Kalkulierte Geschenke

20 Milliarden Dollar für Atommüllentsorgung Den USA sitzt die Angst vor der Verbreitung nuklearen Materials aus Russland in den Knochen

Es entbehrt nicht der Ironie, dass der ehemalige Konkurrent Russlands aus der Zeit des Kalten Krieges und des Wettrüstens nun einen Hauptteil der Entsorgung der atomaren, biologischen und chemischen Altlasten des Landes zahlt. Wie in der vergangenen Woche auf dem G-8-Gipfel beschlossen, werden allein die USA zehn Milliarden Dollar bereitstellen. Insgesamt ist von den führenden Industrienationen ein Finanzvolumen von zwanzig Milliarden Dollar für einen Zeitraum von zehn Jahren vorgesehen.

Russland kommen die Gelder momentan äußerst gelegen. Denn Majak etwa, eine der potentiellen Endlagerstätten in der Nähe der sibirischen Stadt Tscheljabinsk, befindet sich in verheerendem Zustand. Der Ort gilt als einer der am stärksten radioaktiv verseuchten weltweit. Umweltgruppen wie Greenpeace traten mit Berichten über Gesundheitsschäden der Bevölkerung immer wieder an die Öffentlichkeit. Und an eine baldige Wende im Umgang mit Nuklearmüll ist vorerst nicht zu denken. Nicht nur, dass nach dem kürzlich in Moskau unterzeichneten Vertrag über die Verringerung des Angriffspotenzials circa 5000 atomare Gefechtsköpfe zusätzlich zu den abgebrannten Stäben der Energiewirtschaft zur Entsorgung anstehen. Darüber hinaus ist Russland längst zum größten Abfalllager ausländischen Atommülls avanciert. Nachdem im Juni 2001 das russische Parlament das Umweltschutzgesetz änderte und dem Import von Nuklearmüll zustimmte, häuft sich in Sibirien atomarerer Schrott aus der Schweiz, Bulgarien und Rumänien. Und Lagerung von radioaktivem Material bedeutet noch lange nicht dessen Verschwinden. Allein kann Russland angesichts leerer Staatskassen der Gefahr dieser nuklearen Zeitbombe nicht Herr werden.

Großzügig und fast als Dienst an Umwelt und Bevölkerung wirken daher die von den G8-Staaten zugesagten 20 Milliarden Dollar. Keine Peanuts auf der internationalen Finanzbühne. Zum Vergleich: Eine der letzten großen Geldspritzen erhielt Russland nach langen Kontroversen 1998 vom Internationalen Währungsfond (IWF) in Höhe von 5 Milliarden Dollar zugestanden. Wohlgemerkt als Kredit mit Zins und Tilgung, auch wenn ein Großteil der Summe damals auf privaten Konten des Jelzin-Clans in der Schweiz landete.

Doch stärker als die Angst vor Veruntreuung sitzt den Geldgebern unter Führung der USA die mögliche Lancierung von nuklearen Brennelementen aus den russischen Arsenalen an die "Schurkenstaaten" Irak, Nordkorea oder Iran in den Knochen. Nicht unbegründet, denn erst im Dezember letzten Jahres flog beispielsweise eine Schmugglerbande auf, die waffenfähiges Uran aus Elektrostal, einer Brennstofffabrik in der Nähe von Moskau, gestohlen hatte. Die wirtschaftliche Lage des Personals in Atomanlagen - es wartet oft monatelang auf Lohn - garantiert nicht gerade, dass der Schwarzhandel mit dem nuklearen "Kapital" als Überlebensweg ausgeklammert bleibt.

Die USA lassen sich also ihren Kampf gegen den "Terrorismus" in Russland selbst etwas kosten. Zum anderen verbirgt sich aber hinter den Zahlungen ein klares politisches Kalkül. Russlands bisherige und künftige Kooperation innerhalb des Antiterrorbündnisses nach dem 11. September soll gesichert - eine "Mehrfrontenbelastung" unwahrscheinlich gemacht werden. Der Kreml hält still, wenn in Usbekistan und Kirgisistan amerikanische Truppen für den Afghanistanfeldzug aufmarschieren, wenn amerikanische Ölunternehmen ihr Netz über Zentralasien ausbreiten und US-Militärberater in Georgien postiert werden. Es ist eben der Schmerz dieses geostrategischen Machtverlusts Russlands, der mit Geldgeschenken gelindert wird. Doch Geschenke ziehen Verpflichtungen nach sich. Angesichts des zunehmenden Einflusses der USA auf Zentralasien wird dem Protest von Seiten Russlands vorbeugend entgegengewirkt. Was auf den ersten Blick wie Freigiebigkeit aussieht, stellt sich auf den zweiten als eigennützig dar. Denn natürlich sind es vorrangig amerikanische Unternehmen selbst, denen die Aufträge zur Entsorgung der nuklearen Altlasten zugespielt werden. Damit fließt ein Großteil der Hilfe als Subvention an US-amerikanische Firmen und indirekt als Steuergeld auch wieder in die Staatskasse Washingtons. Im besten Fall wird der Finanzdeal somit die Aussicht auf mehr Sicherheit für die Bevölkerung Russlands bringen.

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