Das Märchen vom Geldschöpfungsmultiplikator

Geldpolitik Zum Mythos, dass die Zentralbank durch Vermehrung oder Verknappung von Zentralbankgeld die Geldschöpfung der Geschäftsbanken beeinflussen kann.

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"Es war einmal ein Zwerg, der behauptete, er könne zaubern. Er sei Zentralbanker und könne aus Stroh Gold machen, mit einem handelsüblichen Computer Geld aus dem Nichts schaffen und die Geldmenge im Euroraum mit einem sog. „Geldschöpfungsmultiplikator“ kontrollieren..."

So oder so ähnlich könnte es beginnen, das Märchen vom Geldschöpfungsmultiplikator.

Dass Zentral- und Geschäftsbanken zwar kein Gold aus Stroh machen können, aber mittels ein paar Klicks auf der Tastatur eines Rechners Geld aus dem Nichts schöpfen können, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben und war auch hier im Freitag bereits Gegenstand der Diskussion.

Insofern hat der Zentralbanker im Märchen durchaus Recht, wenn er behauptet, er könne Geld herbeizaubern.

Unser aller Zentralbanker Mario Draghi schickt auch gerade mal wieder an, den Zauberstab zu schwingen und unvorstellbare Summen an Zentralbankgeld zu erzeugen. Im Januar gab Draghi bekannt, er wolle von März 2015 bis September 2016 pro Monat Staatsanleihen von bis zu 60 Milliarden Euro ankaufen. Neunzehn Monate a 60 Milliarden macht 1 Billion und 140 Milliarden Euro.

Woher nimmt Draghi das ganze Geld? Wie bereits oben angerissen, ist Geld sein geringstes Problem. Er erfindet das notwendige Geld einfach, indem er den Geschäftsbanken, denen er Staatsanleihen abkauft, den entsprechenden Betrag auf deren Zentralbankkonten gutschreibt.

Jens Weidmann, immerhin Präsident der Deutschen Bundesbank, formulierte es in einer Rede erfrischend deutlich:

„Notenbanken schaffen Geld, indem sie Geschäftsbanken gegen Sicherheiten Kredite gewähren oder ihnen Aktiva wie zum Beispiel Anleihen abkaufen. Die Finanzkraft einer Notenbank ist dabei prinzipiell unbegrenzt, da sich eine Notenbank das Geld, das sie vergibt oder mit dem sie bezahlt vorher nicht etwa beschaffen muss, sondern es quasi aus dem Nichts erschaffen kann.“

Wenn man Weidmanns Äußerungen zu Ende denkt, kann Draghi den Geschäftsbanken Milliarden, Billionen oder Quadrillionen gutschreiben – ganz wie es ihm beliebt. Die Geldmenge, die Draghi schafft, hängt lediglich davon ab, welchen Betrag er über die Tastatur in seinen Zentralbankrechner eingibt.

Aber was will Draghi mit der Schöpfung von 1 Billion Euro Zentralbankgeld erreichen?

Die ZEIT formulierte es wie folgt:

„Mit dem Programm, im Fachjargon quantitative Lockerung oder QE genannt, kauft die Notenbank Staatsanleihen von Banken und Finanzunternehmen und pumpt damit viel frisches Zentralbankgeld in den Finanzkreislauf. Dieses Geld kommt im Idealfall in Form von Krediten bei Unternehmen und Verbrauchern an und hilft damit der Wirtschaft insgesamt und stützt die Konjunktur.“

Richtig an der Aussage der ZEIT ist, dass viel neues Zentralbankgeld in Umlauf kommt. Falsch ist allerdings, dass dieses Geld bei Unternehmen oder Verbrauchern ankommen könnte.

Die Geschäftsbanken reichen nicht das Geld der Zentralbank an die Unternehmen weiter, sondern sie benötigen das Zentralbankgeld, um ihrerseits Giralgeld zu erzeugen. Und erst dieses Giralgeld kommt als Kredit bei Unternehmen und Verbrauchern an. Bei der Erzeugung von Giralgeld müssen die Geschäftsbanken die sogenannte Mindestreservepflicht erfüllen, für die sie zwingend das von Draghi geschaffene Zentralbankgeld benötigen.

Die Mindestreserve im Euroraum beträgt derzeit 1 Prozent, so dass die Geschäftsbanken aus 1 Billion Zentralbankgeld theoretisch 100 Billionen Euro Giralgeld erzeugen können.

Aber werden sie das auch tun?

100 Billionen Euro?

Wahrscheinlich nicht.

Aber wie viel Giralgeld erzeugen Geschäftsbanken aus 1 Billion Euro Zentralbankgeld?

Fünf Billionen? Oder zehn, oder fünfzig?

Wir werden es untersuchen.

An dieser Stelle kommt der sogenannte „Geldschöpfungsmultiplikator“ ins Spiel, den Wikipedia wie folgt erklärt:

„Der Geldschöpfungsmultiplikator ist ein geldtheoretisches Modell, das das Zusammenspiel von Zentralbank, Geschäftsbanken und Nichtbanken (Haushalte und Unternehmen) bei der Entwicklung der Geldmenge erklärt. Das Modell geht dabei von einer Vervielfachung des Geldes durch die Geschäftsbanken auf Basis der von der Zentralbank ausgegebenen Geldbasis (Zentralbankgeld) aus – daher der Begriff Multiplikator.“

Das Modell vom Geldschöpfungsmultiplikator will also einen Zusammenhang zwischen der Menge an Zentralbankgeld (sog. Geldmenge M0 - lies: "M NULL") und der Menge an Geld herstellen, welches die Geschäftsbanken erzeugen (sog. Geldmenge M3).

Es ist also der Frage nachzugehen, ob ein solcher Zusammenhang zwischen der Zentralbankgeldmenge M0 und der Geldmenge M3 besteht oder ob sich M3 weitestgehend unabhängig von M0 entwickelt.

Die EZB hat glücklicherweise zu allen erdenklichen Werten Statistiken und so natürlich auch zur Entwicklung der Geldmengen Mo und M3.

In der nachfolgenden Tabelle sind die Geldmengen M0 und M3 seit 1999 nach den Angaben der EZB zusammengefasst und in der letzten Spalte ist das Verhältnis der Giralgeldmenge der Geschäftsbanken (=M3) zur Menge an Zentralbankgeld M0 dargestellt.

Jahr M0 M3 M3/M0

in Mio € in Mio €

1999 460.847 4.664.613 10,12

2000 478.001 4.858.220 10,16

2001 426.215 5.402.134 12,67

2002 480.453 5.765.889 12,00

2003 548.711 6.149.075 11,21

2004 614.084 6.536.824 10,64

2005 692.918 7.084.472 10,22

2006 771.805 7.756.850 10,05

2007 841.899 8.655.100 10,28

2008 1.150.668 9.404.480 8,17

2009 1.052.340 9.353.416 8,89

2010 1.073.068 9.291.999 8,66

2011 1.335.315 9.498.258 7,11

2012 1.630.969 9.780.943 6,00

2013 1.194.434 9.830.593 8,23

2014 1.192.512 10.309.234 8,64

Datenquelle: EZB

Es lässt sich Folgendes feststellen:

1999 lag M0 bei 461 Mrd. Euro und M3 bei 4.665 Mrd. Euro. Wenn man jetzt ein Verhältnis von M0 und M3 herstellen will, so lag dieses 1999 bei 1:10. Aus 1 Euro Zentralbankgeld entstanden 10 Euro Giralgeld der Geschäftsbanken. Wenn man jetzt vom Geldschöpfungsmultiplikator reden will, so lag dieser bei 10.

Bis zum Jahr 2007 entwickelten sich M0 und M3 relativ parallel, so dass 2007 M0 bei 842 Mrd. Euro lag und M3 bei 8.655 Mrd. Euro. Zwischen 1999 und 2007 lag das Verhältnis von M0 und M3 immer zwischen 1:10 und 1:13.

Dann aber kam die Krise und die Geldmengenentwicklung veränderte sich dramatisch.

Während M0 (also die Zentralbankgeldmenge) von 2007 zu 2008 zunächst stark wuchs, sank sie 2009 wieder ab, um 2011 und 2012 wiederum stark zu wachsen, um danach wieder auffallend abzusinken.

Völlig anders verhielt sich M3. M3 wuchs zwischen 2008 und 2013 nur marginal.

Wenn die Entwicklung von M0 und M3 auseinanderläuft, verändert sich auch das Verhältnis beider Geldmengen nachhaltig. Sank das Verhältnis M0/M3 zunächst von 1:10 im Jahre 2007 auf 1:6 im Jahre 2012, stieg es bis 2014 wieder auf ca. 1:9 an.

Jetzt könnte man meinen: Na gut, im bisher schlechtesten Fall im Jahr 2012 entstanden aus 1 Euro Zentralbankgeld 6 Euro Giralgeld der Geschäftsbanken – also dürften aus der 1 Billion Euro Zentralbankgeld , die Mario Draghi bis September 2016 erzeugen will, auch mindestens 6 Billionen Euro Giralgeld entstehen und die Geldmenge im Euroraum wächst auf mindestens 16 Billionen Euro.

Bei oberflächlicher Betrachtung mag man zu diesem Schluss kommen – in Wahrheit ist die Sachlage jedoch ganz anders:

Von 2010 bis 2012 wuchs die Zentralbankgeldmenge M0 von 1.052 Mrd. Euro auf 1.631 Mrd. Euro. Die EZB flutete den Markt damals bereits mit Unmengen an Zentralbankgeld und weitete M0 um 579 Mrd. Euro und damit um 52 Prozent aus.

Und was machte in diesem Zeitraum M3?

M3 wuchs jedenfalls nicht um 52 Prozent, sondern lediglich um vergleichsweise lächerliche 5 Prozent. Genau genommen von 9.292 Mrd. Euro auf 9.781 Mrd. Euro und damit um 489 Mrd. Euro.

Na hoppla – aus 579 Mrd. Euro Zentralbankgeld entstanden gerade mal 489 Mrd. Euro Giralgeld. Wenn man daraus wieder einen sog. „Geldschöpfungsmultiplikator“ herleiten will, so lag dieser bei 0,8 – aus 1 Euro Zentralbankgeld entstanden gerade mal 0,80 Euro Giralgeld, das in der Wirtschaft oder bei den Verbrauchern als Kredit ankam.

Ein stabiler Geldschöpfungsmultiplikator sieht irgendwie anders aus.

Aber es kommt noch dicker, wenn man sich die Entwicklung in den Jahren 2012 bis 2014 anschaut.

M0 sank von 1.631 Mrd. Euro auf 1.193 Mrd. Euro und verringerte sich damit um 27 Prozent. Und was machte M3? Verringerte sich diese ebenfalls? Hätte man irgendwie erwartet, wenn es so was wie einen Geldschöpfungsmultiplikator geben sollte. Aber – M3 sank mitnichten – M3 stieg sogar um 5 Prozent.

Was sagt uns das alles?

Es gibt keinen fixen Zusammenhang zwischen der Menge an Zentralbankgeld und der Geldmenge, welche die Geschäftsbanken erzeugen.

Damit gibt es auch keinen Geldschöpfungsmultiplikator.

Um noch einmal zum Ausgangsmärchen zurückzukehren: Der Zwerg hatte also überwiegend gelogen. Er konnte weder Stroh zu Gold machen noch die Geldmenge im Euroraum kontrollieren.

Die Kontrolle der Geldmenge M3 durch die Veränderung der Zentralbankgeldmenge ist damit ihrerseits ein MÄRCHEN, das allerdings in weiten Teilen der Finanzwirtschaft für die Wahrheit gehalten wird.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sebastian Kunze

Jurist, Buchautor: "Schwarzbuch Geldsystem"

Sebastian Kunze

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