Und die Jahre ziehen ins Land

Rock'n'Roll In Würde zu altern ist leicher gesagt als getan. Eine Annäherung an zwei Musiker
Vom Leben gezeichnet: Shane MacGowan im Jahr 2010
Vom Leben gezeichnet: Shane MacGowan im Jahr 2010

Foto: Chris Jackson / Getty Images

An Rockstars nagt der Zahn der Zeit ganz besonders, denn der sprichwörtliche Lifestyle von Sex, Drugs and Rock'n'Roll fordert früher oder später Tribut. Bei manchen ist dieser Prozess ein öffentlicher, andere siechen in der Privatheit vor sich hin. Daneben gibt es noch die scheinbar Unverwüstlichen wie Motörheads Lemmy Kilmister oder Keith Richards von den Rolling Stones.

In die Kategorie der öffentliche zur Schau getragenen Alterung fällt Shane MacGowan; das Gesicht und die Stimme der irischen Folk-Punk Band The Pogues. In diesem Jahr geht sie mit immerhin vier Gründungsmitgliedern unter dem hübschen Motto „Thir(s)ty Years Of Pogue Mahone“ auf Jubiläumstour. Da der Trend im Musikgeschäft sowieso zur Nachlassverwaltung geht, macht es auch nichts, dass die Band seit über 15 Jahren keine neue Musik mehr veröffentlicht hat. Dass Klassikersets immer noch den meisten Applaus bringen, ist kein Geheimnis. Am Donnerstag machten die Pogues Halt in Berlin – eine Gelegenheit, MacGowans Zustand in Augenschein zu nehmen. Der hat nach eigenen Angaben mit vier Jahren angefangen zu trinken und seitdem nicht mehr aufgehört, natürlich auch nicht vor dem Konzert. Eine Motivation, ein Konzert der Pogues zu besuchen, besteht deshalb ein Stück weit in der zwiespältigen Faszination, MacGowans Selbstzerstörung sehen zu wollen; verbunden mit einem mitleidigen „Warum tut er sich das noch an?“ und der bangen, sicher auch etwas zynischen Frage „Wie lange macht er es noch?“. An diesem Abend: nicht allzu lange. Mit viel Mühe rettete sich die Band auf die gerade so akzeptable Spielzeit von 90 Minuten, der Sänger verschwand dabei mehrfach hinter der Bühne und überließ anderen Musikern das Mikro. Trotzdem: Ohne MacGowan funktioniert die Band nicht, das haben ihre eher erfolglosen Versuche mit anderen Sängern wie zum Beispiel Joe Strummer von The Clash gezeigt.

Desorientierter Tanzbär

Auf der Bühne führt dies zu der absurden Situation, dass sieben seriöse Musiker auf einen desorientierten Tanzbär angewiesen sind, der sich irgendwie durch das Set nuschelt. Wie es in seinem Mund aussieht, war nicht herauszufinden. Früher hatte MacGowan die schlechtesten Zähne im Rockbusiness. Viel dürfte sich daran nicht geändert haben, so könnte zumindest aus seiner Artikulation geschlossen werden. Im Gegensatz zu anderen Sängern, die ihren Zenit schon hinter sich haben – zu denken wäre da an Ozzy Osbourne oder Rob Halford von Judas Priest – wirkt MacGowan aber immer noch textsicher.

Ihr musikalisches Erbe kann den Pogues keiner mehr nehmen; momentan so erfolgreiche Party-Punks wie die Dropkick Murphys oder Flogging Molly wären ohne das Schaffen der Band nicht vorstellbar. Das Publikum goutiert deshalb in erster Linie die reine Präsenz der Band und besonders ihres Sängers. So lange MacGowan sich noch irgendwie auf die Bühne schleppen kann, wird die Band wohl weitermachen. Wer musikalische Höchstleistungen erwartet, ist falsch. Spaß macht es trotzdem. Denn ein gutes Konzert vermittelt ja nicht nur musikalisches Handwerk, sondern im besten Fall ein Gefühl. Und das funktioniert bei den Pogues noch. Trotz oder gerade wegen eines derangierten Shane MacGowan, dessen bewegte Lebensgeschichte sich tief in seinen Körper eingeschrieben hat.

Pech und Unvermögen

Szenenwechsel. Da die Pogues schon vor zehn Uhr die Bühne räumten, bot sich im Anschluss zur Komplettierung dieses Themenabends eine Dokumentation an, die kurz zuvor auf ZDF.kultur lief und sich irgendwie auch um den Verfall eines Sängers dreht. In Last Days Here steht der Pentagram-Sänger Bobby Liebling im Mittelpunkt. Seine Band ist ein Kuriosum in der Geschichte des Heavy Metal. Nur kurz nach Black Sabbath aktiv geworden und vom Klang her ähnlich gelagert, war es einer Mischung aus Pech und Unvermögen geschuldet, dass der Band nie der Durchbruch gelang. In den Siebzigern produzierten sie einen Haufen Demos, das erste richtige Album kam Anfang der Achtziger und verhallte eher ungehört. Erst kürzlich setzte eine Wiederentdeckung dieses Schaffens ein.

Die Doku begleitet Liebling dabei, wie er weit weg von der Öffentlichkeit mit Mitte 50 (!) drogenabhängig im Keller seiner Eltern vor sich hin vegetiert und versucht – beziehungsweise eher dazu gedrängt wird –, noch einmal einen Versuch mit Pentagram zu wagen. Von der Narration erinnert das Ganze an The Story Of Anvil. Auch da ging es um eine Band, die mit gehörigem Enthusiasmus an den Start ging, herbe Rückschläge hinnehmen musste und sehr viel später doch noch zum verdienten Erfolg und der triumphalen Rückkehr auf die Bühne kommt. Bei Liebling ist die Sache noch etwas ernster. Ihm stehen Drogen, Krankenhaus, Gefängnis und tiefe Sinnkrisen im Weg. Anvil gingen das Projekt Comeback dagegen deutlich fachmännischer an. Im Kern ist die Doku eine romantische Hommage an die heilende Kraft der Musik. Wenn bei MacGowan auf der Bühne der Eindruck zurückbleibt, dass bei ihm Musik und Alkohol nur zusammen zu haben sind, wird Liebling durch die Drogen eher von der Musik abgehalten. Letztlich kann er aber das eine durch das andere besiegen.

Mittlerweile sind Pentagram bei einem renommierten Label untergekommen, geben wieder Konzerte und haben ein neues Album eingespielt, das natürlich klingt wie die alten. Die DVD von Last Days Here erschien Ende Juli.

Die Dokumentation Last Days Here ist noch bis zum 14.08. in der ZDF Mediathek abrufbar

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