„Aufbruch zum Mond“ und das neue Space Age

Kino Politik und Wirtschaft zieht es wieder ins All. „Aufbruch zum Mond“ ist das Gegengift zu Weltraumeroberungsplänen. Der Film feiert die humanistische Seite der Raumfahrt

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„Aufbruch zum Mond“ ist das Porträt eines Mannes – Neil Armstrong (Ryan Gosling) –, der eher zufällig in eine gigantische Maschinerie gerät
„Aufbruch zum Mond“ ist das Porträt eines Mannes – Neil Armstrong (Ryan Gosling) –, der eher zufällig in eine gigantische Maschinerie gerät

Foto: Universal Germany

Elon Musk macht mit seinem Marsprojekt ernsthaft mobil. Unser Mann im All Alexander Gerst versorgt uns mit launigen Nachrichten von der ISS. Markus Söder will mit Bavaria One 700 Millionen Euro und einen bayerischen Satelliten ins Weltall ballern. Jugendliche, die mindestens dreißig Jahre nach der Mondlandung geboren wurden, laufen in Shirts mit aufgedrucktem NASA-Logo durch die deutschen Städte. Stehen wir endgültig vor einem neuen Space Age?

Nach der Mondladung 1969 flaute langsam die Fortschritts- und Raumfahrtsbegeisterung ab, die 1957 mit dem Start von Sputnik begann und bis in das Design von Kinderspielplätzen hineinwirkte. In den 70ern stand dann eher die dunkle Seite des Mondes im Fokus, spätestens nach der Explosion der Challenger 1986 fragten sich die meisten Menschen, was wir dort draußen eigentlich verloren haben.

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Doch nun ist schon seit geraumer Zeit wieder Pioniergeist und Goldgräberstimmung angesagt. Bereits 1996 wurde der Ansari-X-Prize ausgelobt, der den privaten und kommerziellen Raumflug fördern will. 2004 holte sich SpaceShipOne als erster bemannter privater Weltraumflug die zehn Millionen Dollar. Doch erst in den letzten Jahren kursiert in Wirtschaftsmagazinen das Stichwort New Space Age. Nicht nur private Unternehmen, sondern auch Staaten wollen wieder mitmischen. Oder Freistaaten, siehe Bavaria One. Für Elon Musk und andere Mad Scientists (manche würden Visionäre sagen) aus dem Silicon Valley dient die Mission Mars als Flucht vor Klimakollaps und Überbevölkerung der alten Erde, die sich natürlich nicht jeder leisten können wird. „Der Marsianer“ mit Matt Damon gab uns schon mal einen Vorgeschmack auf derartige neokoloniale Bestrebungen.

Klaustrophobie statt endloser Weiten

Mit „Aufbruch zum Mond“ (8. November) über die Mondlandung von Neil Armstrong (Ryan Gosling) am 20. Juli 1969 kommt jetzt der perfekte Film zur neuen Weltraumeuphorie – und gleichzeitig die Antithese zu größenwahnsinnigen Eroberungs- und Goldgräberplänen von Trump, Musk und Co. Wer patriotische Erbauung wie bei „Der Stoff aus dem die Helden sind“ oder ein pathetisches Schicksalsdrama wie „Apollo 13“ erwartet, wird bei „First Man“ (Originaltitel) radikal enttäuscht. „Aufbruch zum Mond“ ist keine Weltraumoper, sondern ein intimes Charakterdrama. Das Porträt eines Mannes, der eher zufällig in eine gigantische Maschinerie gerät. Der isoliert ist, in der spießigen Astronautenvorstadt, im Cockpit und in der Trauer um seine kleine Tochter, die 1961 im Alter von zwei Jahren an einem Gehirntumor starb. Armstrong muss erst die Erde verlassen, um den Tod der Tochter hinter sich lassen zu können.

Die wackelige Handkamera, in Hollywood nun schon seit geraumer Zeit wieder out, wirkt hier wie ein zufällig wieder aufgetauchtes Super-8-Heimvideo aus den Sechzigern. Sie klebt am von Ryan Gosling sperrig-verschlossen gespielten Armstrong und den anderen Hauptfiguren. Das größere Bild gerät in den Hintergrund, Klaustrophobie statt unendliche Weiten.

Die Sorgen und Zweifel der daheimgebliebenen Ehefrau (Claire Foy) werden hier wirklich ernst genommen und dienen, anders als in vergleichbaren Filmen, nicht nur als dramaturgischer Stolperstein, den der Held überwinden muss.

„Aufbruch zum Mond“ steht der Zukunftsbegeisterung des Space Age zwiespältig gegenüber. Dem Vorwurf der Verschwendung von Steuergeldern wird viel Raum gegeben. Das Wettrennen mit der Sowjetunion um die Eroberung des Mondes wird dagegen eher marginal behandelt. Die Gegenkultur der 60er wird auch fast völlig ausgeblendet, fast zu deutlich. Wird der Flug zum Mond so als Ablenkung vom innenpolitischen Brodeln der Zeit lesbar?

Ganz ohne staatstragendes Pathos kommt der Film auch nicht aus, aber auch das lässt subversiv gegenüber Kalter-Krieg-Patriotismus lesen. John F. Kennedys berühmte Rede vom 12. September 1962 wird wörtlich eingespielt. Der ein Jahr später ermordete Präsident hielt sie, als er noch von einer gemeinsamen Mondmission mit der Sowjetunion träumte, die Chruschtschow aber ablehnte. Kennedy betonte in der Rede die friedliche, zweckfreie Komponente des ersten Weltraumfluges, der auch im engeren Umfeld des Präsidenten kritisch beäugt wurde, da er Geld für die militärische Erforschung des Weltalls abzwackte. Im Kosmos gäbe es laut Kennedy keine verfeindeten Nationen, die möglichen Gefahren beträfen alle Menschen. Ein bemannter Flug zum Mond wurde als ambitioniertes Ziel ausgegeben, nicht weil es einfach, sondern weil es schwer ist, weil die Erforschung die besten Seiten der Menschheit zutage fördern würde. Das spricht natürlich den typisch amerikanischen Pioniergeist an, der auch bei Elon Musk eine Rolle spielen mag, verweigert aber, zumindest für die Öffentlichkeit, die Indienstnahme für eine Wettrüstungspolitik.

Philosophie statt Patriotismus

In den USA sorgte für einen erwartbaren Aufschrei aus einschlägigen republikanischen Kreisen, dass das heroische Hineinrammen der amerikanischen Fahne in den jungfräulichen Mondboden nicht gezeigt wird. Und das vor dem Hintergrund, dass Donald Trump wieder amerikanische Astronauten auf den Mond schicken will, unter anderem um dort eine Basis für Expeditionen zum Mars und sonstwohin einzurichten. Anstatt für den Sieg über den Kommunismus interessieren sich Armstrong und Chazelle eher für die Textur der Oberfläche des Erdtrabanten. Überhaupt: Die Szenen auf dem Mond sind von atemberaubender Schönheit. Obwohl wir alle die Bilder von Armstrongs Moon Walk im Gedächtnis haben, sehen wir wie zum ersten Mal eine neue Welt in all ihrer Fremdheit und Anmut.

Und das ist das große Verdienst von Chazelles Film: „Aufbruch zum Mond“ akzentuiert wieder das philosophische Element, das die Raumfahrt zu ihrer frühen Zeit auch besaß. Juri Gagarin sah beispielsweise seinen Ausflug ins Weltall als Bestätigung des Atheismus: „Ich bin in den Weltraum geflogen, aber Gott habe ich dort nicht gesehen“, sagte der Kosmonaut nach seinem Pionierflug 1961. Zum dreißigsten Jubiläum der Pioniertat schrieb der jüdische Philosoph Emanuel Levinas, dass mit Gagarin erstmals ein Mensch „außerhalb jedes Horizonts“ existiert habe und damit die von Levinas philosophischem Konkurrenten Martin Heidegger so stark gemachte Verwurzelung des Menschen Boden produktiv überschritten habe. Und die sei schließlich verantwortlich für die „Spaltung selbst der Menschheit in Einheimische und Fremde.“

1968 sorgte ein Schnappschuss der Apollo-8-Mission, einem Vorläufer der Mondladung für eine ganz neue Perspektive. Zum ersten Mal war die Erde von außen auf einem Bild zu sehen. Das ergab einen Erkenntnismoment, der mit Lacans Spiegelstadium verglichen wurde. Wie das kleine Kind mit seinen verstreuten Begierden sich vor dem Spiegel erstmals als Ganzes begreift, sieht der Mensch, herausgerissen aus seinem politischen Kleinklein, dass er mit seinen Mitmenschen in einem Boot sitzt.

Auch Chazelles und Goslings Armstrong versucht sich in einer Pressekonferenz als Philosoph. „Die Erforschung des Weltraums verändert deine Wahrnehmung. Es erlaubt dir, Dinge zu sehen, die wir schon vor einer langen Zeit hätten sehen sollen“. Wir können nur hoffen, dass die neuen wirtschaftlichen und politischen Eroberer des Alls zuhören.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Sebastian Milpetz

Journalist und Filmexperte, aktuell Online-Redakteur bei TV Spielfilm. Interessen: Gute Filme und schlechtes Fernsehen, Politik, Kultur, Medien

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