Es freut mich zu hören, dass es mir besser geht!

ALLTAG Notizen aus dem Psychiatriealltag

Ich freue mich, dass Herr Peters bei uns als Psychologe ein Praktikum machen möchte." Damit eröffnet die Oberärztin der Station die Morgenrunde und fordert mich auf, ein paar Worte zu sagen. Es ist kurz nach halb neun und ich schaue in acht neue Gesichter, während die Kaffeemaschine im Hintergrund gurgelnde Geräusche von sich gibt. Die Schwester greift aus dem Nachtdienst das "Kurvenbuch" und referiert zu den einzelnen Patienten die Eintragungen aus den letzten 24 Stunden.

"Herr Schwert will entlassen werden", liest Schwester Rita vor. "›Sein Vater‹, sagt er, ›will ihn zu Hause weiter behandeln.‹" Frau Dr. Keller, die Oberärztin und Übermutter der Station, fragt zurück: "Was ist denn der Vater - Arzt?" "Nein", antwortet Schwester Rita, "Friseur." Die bisher träge Stimmung lockert sich plötzlich.

Herr Lehmann, der Stationsleiter im Pflegeteam, führt mich gegen neun Uhr über die Station: "Wir behandeln hier im offenen, gemischten Setting vor allem Patientinnen und Patienten mit depressiven und psychotischen Erkrankungen. Einige haben Persönlichkeitsstörungen oder Suchtprobleme. Wir haben 14 Doppelzimmer und drei Einzelzimmer, und wenn Sie Fragen haben, fragen Sie einfach. Aber Sie wissen ja, dass wir keinen Extraraum für Sie frei haben."

"Wir haben lange überlegt, wie wir das am besten mit der Wochenend-Visite machen, aber uns ist nichts Besseres eingefallen", erklärt mir Frau Dr. Keller, als wir am Freitagmorgen im Halbkreis hinter dem Tisch im Besprechungsraum sitzen: Der junge Arzt im Praktikum und die Stationsärztin umrahmen die Oberärztin. Auf den Seiten sitzen Monika, die Stationspsychologin, und Karsten, Sozialarbeiter auf Station, die mir das "Du" angeboten haben. Eine "abgeordnete" Schwester protokolliert neben mir den Ablauf für die späteren Eintragungen in die "Patienten-Kurven".

Draußen vor der Tür liegt eine Liste aus, in der sich alle Patientinnen und Patienten eintragen, um der Reihe nach ins Zimmer zu treten.

"Das ist ja wie das hohe Gericht!" bringt es Frau Merkner auf den Punkt, nachdem sie sich uns gegenüber gesetzt hat. Und es hat tatsächlich etwas von einem Tribunal "Allein gegen alle".

"Mir geht es nicht so gut", sagt sie dann. "Den ganzen Tag die Grübelei, mit dieser Traurigkeit und dem Rumsitzen, das halte ich gar nicht gut aus, Frau Doktor. Am liebsten möchte ich die ewigen Gedanken aus meinem Hirn schneiden."

Frau Merkner ist wohl Mitte 60 und war früher selbst Psychiaterin, jetzt kämpft sie jeden Tag mit ihrer Depression. Frau Merkner weint.

Herr Persch kommt energisch in den Raum und meint: "Ich bin ein schlechter Patient, ich bringe nicht genug Leistung. Ich weiß, ich kann eine Zumutung sein hier auf Station, wenn ich explodiere. Wie weit bin ich denn eigentlich noch tragbar, Frau Doktor?" -"Wie geht es Ihnen heute, Herr Persch?" -"Ach, es ist oft eine unerträgliche Stimmung in mir, es ist wie Fahrstuhlfahren in den Altersstufen, mal bin ich ganz klein und liebesbedürftig und mal ganz erwachsen, aber auch noch klein." Herr Persch wird Ende 20 sein und in seiner Akte steht etwas von "Borderline-Persönlichkeit" - heute so, morgen wieder ganz anders ...

Frau Selz hat sich aufgegeben, in der Visite schießen ihr die Tränen scheinbar auf Abruf aus den Augen: "Mir tut alles weh. Ich bau' immer mehr ab, ich kann nichts mehr machen. Helfen Sie mir doch!" Frau Selz verweigert jedoch seit Wochen alle Maßnahmen aus dem Stationsrepertoire. Heute sitzt die Endfünfzigerin erneut einem ratlosen Team gegenüber. Sie will "nur noch sterben, damit das endlich ein Ende hat."

"Möchten Sie wieder an den Gruppengesprächen teilnehmen, Frau Selz?", fragt Monika, die Stationspsychologin. "Ach, das ist keine Gruppentherapie, das ist ja eine Traurigtherapie. Damit will ich nichts zu tun haben." Auch Frau Selz wird über das Wochenende auf der Station bleiben.

Herr Körner leidet unter schwerem Tinnitus und Depressionen: "Dieses Geräusch im Ohr bringt mich noch um, es ist so, als laufe eine Maus in meinen Ohren rum. Das macht mich wahnsinnig, das können Sie sich nicht vorstellen, manchmal möchte ich mit dem Kopf gegen die Wand rennen, nur damit es aufhört!" Seitdem heißt es in geselliger Runde und ganz schön böse: "Herr Körner sieht keine weißen Mäuse, der hört welche."

Zu Hause notiere ich mir schließlich die Beschreibungen zur Befindlichkeit, die ich heute gelernt habe:

"Herr R. wirkt assoziativ sehr gelockert." -

Und: "Frau S. ist heute ziemlich von den Füßen." - "Herr V. hat sich adäquat mit dem Pflegepersonal auseinandergesetzt." - "Der Herr B. lässt sich ein bisschen verwahrlosen. Der bereitet sich auf zu Hause vor!" Oder: "Das einzig Lebendige bei Frau M. ist, dass sie beim ›Mensch, ärgere Dich nicht‹ immer die roten Figuren hat."

Als ich am Montagmorgen ins Besprechungszimmer komme, merke ich sofort, dass etwas vorgefallen sein muss. Die Stimmung ist gedrückt. Niemand spricht, das Radio wird ausgestellt.

"Für die Neuen", sagt Oberärztin Dr. Keller knapp, "Frau Mohn hat sich letzte Nacht erfolgreich suizidiert."

Der Stationsleiter erzählt die Einzelheiten: Sie habe sich im Bad ihres Einzelzimmers zwischen eins und fünf Uhr am Morgen aufgehängt und sich dafür extra ein Hanfseil von draußen mitgebracht. Die Nachtschwester rief den Arzt vom Dienst, die Polizei usw. Jetzt sitzt sie - immer noch im Schock - neben mir, und Stationsleiter Lehmann fragt, ob sie mit einem Psychologen sprechen wolle. Sie senkt den Blick und antwortet nicht. Später wird sich herumsprechen, dass sie sich entschlossen hat, nicht wieder zum Dienst in der Psychiatrie zurückzukehren.

Erst als sich die Runde auflöst, bemerke ich die Tränen in den Augen der Schwesternschülerin.

Am nächsten Tag fragt uns Stationsärztin Astrid in der Kantine: "Habt ihr schon gehört, dass wir gerade den zweiten Suizidalen auf die Geschlossene verlegt haben? Herr Werner wollte sich vor die Bahn werfen, und der Pfleger, der zum Glück dabei war, konnte ihn gerade noch festhalten. Jetzt spielen sie wieder alle verrückt."

Das Zimmer von Frau Mohn wird vorläufig nicht wieder belegt. "Ich könnte es erst mal ein halbes Jahr zubetonieren!", hatte Stationsleiter Lehmann gesagt.

Die Stimmung auf der Station ist gereizt. "Wir können jetzt keinen Persönlichkeitsgestörten mehr gebrauchen", sagt Frau Dr. Keller kopfschüttelnd in der Morgenrunde, als es um die Anfragen von der geschlossenen Aufnahmestation geht. "Die bringen uns hier den ganzen Laden durcheinander. Dann schon lieber einen knalligen Psychotiker."

Das Telefon klingelt. Dr. Keller nimmt ab und hört mit versteinertem Gesicht zu. "Ja", sagt sie manchmal, dann legt sie auf. "Das Controlling will lernen, wie Psychiatrie geht, die wollen die Station besuchen." Ihre Stimme klingt gereizt: "Die Affen im Zoo stellen sich positiv dar!" - "Vielleicht könnten wir die Tanztherapie auf Station verlegen oder die Herrschaften zum Grillfest einladen ...", schlägt Herr Lehmann vor. "Dabei fällt mir noch ein Punkt ein: Die Brandschutzkommission will auch kommen. Eigentlich müssen nämlich die Bücherregale aus der Halle und die Sitzgruppen aus den Fluren verschwinden. Die versperren die Fluchtwege, sagen die!"

Die Antwort von Dr. Keller fällt knapp aus: "Brandschützer haben es einfach, die haben nur ganz wenige Paragraphen. - Machen wir jetzt Visite oder was?!"

Nach dem "Durchlauf" der Patientinnen und Patienten habe ich wieder ein paar neue Beschreibungen von Befindlichkeit gelernt:

"Ich bin schon die ganze Woche in ›Ich-weine-nicht-Stimmung‹." - "Plötzlich denke ich: Ich sterbe!"

Und wenn die Patienten das Zimmer wieder verlassen haben:

"Frau Sch. könnte parasuizidal sein." - "Herr H. ist heute wieder reichlich überm Strich." oder "Frau W. ist heute ganz schlecht gewesen."

Nicht schlecht, der T-Shirtaufdruck! Herr Wolter ist sichtlich stolz. "Nobody is perfect - but me!" steht da in greller Neonfarbe auf seiner Brust. Stimmt aber auch nicht ganz. Durch eine frühe Hirnblutung schon vorgeschädigt, wurde Herr Wolter nach den Erlebnissen in einer "Radikal-Männergruppe", wie er sie nennt, psychotisch. Neulich traf er den Leiter dieser Männergruppe in der S-Bahn wieder, und sie kamen ins Gespräch. Jetzt seien aber die Rollen andere, meinte der frühere Leithammel, jetzt sei er nicht mehr der Freund von Herrn Wolter, sondern er müsse jetzt Geld für eine Beratung nehmen. Und außerdem würde er dem ehemaligen Gruppenmitglied eine Psychoanalyse empfehlen. Als Karsten, der Therapeut von Herrn Wolter auf Station, das in der Runde erzählt, ist ein deutliches Raunen zu hören. Aktuell habe Herr Wolter ein schönes Erfolgserlebnis gehabt: Nach dem ersten Abend in der Gruppe der hirnorganisch Geschädigten (im Stations-Jargon die "hopsigen Patienten" genannt) habe er sich sehr wohl gefühlt. "Irgendwie war ich da der Gesundeste", sagt er und tippt sich auf die Brust. - Nobody is perfect - but Psychoanalyse!

"Das ist wirklich eine Schande, dass Sie noch nicht einmal einen Essenszuschuss bekommen, Herr Peters." Frau Dr. Keller steckt sich eine Zigarette an und schaut aus dem Fenster in den regennassen Februar. "Wirklich ungerecht geregelt, wo Sie doch schon zum Nulltarif hier arbeiten."

Frau Dr. Keller bläst den Rauch Richtung Fenster: "Und außerdem: Habe ich Sie eigentlich schon gefragt, ob Sie auch Mitglied werden wollen in der Liga zur Wiedereinführung des Winterschlafs?" Dr. Keller lächelt ihr seltenes Lächeln. Es ist fast wie eine Auszeichnung.

Als ich im Bus nach Hause sitze, weiß ich nicht so recht, wie es mir geht.

Häuser, Bäume, Autos ziehen am fahrenden Fenster vorbei und in meinen Gedanken die Gesichter der Menschen, denen ich im letzten halben Jahr "auf Station" und in vielen Einzelgesprächen begegnet bin. Und plötzlich ist sie wieder da, die typische Visitensituation: Der "hopsige" und doch perfekte Herr Wolter sitzt etwas hibbelig auf der anderen Seite des Tisches und versucht, die Runde mit einer lustigen Bemerkung aufzuheitern.

Frau Dr. Keller bleibt bei der "Tagesordnung" und sagt: "Ich habe den Eindruck, es geht Ihnen wieder besser, Herr Wolter."

Die Antwort kommt prompt und ohne Hintergedanken. "Es freut mich zu hören, dass es mir besser geht!", sagt Herr Wolter und seine Augen strahlen.

Wie gesagt: Ich weiß nicht so recht, wie es mir geht. Ein bisschen Winterschlaf wäre vielleicht tatsächlich nicht verkehrt ...

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