Aus den Augen verloren

Märkte Zum Einfluss von Schwarz-Grün und zur Strategie von Volkswagen in der globalisierten Welt. Ein Reality-Check
Ausgabe 47/2016

Jene Anekdote über CSU-Mann Theo Waigel erzählt Wolfgang Schäuble dann gleich zweimal im Laufe des Mittags: Zu Helmut Kohl sei der Waigel stets gelaufen, wenn es Zwist gab – „Der Schäuble ist im Herzen ein Schwarz-Grüner“, Vorsicht also, habe Waigel dem damaligen Kanzler dann ins Ohr geflüstert. Da lächeln dann einige im großen, hellen Saal der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin-Mitte. Und Schäuble selbst lächelt auch.

Um kontrolliert ausdruckslose Gesichtszüge bemühen sich derweil die übrigen Männer auf dem Podium: Sven Giegold aus dem Europaparlament, Gerhard Schick aus dem Bundestag, Udo Philipp – früher Manager eines Private-Equity-Fonds, nun der Grünen-Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen zugehörig. Alle drei sind ausgewiesene Fachleute jener Partei, für die der Begriff „Wende“ zentral ist, wenn es gilt, Gestaltungsansprüche zu beschreiben. Die drei von Bündnis 90/Die Grünen haben ein Buch geschrieben, Titel: Finanzwende (Wagenbach 2016, 176 Seiten,12 €). Der Finanzminister von der CDU ist gekommen, um dessen Vorstellung mit kritischer Kommentierung zu bereichern.

„Wischful thinking“

Die Kritik fällt dann recht erwartbar aus. Eine Eigenkapitalquote von zehn Prozent? Strenge Regeln für den Schattensektor, wo Geldmarktfonds und Lebensversicherer genau wie Banken Einlegern kurzfristige Kündbarkeit und feste Rückkaufswerte garantieren, aber unter sehr viel laxeren Vorschriften? Unabhängige Forschung, besser ausgestattete Aufsicht und, endlich, Rückbesinnung auf die Realwirtschaft, unterfüttert mit einer staatlichen Investitionspolitik, die diesen Namen verdient?

„Isch wischful thinking“, sagt Schäuble. Fast alle nett, die Ideen, aber: „Es wird nicht funktionieren.“ Denn globale Märkte ließen sich nur mit globalen Regeln beeinflussen. Und fehlende Investitionen in die Infrastruktur, die hätten ja wohl nichts mit angeblicher Austerität zu tun, sondern mit Blockaden der Grünen, siehe Rheintalbahn, deren Gleise daher erst 2035 fertig seien.

Ansonsten gibt sich Schäuble jovial, er sei ja ganz der Meinung der Grünen: Die Niedrigzinsen schaffen Probleme, und die Finanzmärkte sind aufgebläht, dann sagt er noch: „Im Bankensektor werden wir ähnliche Entwicklungen haben wie bei VW.“ Wobei die Zukunftsform in die Irre führt, denn Deutsche Bank und Commerzbank haben ja längst den Abbau von je rund 10.000 Stellen beschlossen, was in der Summe nah bei den 23.000 liegt, die Volkswagen in Deutschland streicht.

Dort wissen die Mitarbeiter jetzt, als was sie gelten: als „Fett“, das VW laut Vorstandschef Matthias Müller über die Jahre „angesetzt“ habe. Den Grund für die „Schlankheitskur“ lieferte VW-Markenchef Herbert Diess vergangene Woche, als die Oberen den „Zukunftspakt“ der Presse vorstellten: „Wir bauen zwar hervorragende Autos, verdienen damit aber zu wenig Geld.“

2014 hatte der Konzern einen Rekordgewinn von 12,7 Milliarden Euro erzielt, 2015 einen Verlust von 4,1 Milliarden. Das dafür eigentlich verantwortliche „Fett“, die Rückstellungen für Kosten des Abgasbetrugs nämlich, hat er tatsächlich über die Jahre angesetzt – jene Jahre, in denen VW systematisch die Aufsichtsbehörden über Verbrauchs- und Abgaswerte täuschte.

Wobei sich die für Aufsichtsbehörden verantwortliche politische Ebene in Deutschland allzu gern täuschen ließ. Dass Nichtregierungsorganisationen schon seit Jahren erfolglos etwa im Bundesverkehrsministerium vorstellig wurden, um auf den Betrug hinzuweisen, hat etwa die Deutsche Umwelthilfe ausführlich dokumentiert. Letztere kämpft derzeit vor Gericht gegen VW, Opel, Fiat und Daimler, unter anderem wegen mutmaßlich falscher Aussagen zur Abgasreinigung. Bessere Batterien für ein Elektroauto zu entwickeln, das ist eines der Beispiele aus dem neuen Buch der Grünen Giegold, Schick und Philipp, wenn es darum geht, wozu der Finanzsektor seiner eigentlichen gesellschaftlichen Funktion in Zukunft wieder nachkommen soll: der Umwandlung von Ersparnissen in Investitionen, und zwar in solche, die einen ökologischen und sozialen Mehrwert bringen.

VW aber macht nun nicht etwa den mangelhaften Zugang zu frischem Kapital, das es braucht, um anstehende Umbauten des Konzerns zu realisieren, für den Abbau der 23.000 Stellen in Deutschland und 7.000 weiterer im Ausland verantwortlich. Es geht um mehr Profit vulgo „Wettbewerbsfähigkeit“: Konkret soll der Pakt 2020 „zu einem positiven Ergebniseffekt in Höhe von 3,7 Milliarden Euro jährlich führen“, teilte der Konzern mit.

Order des Hedgefonds

Gelegenheit macht Diebe: Insgesamt 30.000 Stellen verliert die Belegschaft infolge des Abgas-Skandals, an dem sie keine Schuld trägt. Der 2015 aufgedeckte Betrug entpuppt sich als Einfallstor für Strategien zur Steigerung der Rendite. Einen Abbau von genau 30.000 Stellen hatte im Mai der britische Hedgefonds TCI gefordert, zu dem Zeitpunkt gerade eingedeckt mit rund zwei Prozent der VW-Vorzugsaktien. In allen deutschen DAX-Firmen sind „aktivistische“ Investoren wie TCI auf dem Vormarsch. Eilfertig antwortete dann laut Reuters der VW-Finanzvorstand Frank Witter dem Fonds: „Volkswagen kann und sollte das profitabelste Unternehmen in der Autowelt sein.“

Die Kürzung von 30.000 Stellen ist aber nur beinahe eine diesbezügliche Punktlandung. Denn 9.000 neue Arbeitsplätze sollen auf dem Weg vom „reinen Automobilhersteller“ zum „Mobilitätsdienstleister“ entstehen. Und die, für die es angeblich keine Verwendung mehr gibt, müssen keine betriebsbedingten Kündigungen fürchten, der Stellenabbau erfolgt mittels „Fluktuation und Altersteilzeit“.

Als Sieg feiert das der Vorsitzende des VW-Gesamtbetriebsrates, Bernd Osterloh: „Wenn ich sehe, was in anderen Unternehmen passiert, ist das ein großer Erfolg in schwierigen Zeiten.“ Diese Perspektive von der Durchsetzungskraft der Arbeitnehmer dürfte sich mit der Sicht des Hedgefonds decken, wenngleich bei unterschiedlicher Bewertung des Resultats. Mitbestimmung und der Einfluss der Politik – das von SPD-Ministerpräsident Stephan Weil vertretene Land Niedersachsen ist mit 20 Prozent der Stimmrechte der zweitgrößte Akteur nach dem Porsche-Clan mit 52,2 und vor der Qatar Holding LLC mit 17 – sind TCI sowie ähnlich gepolten Investoren schon längst ein Dorn im Auge.

Wenn weder die öffentliche Hand noch die Gewerkschaften trotz starker Stellung imstande sind, aus VW ein modernes Unternehmen ohne nur eine Stelle weniger zu machen, dann steht es um die Zukunftsaussichten jener „aktivistischen“ Investoren wohl nicht zum Schlechtesten. Die Devise des an allen 30 DAX-Firmen beteiligten, weltweit größten Vermögensverwalters Blackrock – die Erhöhung der Rendite um jeden Preis – ist an Deutscher und Commerzbank wie an den laufenden Tarifstreits bei der Lufthansa erkennbar. Gesamtgesellschaftlich dürfte die Antwort auf die Frage, wem die Wirtschaft denn nun dienen soll, Bürgern oder Shareholdern, bald noch düsterer ausfallen.

Dass das mit dem Rückzug des Staates aus der Verantwortung zu tun hat, infolge dessen er nicht mehr auf Augenhöhe mit mächtigen privatwirtschaftlichen Akteuren ist, erkennen Giegold, Schick und Philipp in ihrem Buch ganz richtig. Schick kann derzeit als Grünen-Obmann im Cum-Ex-Untersuchungsausschuss des Bundestages (Freitag 17/2016) nachvollziehen, wie tatenlos die öffentliche Hand über Jahre hinweg dem milliardenschweren Betrug der Steuerzahler mit Dividendendeals gegenüberstand. Gerade war der Finanzmogul Carsten Maschmeyer in den Ausschuss geladen, was Öffentlichkeit bescherte, vom Fazit des Skandals aber ablenkt: dem für alle teuren Hinterherhinken des sich seiner Sparpolitik rühmenden Staates, bei Finanzmarkt- und Steueraufsicht wie bei der Abgaskontrolle.

110.000 zusätzliche Fachkräfte fehlen im öffentlichen Dienst, hat der Finanzexperte Dieter Vesper gerade für die Hans-Böckler-Stiftung ausgerechnet. Allein in den für Standorte wie Frankfurt wichtigen Finanzverwaltungen der Länder sind es 35.000.

Gute neue Leute bräuchte es, um einem Leitbild wie dem der Ökonomin Mariana Mazzucato näher zu kommen: ein Staat, der mit zukunftsorientiertem, selbstbewusstem öffentlichen Sektor auf Augenhöhe sowie mit seinen Investitionen den Takt vorgibt (Freitag 17/2016). Mazzucato übrigens war, während die drei Grünen in Berlin mit Sparkönig Schäuble eine schwarz-grüne Zukunft ausloteten, in Wien. Der sozialdemokratische Kanzler Christian Kern hatte eingeladen.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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