Die Tütensuppe von der Schwäbischen Alb hat es bis nach Sylt geschafft. „Tütensuppe“ würde Dominik Tress aber nicht sagen. Denn zum einen füllen er und seine drei Brüder daheim in Baden-Württemberg ihre Tomaten- und Kartoffelsuppen nicht in Tüten, sondern in große Becher mit Plastikdeckel. Und zum anderen klingt Tütensuppe nach schnellem, billigem, schlechtem Essen. „Unsere Familie macht aber seit Generationen Essen, das gesund und natürlich ist“, sagt Tress. Darum steht auf jedem Becher, den Edeka auf Sylt oder Konsum in Dresden verkauft: „Schon immer Bio“. „Möchtens a Koschtprobe?“, fragt Tress und senkt den Schöpflöffel in einen der dampfenden Töpfe vor ihm. Er f
üllt zwei kleine Pappschüsseln mit Linsen-Curry-Suppe und reicht sie den beiden erwartungsvoll dreinblickenden Frauen vor seinem Stand.Tress ist dieses Jahr zum ersten Mal auf der Anuga in Köln, der größten Nahrungsmittel-Messe der Welt, und sein Stand belegt höchstens fünf der 300.000 Quadratmeter, über die sich die Anuga erstreckt. Winzig im Vergleich etwa zum eigenen Restaurant-Bereich mit Bedienung, in den wenig weiter der Hühnerzucht-Riese Wiesenhof die Besucher lockt. Doch gemessen an dem, was die Branche bei der Anuga als Trend verkauft, ist der schwäbische Suppenkoch den Wiesenhof-Eignern weit voraus, gegen die Vorwürfe wegen Tierquälerei erhoben werden. „Regionalisierung und Nachhaltigkeit sind zwei der wichtigsten Themen in Gegenwart und Zukunft“, sagt der Geschäftsführer des „EHI Retail Institute“ Michael Gerling.Das EHI ist das Forschungsinstitut des Handels und hat herausgefunden, dass Regionalisierung nicht bedeuten muss, die Kartoffeln am liebsten beim Bauern um die Ecke zu kaufen. „Der Kunde schätzt es ebenso sehr, wenn sein Balsamico-Essig aus einem ganz bestimmten Dorf in Norditalien kommt“, sagt Gerling. Oder wenn seine Fertigsuppe von einem Familienunternehmen auf der Schwäbischen Alb stammt, das verspricht, noch mit dem Kochlöffel von Hand und nicht von einem Roboter rühren zu lassen. Die Zutaten stammen von Bio-Bauern aus der Nachbarschaft.Reform der AgrarsubventionenMit diesem Konzept dürfte die schwäbische Tütensuppe ganz gute Erfolgsaussichten haben. Denn gerade ökologisch ausgerichtete Lieferanten wie die von Dominik Tress können von der geplanten Reform der EU-Agrarpolitik profitieren, die EU-Landwirtschafts-Kommissar Dacian Cioloş ausgearbeitet hat. Nach seinem Konzept sollen die Agrarsubventionen – nach wie vor der größte Posten des EU-Haushalts – von 2013 an neu verteilt werden. Dabei sollen 30 Prozent der Summe künftig an Umweltauflagen geknüpft sein. Daran etwa, ob ein Bauer nicht nur eine ertragreiche Monokultur, sondern drei unterschiedliche Pflanzenarten anbaut. Oder ob er gleich sieben Prozent seiner Äcker in Naturschutzflächen umwandelt. Zahlungen an Großbetriebe sollen nach Cioloş’ Willen bei 300.000 Euro gedeckelt werden. Verhindern konnte die von Bauernpräsident Gerd Sonnleitner angeführte deutsche Agrarlobby die eigentlich geplante Umverteilung der Mittel gen Mittel- und Osteuropa; die in die Bundesrepublik fließenden Subventionen sinken lediglich von 5,4 auf 5,2 Milliarden Euro.Das ist eine Nachricht, die auch die Bundeslandwirtschaftsministerin freut. Denn Deutschland produziert zu einem großen Teil Nahrungsmittel für den Export: 25 Prozent sind es, verkündet Ilse Aigner stolz in einer der Broschüren, die das Bundeslandwirtschaftsministerium an seinem Anuga-Stand neben kompostierbaren Plastiktüten und Merkblättern zum Bio-Siegel ausgelegt hat. Zusammen mit der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) wirbt das Ministerium bei der Messe für die Qualität deutscher Lebensmittel, lässt die Fleischwarenindustrie ihr Prüfsystem auf Schautafeln ausstellen und deutsche Winzer ihren Wein ausschenken.Qualität ist für die Deutschen weiter nicht das Wichtigste, wenn es ums Essen geht. „Sie sind, verglichen mit den anderen großen Ländern Europas, am wenigsten qualitäts- und am ehesten preisorientiert“, hat die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) für das BVE herausgefunden. Befragt wurden 30.000 Haushalte. 51 Prozent von diesen achten demnach vor allem auf den Preis, 49 auf die Qualität. „Und Qualität, das heißt für die Verbraucher vor allem eins: dass es schmeckt“, sagt GfK-Vertreter Dietmar Pech-Lopatta. Am ehesten erfüllten offenbar industriell gefertigte Produkte die Wünsche der Kunden, mutmaßt der Marktforscher: Denn zu denen greifen die Verbraucher am häufigsten. „Dem Pragmatismus der Verbraucher ist es zu verdanken, dass die Lebensmittelindustrie gegenüber Metzgern und Bäckern oder Direktvermarktern kontinuierlich Marktanteile hinzugewinnt.“Regionalisierung hin, Nachhaltigkeit her: Essen soll hierzulande vor allem billig und schmackhaft sein. Oder, wie es der Vertreter eines Burgerfleisch-Händlers ausdrückt: „An den hässlichen Bildern von Massentierhaltung wird sich nichts ändern, solange sich sofort eine lange Schlange bildet, wenn ein Discounter den Schweinenacken für 2,99 anbietet.“Verbrauchermacht per AppNoch besser, wenn der Kunde den Schweinenacken nicht noch selbst zubereiten muss. Die Anuga ist voll von Produkten, die zu dem zählen, was die Branche „Convenience Food“ nennt: bequemes Essen. Zur Zubereitung muss man höchstens noch die Verpackung aufreißen und den Inhalt aufwärmen. Fertigsuppen zählen dazu. Doch für manches Convenience Food braucht es nicht einmal mehr einen Ofen: Hamburger und Apfeltaschen, die jeweils komplett im und auf dem Toaster zubereitet werden, zählen die Anuga-Veranstalter in einer eigenen Ausstellung zu den diesjährigen „Top-Innovationen“.Wenn das schnelle Essen nicht schmeckt, dann hat der Konsument zumindest mehr und mehr Möglichkeiten zu überprüfen, woran der Mangel liegen könnte. Smartphone-Apps, die mittels Scan des Barcodes Informationen über ein Produkt liefern, gibt es schon viele, nun ist der Kampf um die Deutungshoheit ausgebrochen. „Produzenten schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie sehen, welche Kundenbeurteilungen bei manchen Apps angezeigt werden“, sagt Ercan Kilic. Sein Unternehmen GS1 Germany arbeitet daran, eine zentrale App-Plattform für den Handel zu etablieren. Der will sich die Kontrolle über seine Produktinformationen zurückholen, indem er ein so seriös wie umfänglich daherkommendes Angebot aufzubauen plant. Diesem sollen die Kunden dann eher vertrauen als den unterschiedlichen freien Quellen.Mit den Schultern zuckt da der Vertreter eines Honighändlers. 1.000 Tonnen kaufe sein Unternehmen im Jahr ein, bei Imkern in türkischen, kroatischen und rumänischen Dörfern. „Honig können wir gar nicht industriell herstellen“, sagt er. „Denn wie die Bienen das genau machen, hat die Wissenschaft bis heute nicht rausbekommen.“
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