zwischen Regierung und Journalisten in ernsthafte Gefechte über. Dem Kabinett liegen zwei überarbeitete Gesetzentwürfe vor: Über den "Schutz der öffentlichen Informationssicherheit" und "Zur Regelung der Massenmedien", wie sie offiziell überschrieben sind. Sollten die Dokumente bestätigt werden - und es deutet alles darauf hin -, droht eine weitere Uniformierung der öffentlichen Meinung bis hin zum Internet, wäre des weiteren mit einer Behörde zu rechnen, die sämtliche Medien überwacht. Experten, wie Frederica Pina von der Menschenrechtsorganisation Article 19 spricht gar von "flächendeckender staatlicher Kontrolle" der Medien.
Dabei verfügt das System Lukaschenko bereits über ein beachtliches Arsenal an juristischen und ökonomischen Instrumenten, um seinen Einfluss geltend zu machen, und sei es durch die Vergabe von Verlagslizenzen. Die Gründer einer unabhängigen Zeitung sehen sich bürokratischen Hindernissen sondergleichen gegenüber. Gelingt es trotz allem, sie zu nehmen, kann jeder regimekritische Artikel verheerende Folgen heraufbeschwören. Die vorhandenen Mediengesetze erlauben Verfahren gegen einzelne Journalisten schon auf bloßen Verdacht hin. Zivilklagen für den "Schutz der Würde und Ehre" sind keine Seltenheit. Mit bis zu fünf Jahren Gefängnis muss rechnen, wer nach Auffassung eines Gerichts die Integrität des Präsidenten verletzt hat.
Im Januar 2001 war so die Minsker Staatsanwaltschaft mit einer Klage gegen die Zeitung Nascha Swoboda wegen Verleumdung Lukaschenkos vorgegangen, als das Blatt den Arzt Dmitri Shigelsky über gewisse psychische Eigenheiten des Präsidenten berichten ließ (s. Freitag 37/ 2001). Doch kann eine Zeitung auch ganz ohne Ermittlungen und Richterspruch verboten werden, wenn sie zuvor dreimal wegen mutmaßlicher "Fehlinformation" verwarnt wurde. Die Redaktion von Pagonia musste die Segel streichen, nachdem sie den Präsidenten einmal zuviel beschuldigt hatte, in das Verschwinden einiger seiner Opponenten verwickelt zu sein.
Obwohl die weißrussische Verfassung das Recht auf freie Meinungsäußerung garantiert, sind die wirtschaftlichen Realitäten so beschaffen, unter Umständen genau das Gegenteil zu bewirken. Über sein Druck- und Vertriebsmonopol kann der Staat gegen die "Unabhängigen" ein Preisdiktat verhängen, während regimekonforme Medien wie Sowjetskaja Belorussija und Narodnaja Gazeta Subventionen kassieren, so dass ihnen daraus ein nicht unbeträchtlicher Wettbewerbsvorteil erwächst. Schikanöse Besuche der Steuerpolizei in unabhängigen Redaktionen wie bei der Delowaja Gazeta gelten da noch als kleineres Übel.
Als gewissermaßen "Dritte Partei" bei der Kraftprobe zwischen staatstragendem und unabhängigem Journalismus in Weißrussland empfehlen sich seit geraumer Zeit die grenzüberschreitenden Medien russischer Provenienz - allein die Moskauer Fernsehprogramme werden in Belarus von etwa 90 Prozent der Bevölkerung gesehen. Die Moskauer Nesawissimaja Gaseta informierte beispielsweise am 30. April über eine Protestkundgebung in Minsk, auf der einmal mehr Presse- und Versammlungsfreiheit gefordert wurde. Auch der russische Fernsehkanal NTW wollte sich diesem Ereignis nicht verschließen. Der ansonsten ausgesprochen Russland freundliche Lukaschenko riskierte daraufhin den offenen Affront gegenüber einem Journalisten aus dem "Bruderstaat", als er in einer Rede vor dem Parlament die Arbeit des NTW-Korrespondenten Pawel Selin scharf attackierte. Das Außenministerium in Minsk zog nach und bedachte Selin prompt mit einer Verwarnung wegen "Verbreitung tendenziöser Reportagen über die politische und gesellschaftliche Lage in der Republik", was soviel bedeutet wie: Im Wiederholungsfall droht die Ausweisung.

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